Andreas van Kann an seine Freundin Annelie, 22. Oktober 1944

Thorn, 22.X.44.

Meine liebe Annelie,

endlich komme ich dazu, Dir in aller Ruhe einen Brief zu schreiben. Die Zeit ist für uns, jetzt gegen Ende des Lehrgangs noch viel knapper geworden, als in der ersten Zeit. Und Schlaf wird auch sehr groß geschrieben - wir staunen alle, wie man mit so wenig Schlaf auskommt. Aber dies nur nebenbei, damit Du weißt, warum ich in den letzten Tagen so wenig geschrieben habe. -

Auch von Dir bekomme ich recht spärlich Post, dies ist aber wohl auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, die durch die dauernden Angriffe kommen müssen. Überhaupt muß unsere Stadt ja herrlich aussehen. Ich kann mir das garnicht vorstellen, das ist ja furchtbar. Vorgestern bekam ich von Daheim eine Eilnachricht vom 16.10. mit dem Inhalt: „Alle Angriffe gut überstanden, Briefe unterwegs.“ Seit dem sind aber wieder mehrere Angriffe gewesen und ich habe seit dem auch keine Nachricht mehr. Dein letzter Brief ist am 13. geschrieben und kam erst am 20. hier an ohne Poststempel. Heute war auch leider keine Post dabei, Sonntags kommt bei uns die Post schon mittags, jetzt

muß ich wieder warten bis morgen abend - eine lange Zeit voller Sorgen und Ängste. Liebste, es ist schlimm - nun für Euch ist es aber noch viel schlimmer, weil Ihr es mitmachen müßt. Weißt Du, das Schlimme ist, daß man so garkein Ende sieht, so garkeinen Lichtblick auf allen Gebieten. Wir müssen halt aushalten und eins weiß ich jedenfalls, daß uns noch allerlei bevorsteht. Aber daran will ich nicht denken, es ist zu grausig. Wie Du schon weißt ist heute in 14 Tagen der Lehrgang zu Ende und mein Pi-Lehrgang beginnt (besser gesagt „soll“) erst am 15.11. Was ich nun in der Zwischenzeit machen muß, weiß ich nicht, jedoch nehme ich an, daß ich zum Ersatz muß, und der ist ja in Mülheim. Die Hoffnung auf Urlaub hat man uns auch gänzlich genommen indem man uns einfach sagte, daß wir nur nicht mit Urlaub rechnen brauchten, es gäbe keinesfalls welchen. Außerdem werde ich die Heiratsgenehmigung kaum noch bekommen hier von der Schule, es fehlen ja noch eine ganze Menge Papiere und wenn die auch jetzt kämen, würde es wohl kaum noch klappen, die Zeit ist zu kurz. Nun, das ist wohl nicht so schlimm, Urlaub bekomme ich ja sowieso keinen und im Oberfähnrich-Lehrgang habe ich ja wieder Zeit und bis dahin werden wir wohl alles beisammen

haben. Weißt Du, wenn man sich das so überlegt, mit welchen Schwierigkeiten es verbunden ist, zu heiraten, dann kann man nur mit dem Kopf schütteln. - Aber wir schaffen es doch, das wäre doch gelacht. - - Heute morgen hörte ich von jemanden, der im Westen war, daß die Frauen und Kinder nun doch evakuiert werden sollen. Ob das nun gut ist oder nicht, haben wir nicht zu entscheiden, die Tatsache besteht jedenfalls und damit haben wir uns abzufinden. Da entsteht nun wieder eine Schwierigkeit, nämlich mit unserer Verbindung. In ein paar Tagen bin ich nicht mehr hier und da wäre es gut möglich, daß ich nicht weiß wo Du bist und umgekehrt. Da habe ich mir eine Lösung gedacht und zwar habe ich in Sachsen einen Kameraden, der ein Bein verloren hat und mit mir in Budweis war. Paß mal auf: Sollte unsere Verbindung abreißen, d. h. wenn die Briefe zurückkommen oder dergleichen, dann schreibe bitte meine Post an:

Uffz. Eckart Peipel    
Lichtenstein/Sachsen  
Glauckauer Straße 11

In diesem Falle werde auch ich dorthin schreiben und dann ist ja wieder alles klar. (Alles klar ist gut, was!?!)

Gestern bekam ich von Deiner Mutter aus Lieg einen Brief, nun weiß ich wenigstens von dort näheres. Ein Glück, daß der Vater noch die wenigen Möbel hat retten können, aber was nützt das alles, wo sollten sie denn hin damit. Wenn man so alles überlegt, es ist doch maßlos traurig alles. Man kann sich halt immer wieder freuen, wenn man mit dem Leben davon kommt. Soweit ist man schon gekommen, wer weiß - wie weit es überhaupt noch kommt. Mit Adele, das ist ja auch ein völliger Jammer - ebenfalls mit Fritz. Die Sache ist ja recht merkwürdig; habt Ihr immer noch nichts von ihm gehört? -

Vor mir liegen 4 liebe Briefe von Dir, vom 6.X., 8.X., 10.X. und 13.X. Auf keinen habe ich bisher näher eingehen können, ich will jetzt Deine Briefe zum wiederholten Male durchlesen und war mir einfällt schreibe ich noch. Du mußt nicht böse sein, wenn meine Briefe in letzter Zeit nicht mehr äußerlich und innerlich diese Formen aufweisen, wie früher, doch Du weißt ja wie das jetzt ist. Man ist ja wie bekloppt - taumelt wie besoffen von einem Tag in den anderen.

Nun liebste Annelie, ich weiß nicht, wo Du nun bleibst, in Frechen oder in Colonia, doch ist ja auch schließlich egal; (für mich!)

Hauptsache, Du bist in Sicherheit, wenn man überhaupt dieses Wort noch gebrauchen darf. Ich freue mich ja immer wieder, wenn es Dir bei uns daheim gut gefällt - ich freue mich immer, weil ich weiß, daß es Dir dann gut geht, und - das gehört ja zum „Gut-gehen“ daß Du immer satt wirst. Brauchst keine Angst haben, daß Du mir zu dick wirst, das ist alles nicht wichtig. Wenn ich Dich nur erst mal wieder bei mir hätte. Liebste - ich hab’ so ein krankes Herz, soviel möchte ich Dir sagen, doch wie schlecht geht das in so einem Brief. Jetzt, wo ich wieder so viele schöne Erfolge hatte, warst Du wieder nicht bei mir, daß Du Dich hättest mit mir darüber freuen können. Ich möchte Dir das dann alles sagen, möchte dann zu Dir kommen und mit Dir froh sein können ... Aber leider - - -

Vergangenen Sonnabend -Montag waren wir bei den Umsiedlern aus Bassarabien, die seit 3 Jahren hier in der Nähe einen Kreis besiedeln. Die Bauern waren sehr nett zu uns und wir haben gelebt wie die Götter. Es ist erstaunlich, wie diese Leute sich ihr Deutschtum erhalten haben. 130 Jahre haben diese schwäbischen Bauern in Rußland, bzw. Rumänien gelebt und ihre Art

und besonders ihre Sprache erhalten. Die kleinen Kinder selbst sprechen noch richtig schwäbisch. Und Kulturformen haben diese Leute, wie wohl kein Bauer im Reich. Man merkt, daß diese Leute noch deutsch sind, so wie man vor 200 Jahren war. Das muß eine schöne Zeit gewesen sein! - -

Ehe ich hier wegfahre, fahr ich nochmal hin, um mir noch einige Naturalien zu holen, die sind mir versprochen worden. -

Nun laß mich schließen, Liebste ich sende Dir tausend liebe Grüße

und einen ganz heißen Kuß

Dein Adi.