Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 19. Oktober 1944

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Frechen, den 19.10.44

Mein lieber Adi!

Nun war ich vier Tage in Koblenz und habe nichts anders getan als bei Vater im Krankenhausbunker gesessen und auf Mutter gewartet. Leider war sie bis gestern aber noch nicht gekommen und da hatte ich allmählich keine Ruhe mehr, weil in der Zwischenzeit doch wieder zwei schwere Angriffe auf Köln waren.

Ich hoffe aber, daß Mutter heute doch zurückgekommen ist. Vater ging es etwas besser, nur kann er garnicht tief atmen, hoffentlich hat er nichts an der Lunge. Gestern morgen bin ich mal schnell bei

Annemie vorbeigesprungen. Sie wohnt mit ihrer Mutter in einem Hotel am Bahnhof, ihr Vater ist am Westwall. Sie sind alle sehr unglücklich und in entsprechender Stimmung. Kann man verstehen!

Das hatten die Koblenzer bis jetzt ja auch noch nicht mitgemacht. Es ist ja überall ein fürchterliches Elend. - So habe ich mich also gestern mittag schon früh auf den Zug gesetzt, weil die Züge nur bis Kalscheuren fahren und von da aus muß man selbst sehen wie man weiter kommt. Unterwegs ist unser Zug dreimal angegriffen worden. In meinem Abteil war noch eine Dame. Wir haben uns direkt auf den Boden gelegt, Kopf

unter die Bank und als der Zug hielt sind wir ausgestiegen, hingelegt - wieder eingestiegen. Na, Du kennst das ja und kannst Dir auch vorstellen, wie wir aussahen. Als wir dann nach Bonn kamen, bot sich uns wieder ein furchtbarer Anblick. Die Bonner hatten erst vor ein paar Stunden einen Terrorangriff mitgemacht. Von Kalscheuren aus bin ich mit einem Lastauto gefahren und war glücklich als ich in der Lindenstraße war und Euer Haus noch heil und ganz vorfand. In Köln haben die Flieger ja wieder ordentlich gehaust. Durch die ganze Stadt fährt keine einzige Bahn, auch nach Frechen nicht. Es sind

aber auch keine andere Verkehrsmittel eingesetzt. Man muß auf eigene Faust sehen, wie man weiter kommt.

Heute morgen bin ich von einem Soldaten auf dem Motorrad mitgenommen worden in strömendem Regen. Ich war naß bis auf die Haut. Vorläufig will ich in Frechen bleiben. Nun sitze ich hier bei Frau Harertz in der warmen Küche und schreibe Dir. Mittlerweile sind wir aber auch mal in den Keller gelaufen. Wir führen ein Leben hier. Mit jedem Tag wird es doller. Zwei von uns sind wieder fliegergeschädigt. Wir haben aber sowieso nicht viel zu tun auf der Kasse. Heute erst bekam ich Deinen lieben Brief

vom 2.10. mit dem dritten Photo. Bist ein lieber lieber Kerl, Du. Ich freue mich ja so auf nächsten Monat. Wie ist es nur mit unseren Papieren? Ich würde mich ja zu Tode ärgern, wenn unsere Heirat diesmal daran scheitern würde. Nimmt man in der heutigen Zeit wirklich keine Rücksicht, wenn ein Papierchen fehlt? Meine Staatsangehörigkeitsbescheinigung kann ich frühestens am Samstag abholen. Ich habe doch solche Sehnsucht nach Dir, ganz verrückt lieb hab’ ich Dich. Mit diesen schönen Gedanken werd’ ich mich nun ins Bett legen und ein wenig, bis ich einschlafe, von Dir träumen: Vielleicht verfolgst Du mich auch noch in den Schlaf. Liebster, laß Dich

grüßen und ganz ganz lieb küssen von

Deiner Annelie.