Andreas van Kann an Annliese Hastenplug, 22. August 1943
Bachmatsch, 22.8.43.
Meine liebe, gute Annelie!
Nun bin ich gestern endlich an meinem ersten Bestimmungsort angekommen. Ich habe dann die Nacht geschlafen; gleichzeitig machte ich die erste Bekanntschaft in meinem Leben mit einer reizenden Laus. Du, das sind ganz kluge Tiere. - Die halten sich immer da auf wo man sie nie erwartet. Und dann können die ganz nett beißen - also eine Laus ist ein ganz liebliches Ungeheuer. Man wird sich aber mit der Zeit daran gewöhnen. Ganz gewiß - man muß ja schließlich - die Tierchen woll ja auch leben...
Heute geht es nun in Richtung Brüzansk weiter. Dort muß ich mich
wieder bei der Frontleitstelle melden. Es weiß nämlich hier kein Mensch, wo mein Haufen liegt. Nun, ich kann ja suchen - schließlich habe ich ja Zeit genug. -
Verpflegt werden wir durch die Verpflegungsstellen des DRK. Hier in B. haben wir zum ersten Male den Frontsatz[=?] bekommen. Du - ich muß schon sagen, mir blieb die Spucke weg. Also, es ist wirklich enorm. Jetzt weiß ich, wo die Sachen alle bleiben und warum die Heimat so kurz gehalten wird. - Wenn es vorne auch so ist, bin ich zufrieden. Die Sorge, daß ich nicht sattwerden könnte, war also überflüssig - gott sei dank.
Gestern Abend war ich zum ersten Mal in einem „russischen Wohnhaus“ - Glaub’ mir, ich war erschüttert! Damals war ich mal in Mülhausen in der Ausstellung: „Das Sowjetparadies“. Ich konnte das damals nicht glauben - meinte, das sei stark aufgetragen. Heute muß ich sagen: Nein - es war die reine Wahrheit. Annelie - Du
glaubst es nicht - das kann sich niemand vorstellen, der das noch nicht gesehen hat. Nun - ich will es Dir alles einmal erzählen; das zu beschreiben ginge über den Rahmen eines Briefes hinaus. -
Es hat nichts mit einer national-sozialistischen Einstellung zu tun, wenn man sagt: Wir müssen diesen Krieg gewinnen! Das entstehende Chaos im anderen Falle wäre nicht auszudenken. Du wirst das nicht verstehen können - aber glaub’ mir - ich übertreibe nicht! -
Ach so, heute ist ja Sonntag. Hier merkt man davon aber auch nicht das geringste. Bei Euch wird man sich jetzt mehr oder weniger gut anziehen - zur Kirche gehen und einen Sonntag haben! Hier lebt man immer den gleichen Tag - in Schmutz und Dreck - im Elend und ewigen Dunkel der russischen
Wir leben noch in sauberen (im russischen Sinne „sauber“) Steinbaracken, die auch im Allgemeinen von Ungeziefer frei sind. Ich hab’ nun mal eben Pech gehabt. Natürlich ist sie längst (die Laus) eines furchtbaren Todes gestorben. Hoffentlich war es kein Weibchen, das mir seine Eier in’s Wams gelegt hat. Naja - ich bekomme ja doch wieder welche - so oder so! Das ist ja auch weiter nicht von Belang. So lange sich noch Läuse bei mir aufhalten, ist noch alles klar, was meinst Du! -
Wann mag ich wohl die erste Post von Dir bekommen? Wie mag es Dir gehen? Habt Ihr schon ein schönes Zimmer? Hast Du mir schon geschrieben? Bitte tue das doch. Wenn Du dann meine Anschrift bekommst, kannst Du gleich ein Buch weg schicken, gell! Hast Du mich auch noch lieb? Du böser Liebling!! Und