Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 22. August 1944

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Köln, den 22.8.44

Mein lieber Adi!

Gestern erhielt ich endlich nochmal einen lieben Brief von Dir. Ja, es kommt jetzt tatsächlich soweit, daß man nicht mal Zeit und Ruhe hat, seinem Liebsten zuschreiben, denn auch bei uns soll jetzt die 10 stündige Arbeitszeit eingeführt werden. Wir haben gestern ein Rundschreiben bekommen und mit der 12 stündigen kann in Kürze gerechnet werden. Dann ist es ja ein Ding der Unmöglichkeit, daß ich noch in den Frankenforst fahren kann. 40 % unserer Gefolgschaft soll in die Rüstung, da ist man also noch heilfroh, wenn man 12 Stunden bei der Kreissparkasse arbeiten darf. Daß Du

Ärmster nach soviel Arbeit und Lernen abends totmüde bist, glaub’ ich und daß man dann keine ordentliche Briefe mehr schreiben kann, weiß ich zu genau. Man schreibt dann nur, weil man eigentlich schreiben müßte, in Wirklichkeit steht man schon mit einem Bein im Bett. In einem lieben Brief gehört eben die ganze Seele. Darum Liebster, sollst Du nur schreiben, wenn Du wirklich Zeit dazu hast, gell! Ich bin Dir bestimmt nicht böse. Ich weiß doch, wie das ist.

Ich selbst schreib’ ja auch meistens in der Mittagspause. Adele schrieb auch gestern, sie hätte jetzt noch weniger Zeit zum Schreiben, sie müßten jetzt täglich noch zwei Stunden länger arbeiten. Überall: keine Zeit - - keine Zeit - - Was sind das doch Verhältnisse!!!

Mir geht es ja genau so. Allerdings bringe ich ja die meiste Zeit auf der Straßenbahn. Ich hab’ mal ausgerechnet, ich bin in diesem Jahr, d. h. seitdem ich wieder in Köln bin, rund 20.000,000 km (Zwanzigtausend) mit der Straßenbahn gefahren. Toll was!? Von Mutter bekam ich gestern auch Post. Hatte ich Dir eigentlich schon geschrieben, daß unser Nachbar Herr Manz seit einigen Wochen vermißt ist? Du kennst doch Frau Manz von nebenan. Nun schrieb Mutter gestern, man hätte Näheres erfahren von einem Kameraden, der mit Herrn Manz gefangen wurde, aber wieder entkommen konnte. Sie wurden von slawischen Banditen, die unter Tito’s Führung stehen geschnappt (Herr Manz war beim Zoll!) Der Kamerad hat beobachtet, wie man den Manz in eine Felsenhöhle

schleppte, wie sie nachher seine Kleider, seine Stiefel und Brille herausbrachten. Sonst wurde nichts mehr von ihm gesehen. Die arme Frau wird wahnsinnig! Ist es nicht entsetzlich. Wenn ich mich in ihre Lage hinein versetze, nein - ich würde verrückt. Wann ist dieser Krieg denn endlich mal zu Ende! -

Gestern bekam ich auch endlich die Brosche von Schöller. Sie ist sehr hübsch geworden, hat ja auch lange genug gedauert. Nun denk’ ich immer an Dich, wenn ich sie trage. Liebster, ich hab’ Dich sehr lieb!

Grüße und einen lieben Kuß

Deine Annelie.