Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 19. September 1943

1. nach Rußland!

Köln, den 19.9.43.

Mein lieber Adi!

Heute ist Sonntag! Ich sitze hier an Deinem Schreibtisch und schreibe. Da kommen mir so viele liebe Erinnerungen. Wie oft haben wir hier in Deinem Zimmer gesessen und waren so glücklich! Weißt Du das noch, mein Lieber! Ich habe solche Sehnsucht nach Dir, ich bin so alleine. Adele ist nämlich mit Fritz weg. Er ist seit Freitag hier und muß Montag wieder weg zur Abstellung. Wahrscheinlich muß er nach Italien. Dann hat Adele auch wieder die Sorgen. Was das heißt, seinen liebsten Menschen draußen zu wissen, weiß ich erst jetzt, wo Du weg bist.

Immer höre ich den Wehrmachtsbericht und dann überfällt mich solche Angst. Sicher bist Du mitten im Schlamassel drin. Wann wirst Du wohl die erste Post von mir bekommen und wann werde ich welche wieder bekommen?

Momentan schreibst Du ja immer noch nach Wittlich, wahrscheinlich weißt Du noch garnicht, daß wir wieder in Köln sind. Es ist aber auch zu dumm, daß die Post so lange bis nach Rußland läuft.

Wär’ doch nur der ganze Krieg zu Ende und Du wärst glücklich wieder hier. Wie sehr Du mir fehlst, das kannst Du Dir wohl garnicht vorstellen. Ich habe Dich doch so lieb, am allerliebsten auf der Welt. Wenn ich Dich nicht hätte, wäre ja alles so sinnlos. Wozu wäre ich dann

überhaupt noch da? Ich hätte kein Heim und keinen Menschen, dem mein Wohl und Wehe am Herzen läge; und das liegt Dir doch am Herzen oder nicht? Weißt Du, wenn die Hoffnung nicht wäre, wie trostlos wäre doch dann unser Dasein. Zunächst hoffen wir auf ein baldiges Kriegsende und, daß wir es gesund überstehen. Dann darf man vielleicht auch wieder Zukunftsträume spinnen. Augenblicklich sieht ja alles aussichtslos aus. Ich glaube aber auch, daß in einem Jahr vieles anders aussieht, meinst Du nicht auch, Liebster? - Wie wird sich nun Dein Sonntag heute gestalten. Es verläuft wohl ein Tag wie der andere. Könnte ich doch das Traurige und das Angenehme mit Dir teilen.

Wir haben Sonntags wenigstens unsere

Ruhe, unser gutes Essen und merken auch an unserem Anzug, daß Sonntag isst. Ich liebe sie so, die ruhige gemütliche Sonntagsstimmung. Später werden wir unsere Sonntage sehr sehr schön gestalten, gell mein Liebling! Freust Du Dich auch darauf? Ach, wäre es doch endlich schon so weit. Aber „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei!“ Auch diese Zeit muß einmal vorüber gehen. -

Nun muß ich bald schließen. Adele und Fritz wollen Kinokarten für’s Corso holen. Es ist eine kleine Abwechslung, man braucht dann wenigstens nicht soviel zu denken.

Recht herzliche Sonntagsgrüße und Küsse, einen besonders lieben -

Deine Annelie.