Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 29. Juni 1943

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Köln, den 29.6.43.

Mein allerliebster Peps!

Wir leben noch! Wiedermal ist unser Leben um eine Gnadenfrist verlängert.

Wie es hier aussieht? Ich sage nur, der 31. Mai vorigen Jahres war ein Kinderspiel dagegen. Stell’ Dir mal vor, vom Ring ab zur Innenstadt bis zum Rhein kein einziges ganzes Haus mehr. Dann hast Du Köln!

Beschreiben kann man das nicht und es sich ansehen erst recht nicht, aber die Umgegend genügt mir vollständig, denke ich nur an die Lindenstraße. Deine Eltern sind auch noch wohl und munter. Unsere Hauptstelle ist auch zum Teufel! Wie gesagt, ansehen kann man sich so etwas nicht. Ist doch der Anblick 30 - 40 nebeneinanderliegenden Leichen vor dem Bürgerhospital und anderen Plätzen, wie Herr Dehen und Fritz selbst gesehen haben, kein Anblick für junge Mädchen. Genug davon, es wird mir eine ewige Geburtstagserinnerung bleiben. In Frechen ist weiter nichts passiert, bis Hohenlind mußten wir zu Fuß tippeln, von da ab fuhr eine von einer Lokomotive gedrückte Straßenbahn bis Frechen. 4 Gefolgschaftsmitglieder sind nicht erschienen. Herr Dehen fuhr nach Köln um von Herrn Becker die Tresorschlüssel zu holen, dessen Haus ist bis in den Keller eingestürzt. Von ihm (Becker) selbst wissen wir nichts! Ach es ist so grauenhaft!

Vorstellen kann man sich das nicht. -

Wir selbst sind zum erstenmal in einem riesigen sehr tiefen (früherer Weinkeller) in der Mastrichterstraße gewesen. Mutter sagte, so als ob sie es geahnt hätte, wollen wir nicht mal in den Keller in der Mastrichterstraße gehen? Und welch’ ein Glück! Es war kollosal beruhigend für mich, weil man von der Schießerei nichts, den Bombeneinschlägen nur wenig hörte. Das Café Schnorrenberg, euch gegenüber, liegt auch am Boden. Dadurch seid ihr auch fliegergeschädigt. Gleich werde ich einige Sachen zu Euch in den Keller bringen; er ist doch sicherer. Vielleicht macht es sich doch, daß Du für einige Tage mal herkommen kannst. Nötig wäre es!

Deine Mutter wird ein Telegramm von Bonn aus schicken, hier in Köln werden keine angenommen, dieser Brief geht auch von Bonn aus ab. So erreicht er Dich schneller, haben wir doch keine Post mehr, überhaupt, kein „Unter Sachsenhausen“ mehr.

Ja, mein Liebling, wenn Du nur hier sein könntest. Dann wäre ich froh und viel ruhiger. Für die Nach werd’ ich mir für ½ 1 Uhr den Wecker stellen. Wir haben nämlich auch in der ganzen Stadt keine Sirenen mehr. Der Alarm wird durch Flakschüsse bekanntgegeben, die Entwarnung durch Scheinwerfer. So nun werd’ ich den Koffer packen und zu Euch wandern. Sonntagssachen braucht man ja keine mehr, es existieren kein Apollo, kein Schauspielhaus und kaum ein Kino mehr.

Für heute viele liebe Grüße + Küsse

Deine Annelie.