Freund Rudolf an Horst Schmitt, 27. Juli 1944
O. U. den 27.7.44
Mein lieber Horst!
Du schweigst? Heinz schweigt! Beide seid Ihr ferne, weit entfernt von mir, der ich Euch ferne bin, weil ... auch ich ... schweige. Doch ich schweige nicht mehr, haben meine nimmermüden Gedanken, meines Herzens Gefühle nicht geschwiegen, nein, sondern stumme Zwiesprache gehalten mit Euch, mit Dir, mein teurer Freund. Ich mußte es auch! Seit jenen Tagen nämlich, da ich die Hiobsbotschaft, die mir vom Heldentod meines lieben Freundes kündete, erhielt, habe ich viel gedacht, nachgesonnen über das Wesen der Freundschaft, der Freundestreue, des gegenseitigen Verstehens, überhaupt über jene hohen ethischen Werte in uns, die göttlich sind. In Edi Lhota, unserem alten Klassenkameraden, habe ich weit mehr verloren, als mancher, der ihn gekannt hat und mich kennt, nur ahnen kann. Wieder ist ein Glied aus der Kette meiner wenigen aber guten Freunde herausgerissen, aus der Kette, die nunmehr
nur noch drei mir treue Glieder enthält: Karl Ludwig Wegmann, Heinz und Du mein lieber Horst. Daß Ihr drei mir um so lieber geworden seid, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Karl Ludwig sandte mir in jenen Tagen einen Brief, dem er ein Bild beigefügt hatte, das folgende Widmung als Aufschrift trug: „Wer einen wahren und treuen Freund noch sein Eigen nennen darf, kann sich niemals verloren fühlen.“ Karl Ludwig hat sehr recht. Ich fühle mich auch niemals verloren, solange ich noch um liebe und mir teure, treue Menschen weiß, die sich meiner gerne zu erinnern wissen. Ich bin glücklich, außer meinen Eltern noch Freunde zu besitzen, denen ich mich, mein Inneres voll und ganz anvertrauen kann. Mein Vertrauen zu Euch ist unbegrenzt. Ich habe Dir schon des öfteren versichert, daß ich vor Euch keine Geheimnisse habe und ich suche noch einen vierten Freund, wenn auch des anderen Geschlechts, dem, oder besser gesagt, welcher ich nicht nur meine Zuneigung, vielleicht Liebe, sondern auch mein Vertrauen, meine Seele schenken kann. Dieses Suchen, aber noch mehr dieses „Finden“ fällt mir ganz besonders schwer!
Du weißt, daß ich sehr wählerisch geworden bin, nachdem ich oft enttäuscht wurde, da ich die Menschen, die Mädchenwelt nicht kannte. Ich halte es für eine Gewissenspflicht, diese kennenzulernen, auf diesem Gebiete sehend zu werden, um die richtige Wahl treffen zu können, die mein Glück entscheidet. Ich suche ja in jener Freundin, Kameradin, jene Werte, die ich selbst besitze, such ein jener Seele das Echo jener Melodien, Harmonien, Akkorde, die mein Inneres brausend erfüllen, durchklingen .....
Gott, wie schön wäre dies, aber wann, wann endlich geht dieser, mein Herzenswunsch in Erfüllung? Der Gedanke darum beschäftigt mich Tag und Tag, das Wissen um die Erfüllung seiner selbst würde mir über manchen Berg des grauen Alltags hinwegsetzen helfen. Du wirst mich, dessen bin ich gewiß, gut verstehen können.
Solange ich dies jedoch nicht besitze, bin ich nur auf Euch meine Freunde angewiesen, auf Dich Horst, auf den Gedankenaustausch mit Dir. Ich wäre glücklich, bald wieder mehr von Dir zu hören. Laß mich bitte nicht
allzulange warten. Ich glaube es wohl verdient zu haben, von Dir ab und zu zu erfahren, wie es Dir geht. Wüßte ich nicht von meiner Mutter wo Du und Heinz, wo Ihr Euch zur Zeit befindet, ich wäre über Euer Befinden, über Euren Aufenthaltsort- oder Raum völlig in Unkenntnis gelassen.
Es ist mir selbstredend klar, daß Ihr in Eurer Rekrutenzeit nicht übermäßig viel Zeit zum Schreiben habt, doch weiß ich aus eigener Erfahrung, daß man ab und zu doch eine Minute zu dieser Beschäftigung zur Verfügung hat, daß es lediglich des öfteren an Lust und guten Willen mangelt. Auch ich habe besonders in letzter Zeit zum Schreiben wenig Gelegenheit, doch nutze ich diese occasio brevis voll und ganz aus.
Ich werde mich bemühen, Dir noch öfter zu schreiben! Verzeih bitte Fehler, Schrift und Stil; zur Korrektur fehlt mir die Zeit. Sofern Du mit Heinz zusammen bist, grüße mir meinen lieben Freund und teile ihm außerdem mit, daß diesem Briefe ein, an ihn gerichteter folgt. Dich meinen lieben Horst grüße ich auf das Herzlichste und verbleibe Dir in alter Freundestreue
Dein Rudolf