Andreas van Kann an Annliese Hastenplug, 6. Juli 1943

6. Juli 1943

Meine liebe Annelie!

Diesen Brief möchte ich mit einem Wort Nietzsches beginnen: „Wenn’s etwas gibt - gewaltiger noch als das Schicksal - so ist’s der Mensch, der’s unerschüttert trägt.“

Zunächst will ich garnicht von mir reden. Was ich in den letzten Tagen ausgestanden habe, wird an Elend, Entsetzen und tiefer Sorge von Euch hundertfach durchgemacht worden sein. Und dennoch! Ihr lebt! Vor allem aber lebst Du, das ist das Entscheidende. Ich weiß nicht, ob Du Dir denken kannst, wie mich Dein Brief ergriffen hat. Ich las auf dem Stempel: Bonn! Nun, daß Du lebtest, dafür hatte ich ja den Beweis in der Hand. Aber ich dachte an Krankenhaus u.s.w...

Ich weiß nicht mehr wie ich mich benahm, als ich las, daß alles in Ordnung

sei - - ich war so überglücklich, wie wohl noch nie in meinem Leben. Zu schreiben war ich nicht in der Lage, auch glaubte ich fast an Urlaub, den ich doch nach Eintreffen des Telegramms hätte bekommen müssen. Nun aber erhielt ich heute einen Brief von meinen Eltern, nachdem nur noch Telegramme bei totaler Fliegerbeschädigung übermittelt werden. Also ist es wieder nichts. Ich will aber trotzdem versuchen, in den nächsten Tagen zu kommen; zwar wird es sehr schwer halten, denn eine große Anzahl der Komp. ist bereits in Bombenurlaub. -

Ich habe nun eine ganze Menge Briefe vor mir liegen, die ich alle noch beantworten muß. Ich will dies wieder mal der Reihe nach besorgen.

Du hast es wunderschön gesagt, Annelie; es ist schön, wenn man irgendwo einen Menschen weiß, den man liebt - der einen lieb hat! Dann ersts hat alles seinen Sinn; das Leben hat Inhalt. Wieviel Kraft und Mut finde ich in der Gewißheit, Dich zu besitzen - mich Dein eigen nennen zu können. So auch wird das

endlos erscheinende Warten irgendwie sinnvoll. Dahinter steht die Erfüllung; steht ein gemeinsames Leben in der Fülle der Menschlichkeit. (Es dünkt mir wie ein gutes Omen, daß Du den großen Angriff überstanden hast. Jetzt werden Ihr wohl Ruhe haben - wo es kaum noch etwas zu zerstören gibt.)

.... der Krieg aus? - Ja, wäre er. Es könnte alles so herrlich sein. Nun - es wird wieder kommen, alles; davon bin ich überzeugt. Vielleicht sogar liegt ein Kriegsende in garnicht so weiter Ferne - wer weiß!! -

Ja, läge ich nochmal in Wahn! Wie gerne würde ich alle Strapazen überwinden! Jetzt um diese Zeit lägen wir irgendwo in der Heide ... es ist nämlich Mittwoch, die Uhr zeigt 8 Uhr. In einer halben Stunde müßten wir zur Bahn laufen, um den Zug 9.00 Uhr zu erreichen. Doch auch in diesem Falle bleibt es dabei: der Wunsch ist der Vater des Gedankens! Weiter nichts. -

Von einer Abstellung nach den Süden ist mir noch nichts bekannt, das wird wieder

so eine berühmte Herzhäuschensparole sein.

Übrigens habe ich „Abels Bett“ wieder seine verdienten Ruhe gegeben. In dem kriegerischen Milieu meiner Stube paßt besser ein modernes Feldbett. Dieses ist auch entschieden kleiner, sodaß ich von Raum dadurch gespart habe.

Meine Haare nehmen allmählich wieder ganz zivile Formen an; es lohnte sich bestimmt, darin zu kraulen - Schatzmatz! -

Jetzt bist Du 20 Jahre alt. Wie gerne wäre ich an Deinem Geburtstag bei Dir gewesen - - nun - ich hoffe, daß es im nächsten Jahr der Fall sein kann.

Wegen des Bildes brauchst Du Dir keine Sorgen machen - ich schreibe einfach, ich hätte es hier; sie haben nämlich danach gefragt und auch vermutet, daß ich es mitgenommen hätte. Da ist ja alles klar.

Den betreffenden Brief haben sie nicht geöffnet, denn ich hatte den Preis der Schuhe + Handschuhe auch meinen Eltern mitgeteilt. Das weiß ich ganz bestimmt. Meine Eltern haben mir nämlich auf diesen Brief ausdrücklich geantwortet! -

Köln muß ja herrlich aussehen, Deine Briefe sage genug. Aber auch die zurückgekommenen Urlauber fanden keine Worte für den Umfang der Zerstörungen und des Elends, daß über unsere Stadt gekommen ist. Diesen Geburtstag wirst Du gewiß nie vergessen - und ich auch nicht! Ich war bis heute noch vollkommen fertig - bin auch jetzt mit den Nerven schwer auf dem Hund; ich habe wieder wahnsinnig geraucht. Am Sonntag waren’s fast 100 Stück - -

Der letzte Angriff scheint Euch nicht gegollten zu haben. Deutz und Kalk waren wohl an der Reihe.

Meine Fotos sind futsch; schade drum - macht aber nichts! Aber - (jetzt kommt ein großes Aber) wo ist Dein Ring? Oder ist das der Uhrmacher in Frechen, dann wäre ja alles klar. Hoffentlich! -

Der Becker hat ja Glück gehabt. Jetzt wird er sicher wieder seine Haare verlieren.

Ach, ich mache meine Späße und dabei ist ja alles so traurig . . . .

Dein letzter Brief kann ich nicht so schnell verdauen, ich lerne beten! Darüber muß ich erst mal wieder schlafen. Gibt es überhaupt einen Gott? Würde ein Gott, wie wir ihn uns vorstellen, all’ dieses Elend geschehen lassen? Ich zweifele daran! Nicht nur das! Ich glaube es nicht. Ich werde niemals mehr beten können. Ich habe auch in den letzten Tagen nicht gebetet. Doch laß mich still sein - man soll nicht schmählich reden über Dinge, die vielen Menschen heilig sind und vielen Menschen Trost bringen.

Ich will nun auch schließen.

Dir, meine liebe Frau, gute Nacht + einen lieben Kuß

Dein Adi.