Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 14. August 1943

Wittlich, den 14.8.1943

Mein lieber Peps!

(pers. in Wittlich!)

Heute ist Samstag. Gerade habe ich einige Minuten Zeit, Dir einen kleinen Brief zu schreiben. Gestern habe ich wieder einen lieben Brief von Dir bekommen und Deine Eltern brachten mir nachher noch einen alten Brief mit, den Du nach Köln geschrieben hast, und der dann von der Post nach Ürzig nachgesandt wurde. Ich glaube, er war am 10. Juli geschrieben. Diese Zeilen muten einen heute ganz komisch an, so unwahrscheinlich wie aus einer ganz anderen Welt. Ist es denn schon so lange her, dass man diese Not und dieses Elend miterlebt hat? oder vergisst der Mensch wirklich alles Unangenehme so schnell? Ja, ich glaube schon, dass es so ist. Manchmal meine ich, es sei alles ein böser Traum gewesen und eines guten Tages müsste ich wieder in der alten Umgebung erwachen. Denke mal an Deinen Urlaub, jeden Abend hast Du mich nach Hause gebracht, wir standen an der Haustür und haben uns verabschiedet. - Und eben diese Haustür soll nun nicht mehr existieren, ebenso die Fenster, von wo aus ich so oft Ausschau nach Dir gehalten habe, die Couch wo wir so oft drauf geschmusst haben, weisst Du noch Peps? Und das soll alles einfach nicht mehr da sein, statt dessen liegt da nur noch ein Trümmerhaufen.

Nun ja, mit der Zeit wir man auch diesen Eindruck verlieren. Hier in Wittlich gefällt es uns ja auch sehr gut. Man lebt sich schneller in einer kleinen Stadt ein als in einer grossen. Man sieht täglich dieselben Gesichter, im Geschäft, auf der Strasse, in den Restaurants, kurz überall, und das macht einen schnell heimisch. -

Gestern Abend hatten wir hohen Besuch, Deine Eltern, meine Mutter und Christine waren da. Mutter hat einen ganzen Haufen Bezugscheine mitgebracht. Etwas haben wir darauf bekommen, aber noch lange nicht alles. Ich glaube, die meisten Scheine müssen wir Deinen Eltern mitgeben, in Köln soll es doch mehr zu kaufen geben (obwohl fast keine Geschäfte mehr dort sind!) Etwa RM 10 000.- haben meine Eltern gleich auf das Koblenzer Häuschen bezahlt, es ist jetzt ganz bezahlt, etwa RM 3 000.- haben sie jetzt noch in bar. Ich weiss selbst nicht, wie das mit dem Geld richtig gehandhabt wurde. Mutter sagte gestern, es sei nur ein vorläufiger Vorschuss.

Ich muss mich mit meinen Eltern nochmal eingehend darüber unterhalten, gestern war die Zeit zu kurz dazu. Sie haben in Koblenz übernachtet bevor sie nach Köln fuhren. Meine Tanten waren auch noch dort, sind aber mittlerweile nach Baden gefahren (samt Fiekers, der sich bisdahin freiwillig auf die Bezugscheinstelle in Köln gemeldet hat, und uns auch sämtliche Bezugscheine ausgeschrieben hat.) Was sagst Du nun, ist der nicht raffiniert??? Auf den Rat meiner Tante haben meine dämlichen Eltern erst mal eine ganz neue Aufstellung ihres Hab und Gutes gemacht. Ich könnte mich kaputt ärgern, erst muss meine Tante ihnen also sagen, dass sie zu wenig angegeben haben, wir konnten uns ja ruhig den Mund franselig reden. Und dann hat meine Mutter noch lange nicht alle Bezugscheine für Adele und mich mitgebracht. Ich kann sie Dir ja mal aufzählen, die sie mitgebracht hat: für jeden 3 paar Strümpfe, 2 Garnituren, 3 Taschentücher, 1 Kleid, einen Mantel, 1 Schal. Sonst nichts, keinen Strumpfhalter, keinen Büstenhalter, keinen Pullover, keine Jacke, keinen Unterrock u.s.w., u.s.w. Als ich ihr daraufhin Vorwürfe machte, sagte sie, ja, man hätte das alles aufschreiben müssen, und weil sie an dem Abend zu müde war, hätte das Tante Käthe für sie getan. Also, ich könnte tatsächlich manchmal aus der Haut fahren. Wenn man aber auch nicht alles selbst macht, verdammt nochmal. - Die Fliegerschadenbescheinigung für Adele und mich haben sie mitgebracht. Ich war gleich gestern Abend auf der Polizei. Wir sollen Mittwoch nochmal wieder kommen. Bis dahin hat man ein geeignetes Zimmer für uns. Mit dem Oberinspektor habe ich mich nett unterhalten, er ist nämlich Frechner und war früher auf der Gemeindekasse Frechen, kennt also Herrn Funk. Er wird nun auch für ein nettes Zimmer sorgen. -

Herzallerliebster Peps, gleich ist es ein Uhr, Feierabend. Um vier Uhr fahren wir nach Ürzig. Es ist ein saumässiges Wetter, schade!

Heute abend werde ich Dir wohl genaueres über Alles berichten können. Für jetzt sei herzlichst gegrüsst und geküsst von

Deiner Annelie.