Vater und Mutter Schmitt an Sohn Horst, 26. September 1944
Nr. 16.
Bocholt, den 26. September 1944.
Lieber Horst!
Gestern nachmittag erhielten wir Deinen Brief vom 14.9., der am 16.9. abgestempelt war und somit immerhin 9 Tage unterwegs war, was verhältnismässig lange gedauert hat. Schon am vergangenen Samstag ist das Paket mit dem Speck angekommen, und zwar tadellos erhalten. Herzlichen Dank für diese lukullische Überraschung. Wie wir aus Deinem letzten Brief ersehen, hat ja nun die ROB-Ausbildung begonnen, die natürlich wesentlich interessanter ist, als all das, was vorausgegangen ist. Man kann schon an Deinem Gesicht auf den kleinen Bildchen erkennen dass Dir der Dienst in den ersten Wochen nicht sehr behagt hat. Nun, wo ist der gesittete Mitteleuropäer, dem dergleichen sonderliche Freude machen kann! Der muss noch gesucht werden! Wir werden Dir die Bildchen selbstverständlich gut aufheben, damit Du Dich später noch an ihnen ergötzen kannst.
Übrigens schreibst Du in Deinem Briefe nichts davon, ob Du überhaupt Post in letzter Zeit von uns erhalten hast. Wir haben geschrieben: am 12.9. den Brief Nr. 14. und am 19.9. den Brief Nr. 15. Ferner haben wir Geld abgeschickt: am 28. August für September und am 13. September für Oktober. So allmählich müsstest Du das alles erhalten haben.
Von Helmut erhielten wir, wie wir Dir bereits mitgeteilt haben, am 19.9. einen Brief, in dem er uns mitteilt, dass er sich im Lazarett befindet und wahrscheinlich in ein rückwärtiges Lazarett nach Deutschland verlegt würde. Wir haben seitdem nichts mehr gehört, hoffen aber, dass er mittlerweile verlegt worden ist. Natürlich geht das alles da unten auf dem Balkan nicht so schnell. Da muss man halt Geduld haben. Was ihm fehlt, schreibt er nicht. Vielleicht hat er Malaria oder so was ähnliches. Er frug auch in diesem Brief nach Deiner Adresse, die er verloren habe. Wir haben sie ihm mittlerweile mitgeteilt. Schreib Du ihm auch mal gelegentlich, wenn auch nur eine Karte. Seine F.N. lautet: 03421. Einen langen Brief zu schreiben, hat keinen Zweck, da er ja, wenn er mittlerweile in ein anderes Lazarett übergesiedelt ist, wieder eine andere Feldpostnummer erhält bzw. die jetzige nicht mehr gültig ist, und der Brief erreicht ihn ja doch nicht. Darum schreiben wir einstweilen nur Karten, damit er sieht, dass wir noch da sind und noch alles beim Alten ist. Sollte er in ein Lazarett nach Deutschland verlegt werden, werden wir ihn selbstverständlich, wenn eben möglich, sofort besuchen.
Im übrigen spielt sich ja jetzt der Krieg nicht allzu weit von uns ab. Sollten die Feinde näher an uns heranrücken, ergibt sich auch für uns die Frage: Was tun? Wir haben einstweilen nicht vor, unsere Wohnung zu verlassen; denn die Erfahrungen aus dem Weltkrieg und auch aus dem jetzigen Krieg haben gezeigt, dass in den Wohnungen, in denen sich Menschen aufhielten, nichts geräubert oder zerstört wurde, während die leerstehenden Wohnungen oft ausgeplündert wurden. Je nachdem werden wir uns mit den nötigsten Habseligkeiten für einige Tage zu Frau Spengler nach Dingden begeben, und dann, wenn der „Sturm“ vorüber ist, wieder zu den Pennaten zurückkehren. Aus diesem Grunde habe ich Dir auch in dem letzten Brief den Rat gegeben, mal an Onkel Heinrich in Erfurt, Arnstädter Strasse 20, zu schreiben, damit, wenn vorübergehend eine Postverbindung zwischen uns und der Front nicht möglich ist, wir vielleicht auf dem Umwege über Erfurt mit Dir bzw. Helmut verkehren können. Wie gesagt, das sind alles Eventualitäten, die man erwägen muss für alle Fälle, wenn wir auch einstweilen die feste Hoffnung haben, dass sie nicht Wirklichkeit werden. Jedenfalls kannst Du, lieber Horst, meinem Spürsinn vertrauen und brauchst Dir darum keine Sorgen zu machen. Wir haben die Angelegenheit auch wiederholt mit Looks und Heinzens Eltern besprochen, die übrigens genau so denken wie wir. Es bedarf ja keiner Frage, dass Ihr beiden, Du und Heinz, in Euren Briefen immer gegenseitig auch dem anderen Teil Nachricht gebt, d. h. wenn Du an uns schreibst, teilst Du kurz mit, dass es Heinz auch noch gut geht usw. Wie gesagt, das sind alles Vorsichtsmassnahmen, die man treffen muss für alle Fälle.
Übrigens werden sie in Bonn, Godesberg usw. ähnlich im Druck sein wie wir, vielleicht noch mehr, da der Gegner ja anscheinend zunächst seine Hauptkraft darauf konzentriert, das linke Rheinufer in seinen Besitz zu bekommen. Wir haben einstweilen die feste Zuversicht, dass ihm dieser Plan misslingt.
Hast Du übrigens meinen Brief erhalten, in dem ich Dir mitteilte, dass Heribert Hoffmann wahrscheinlich nicht weit von Dir liegt oder richtiger gelegen hat. Ich nehme nämlich an, dass er mittlerweile von dort verlegt worden ist. Er schrieb nämlich seinerzeit, dass er in Kürze seinen Abstellungsurlaub erhalten würde. Auch Werner Drees ist mittlerweile ausgerückt, wahrscheinlich zum Westen. Ludwig Krämer kam am Samstag plötzlich nach Hause, um seine Zivilkleider zu holen. Er musste dann wieder nach Wipperfürth bei Köln zurück, um entlassen zu werden. Nach der Entlassung vom RAD. wird er sofort zur Wehrmacht eingezogen. Von Ernst Krämer haben die Eltern seit 6 Wochen nichts mehr gehört. Er ist wohl abgeschnitten worden und in Gefangenschaft geraten. Dasselbe gilt wohl für Toni Decker aus Hersel und Christian Decker aus Üdorf, die beide seit Wochen nicht mehr geschrieben haben. Die Räumung Frankreichs ist für viele Soldaten etwas reichlich plötzlich gekommen.
Theo Schleiting, der im Dezember mit Helmut nach dem Balkan ausgerückt war, ist später nach Russland ausgerückt und bei Tarnopol verwundet worden. Er hat einen Lungensteckschuss erhalten, war einige Monate im Lazarett und kürzlich in Abstellurlaub. Er war natürlich wieder kv. und ist mittlerweile wohl wieder ausgerückt. Seine Klappe war übrigens nicht mehr ganz so gross wie früher!
Hans Seggewiss ist seit August ebenfalls Soldat, obwohl er noch nicht einen Zentner wiegt. Seine Adresse lautet: Sturmmann H. S. 2 IV Feldherrenhalle in Hemer bei Iserlohn i. W. Eine sonderbare Adresse! Wenn Du Zeit hast, schreibe ihm mal einen kurzen Gruss. Sein Bruder Wilhelm, der ja früher mit mir bei Temming war und seinerzeit am Oberschenkel verwundet war, ist am 25.8. nach Boulogne ausgerückt und sitzt seitdem eingeschlossen in der Festung.
So, das wären für heute die Neuigkeiten von hier. Dass es uns beiden sonst ganz gut geht, versteht sich am Rande. In diesem Sinne sei herzlichst gegrüsst
von Deinem Vater.
Lieber Horst!
Auch ich muß meinen Senf dazu geben. Wenn Du meine jetzige Arbeit sehen würdest, müßtest Du lachen. Ich habe einen Rucksack genäht, und zwar aus Deiner Winterbluse vom J.V. Ich sage Dir ganz zünftig. Alles beneidet mich darum. Der kleine Rucksack von Euch ist für mich. Beide sind schon gepackt. Alles fertig zum Ausreißen. So schlimm wird es wohl nicht werden. Außerdem gehe ich mit Fr. Looks seitwärts in die Büsche um das „Spiel“ abzuwarten.
Für das Fleisch, das Du geschickt hast, meinen herzlichsten Dank. Es kam gerade zur rechten Zeit. Was hört Ihr denn eigentlich dort von hier? Im übrigen wünsche ich Dir alles Gute und grüße herzlichst auch Heinz
und Dich besonders Mutter.