Horst Schmitt an seine Eltern, 30. April 1944

Tegernsee, 30.4.44. u. 1.5.44.

Meine lieben Eltern!

Nun muß ich ja wohl endlich mit dem versprochenen Bericht kommen. Augenblicklich überstürzen sich etwas die Veranstaltungen. Zunächst der 20. April! Morgens um traten um 11 h alle Jungen des Hauptlagers an. Insgesamt 600 Jungen! Das war ein schönes Bild. 600 Jungen in gleicher, vorschriftsmäßiger Uniform. Beim Antreteappell gab ich noch einige Richtlinien bekannt. Dann ging es in 3 Marschgruppen durch die Stadt. Die Jungen konnten durch den Exerzierdienst, den ich vorher angesetzt hatte, einigermaßen marschieren. Das Volk staunte; es hatte noch nicht so gewaltige Massen auf den Beinen gesehen. An allen Enden Tegernsees marschierte die KLV. Auch die Herren Lehrer waren beeindruckt.

Dann kam die Morgenfeier auf dem Sportplatz. In einem riesigen Karrier stand das Hauptlager angetreten.

Meine Ansprache hab ich als Sohn meines Vaters „gut hingekriegt“. Von den Hauptlagerleitern erfolgt dann auch noch ein Lob, Ausdruck einer aufrichtigen Beeindruckung von dem noch nicht dagewesenen. Auch auf die Jungen machte das ganze natürlich einen starken Eindruck. Obwohl bei der viel größeren Anstrengung in Miesbach kein Junge umgefallen ist, war dies bei dieser Morgenfeier bei 3 Jungen der Fall. Sie hatten sich aber kollosal zusammengerissen. Ohne eine Bewegung sind die Jungen umgefallen. Man kann sich das nur durch die übergroße Anspannung der Nerven erklären. Beinahe eine gewaltige Massensugestion!

Am 23.4. fand nun in Mies-

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bach der Kreistag statt. Ganz einsam ging es morgens um 5 h zur Bahn. Dort waren alle 153 Jungen, die kommandiert waren, zur Stelle in genau vorgeschriebener Uniform. 7 Lmf. gingen mit. Eine Mannschaft von 20 Jungen und einem Lmf. marschierte von Tegernsee nach Miesbach mit dem Fahnenblock. Um 7.30 h waren wir in der Kreisstadt. Nochmals einen eindringlichen Appell an die Jungen! Dann kam der Bezirksleiter Drescher. Nach der Meldung wollte er mir zunächst noch die Jungen von einem alleinstehenden KLV-Lager zuschieben, die natürlich längst nicht so gut marschierten, wie meine Jungen. Mein ganzes Redetalent setzte ich ein, um derartiges zu vermeiden. Es gelang mir auch schließlich, obwohl mir zunächst Drescher einen „dienstlichen Befehl“ gegeben hatte. Dann teilte er auch

die anderen Jungen noch so ein, daß insgesamt von den 500 KLV-Jungen 4 Marschblöcke entstanden, von denen mein Hauptlager der Größte mit 174 Jungen war. Nun war mein Block also auch der einzigste, welcher einheitlich uniformiert und exerziert war. Wäre nun Drescher nicht dagewesen, dann hätte ich mit meinen 170 Jungen den weitaus größten Block gehabt und als Konkurrenz bloß Mannschaften von 40-90 Jungen. Also ich wären dann unschlagbar gewesen von Anfang an. So hatte ich immerhin an Zahl gleichstarke Gegner. In Sechserreihen ging es zum Schulplatz, wo der Morgenappell stattfinden soll. Die Jungen rissen sich gewaltig zusammen. Beim Morgenappell hatten wir die Ehre, sämtliche Lieder anzustimmen, da wir die größte und beste Einheit waren. Immerhin schon ein

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Erfolg. Ich hatte nun Winterdienstuniform an. 1 von den Marschblocks war nun ganz von solchen Jungen zusammengestellt, welche kurze Hose und Winterdienstbluse anhatten. „Halbschwarz“ ist der Fachausdruck. Da ich nun „Ganzschwarz“ anhatte, sollte ich diesen Block führen. Die anderen 3 Hptlmf. hatten nämlich auch Sommerdienstuniform an, also „Braun“ und paßten so zu den 3 braunen Marschblocks. Ich fing nun wieder an zu meckern. Die Lmf. und die Jungen von meinem Hauptlager fingen an zu „meutern“, wenn man ihr berechtigtes Meckern so nennen will. Da verfiel ich auf ein tolle Idee. Gedacht, getan! Ich ließ den mir zugeteilten Marschblock die Jungenschaftsblusen ausziehen und nach 5 Min. war auch dieser Block in „Braun“! Dann ging ich zu Drescher und teilte ihm mit,

daß ich jetzt wieder meine eigene Einheit übernehmen wollte. Gleich klappte der „Laden“ wieder viel besser. So ging es nun auch zum Vorbeimarsch. Wieder Sechserreihen trotz Verbot. Drescher kam und fragte, warum wir in Sechserreihen marschierten. Ich sagte wir üben für den Vorbeimarsch. Und wieder ein dienstlicher Befehl: keine Sechserreihen. Ich besprach mich mit den anderen Hptlmf. Wir gingen wieder nach Drescher und nach 5 Min. Reden war das Verbot wieder aufgehoben! Dann kam aber ein höheres Tier vom Gebiet und da war es aus mit Sechserreihen. Der Vorbeimarsch klappte nun auch am besten von allen Einheiten. War ja auch nicht anders zu erwarten! Dann gings zurück zum Schulplatz, wo es Tee zum Trinken gab und die Butterbrote verzehrt wurden. Um 15 h nahm wir an der Kundgebung mit dem Gau-

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leiter teil. Er sprach von der Vergeltung. Um 17 h war die Rückfahrt. Sie verlief ohne besondere Ereignisse. In Tegernsee machten wir noch einen zackigen Marsch durch die Stadt, der einen würdigen Abschluß.

Als Dank für unser zackiges Auftreten finanziert nun der Gauleiter ein Volksfest, daß am 24.4. in Bad Wiessee gegenüber von uns stattfinden soll. (Gauleiter Giesler hat nämlich dort ein Landhaus) So finden augenblicklich wieder zahlreiche Vorbereitungen statt!

Heute war nun der „Erste Mai“. Da es draußen regnete, waren wir gezwungen unsere Maifeier im Saale zu veranstalten. Meine Rede ging wieder gut vom Stapel. Sogar besser als beim letzten Male. Direktor Stephany kam extra zu mir und betonte, daß ihm die ganze Feier gut gefallen hätte.

Von Helmut habe ich am 16.4. einen Brief erhalten. Seit langer, langer Zeit mal wieder direkte Nachricht von meinem Bruder! Der Brief war mir direkt ein Trost bei dem Gedanken, daß ich nun auch bald Soldat werde.

Im übrigen bin ich angefangen, den Verwandten mal zu schreiben. Zwar Kartengrüße nur, aber immerhin etwas.

Nun muß ich aber schließen. Grüßt Fam. Kraatz und Looks recht herzlich von mir und auch meinen Heinz, der ja wohl mittlerweile wieder in Bocholt sein wird. Ihr beiden seid besonders herzlich gegrüßt von

Eurem Ältesten.