Freund Werner an Horst Schmitt, 8. April 1944
Saselheide, 8.IV. 1944.
Mein lieber Horst!
Da ist augenblicklich sturmfreie Bude habe – mal endlich einmal, - will ich schnell ein paar Buchstaben zusammensetzen. Es ist zwar schon einen ganzen Monat her, seit Du einen Brief an mich abschicktest; naja, der Name RAD entschuldigt alles. – Die ganze „Gesellschaft“ ist beim Ordnungsdienst. Es werden die letzten Vorbereitungen für die Besichtigung getroffen. Ich feiere seit 5 Tagen krank, allerdings bin ich nur Innendienstkranker. Krankheit: altes Leiden: Senkfussbeschwerden. Für einige wenige Tage ist das wirklich nicht zu verachten!
Hier beim RAD geht’s also jetzt der Entlassung entgegen. Kurz nach der Besichtigung, die am 19.IV. starten soll, sollen wir unseren Weg in die Heimat antreten. Da wirft sich nun aber die Frage auf: Für wie lange? Hoffentlich bekommen wir nicht wieder ein so kleine Gnadenfrist wie „anno dazumal“! Ich hoffe immer noch auf den 1. Juni! Hier meint man allerdings, dass ich zu viel Optimismus besässe. Mit 2 Wochen bin ich aber auch voll und ganz zufrieden. Wie stehts aber mit Dir? Willst Du schon so schnell Deine Tätigkeit dort in Oberbayern beendigen? Das wäre allerdings noch mehr als Pech!
So schön wie diese Woche müssten auch die nächsten und letzten 2 Wochen beginnen. Am Sonntag sind wir nach
einem Spaziergang durch St. Pauli und durch die Reeperbahn im Staatlichen Schauspielhaus gelandet. Bei dem Spaziergang haben wir auch mal die weniger schönen Gebiete St. Paulis aufgesucht. So z. B. „die grosse Freiheit“, in ganz Deutschland bekannt. Es ist eine Strasse, im Frieden ganz toll, mit allem „kommt vor“! Dann haben wir mal eine gewisse „Herbertstrasse“ aufgesucht. Das ist dasselbe wie Ritterstrasse in Münster, nur in Grossformat. Naja, etwas anders habe ich mir solche Strassen ja nun doch vorgestellt. Nein, was wir dort gesehen und gehört haben, einfach unter aller Kritik. Ich verstehe nur nicht, wie man so etwas, ich möchte sagen Schw....., noch dulden kann. Und dann dieser Volksauflauf?! Ich freue mich jedoch, dass ich mich mal einmal in eine solche Gegend hineingewagt habe. Für mein ganzes Leben bin ich in dieser Beziehung kuriert. – Wie ich schon sagte, sind wir anschliessend zum Staatlichen Schauspielhaus am Hauptbahnhof gefahren. Der Freundlichkeit und dem Entgegenkommen zweier Soldaten haben wir beiden es zu verdanken, dass wir die Vorstellung: „Mit meinen Augen“ besuchen konnten. Wenn dieses Stück auch keinen sehr grossen künstlerischen Wert besass, es war jedenfalls ein sehr schönes und angenehmes Unterhaltungsstück. Allein die für uns seltsam gewordene Umgebung versetzte uns schon in eine ganz andere Stimmung. Es erinnerte uns an die schönen Stunden im Schützenhaus, wenn es in Bocholt auch primitiv zur höchsten Potenz ist. Am Montag wurden wir beide mit einem Teil unseres Zuges zum Thalia-
Theater in Hamburg kommandiert. Hier wurde der „Biberpelz“ von Gerhard Hauptmann gegeben. Eigentlich bin ich über diesen Hauptmann sehr enttäuscht. Allerdings ist es das Erste und Einzige, was ich von ihm gelesen oder gesehen habe. –
In Bocholt soll es nicht sehr viel Neues geben. Den Edu Westerhoff hat man jetzt auch endlich gekapert. Er liegt bereits in Kiel bei einer Staatskompanie. Eigentlich wurde es auch höchste Zeit. Naja, ich habe eben eine Antipathie gegen die Leute, die sich an allem vorbeizudrücken suchen und dann zu Haus ein so grosses Mundwerk führen. So erklärte er meinem Bruder Clemens u. a.: er müsse als alter Soldat doch einsehen, dass ihm jede soldatische Eigenschaft fehle und es unmöglich wäre, ihn zu einem Soldaten zu machen. Naja, die richtige Antwort wird wohl nicht ausgeblieben sein. Was meinst denn Du zu dieser Behauptung?
Wie ich von unserem Stubenkameraden August hörte, muss es in Münster mal wieder sehr toll hergegangen sein. Den Flugplatz Handorf müssen sie zu einem grossen Trümmerfeld gemacht haben. In unserem 4. Zug am Kanal sind in der Stellung selbst 9 Bomben gelandet. 30 m von der Vermittlung entfernt ist die nächste an der B.B. eingeschlagen. Zum Glück sind in der 4. Batterie keine Verluste eingetreten, während in der 1. oder 3. Batterie mehrere Soldaten und Lw.H. ums Leben gekommen sein sollen. Dann schrieb mir August, dass nach einer neuen Verfügung alle Lw.H. bis 50 km hinter der Front eingesetzt
werden können. So hätten schon sehr viele Versetzungen, u. a. nach Ostpreussen und nach Augsburg stattgefunden.
Sonst ist bei uns alles in bester Ordnung. Schiller lebt und schillert noch in allen Farben. Nur Quartettschwester Erna geht es weniger schön beim RAD. Du verstehst vielleicht was ich meine.
Für heute verbleibe ich mit den besten Grüssen
Dein Werner.
Ich wünsche Dir ein recht, recht frohes Osterfest.