Andreas van Kann an Annliese Hastenplug, 9. Oktober 1943

9.10.43. Wilna.

Meine liebe, gute Annelie,

schön, nun kann ich schon wieder selbst schreiben! Ich bin glücklich! Man hat mir die Verbände etwas geändert, sodaß ich mehr Bewegungsfreiheit habe. Ich habe mich jetzt aufgerichtet - massenhaft Kissen überall - und die Fieberkurve als Schreibunterlage. So geht es aber einigermaßen. Es ist halt nichts, wenn man seine Briefe nicht selbst schreiben kann. -

Du wirst Dir denken können, Liebste, daß ich allerlei ausgestanden habe - doch man vergißt schnell - zu schnell! Jetzt wo man im herrlich weißen Bett liegt und wie ein Baby behandelt wird - sind die grauenvollsten Tage schnell vergessen. Ich will auch an garnichts mehr denken - nur eine Sache werde ich nie vergessen: es war kurz nach 24.00 Uhr als mich die Handgranate erwischte. Als ich dann so da lag, dachte ich: alles aus! Aber im gleichen Augenblick erwachte ein glühender Wille: Leben!

Dann habe ich garnichts mehr gedacht und bin zurück gelaufen - etwa 3 km - bis ich dann von den Kameraden einer anderen Komp. (meine eigenen Kameraden waren durch den Kampf nicht in der Lage sich um mich zu kümmern - ich war ja auch mal wieder zu weit vorne.) notdürftig verbunden wurde. Was dann folgte war ein einziger 5 tägiger Schmerzensweg bis zur nächsten Bahnstation, von wo aus es bis hierhin sehr schön ging. Die Aufnahme im Lazarett war natürlich wie ein Märchen. Ich wurde soweit das meine Verbände zuließen gebadet (bezw. gewaschen) rasiert, frisiert und kam in ein wundervolles, weißes, duftendes Bett. Das war ein Gefühl - einfach ultrabombastisch! - Na, soweit ist nun alles gut - jetzt warte ich nur noch auf den Abtransport in die Heimat. Leider wird das noch ein paar kleine Wochen dauern - bis ich wieder gesund bin, wird wohl ein halbes Jahr vergehen, meint die Schwester. - Nun, daß geht alles vom Krieg ab. Mit meiner ROB Geschichte ist es natürlich vorerst aus. Ich mache mir auch garkeine Gedanken darüber, wer weiß, was in einem halben Jahr ist - bis dahin läuft noch viel Wasser

den Rhein hinunter. Was meinst Du? - Ich habe vorerst andere Sorgen - rein ziviler Natur (!) - Du verstehst! -

Wie ich Dir schon mitteilte, habe ich kaum etwas gerettet. Lediglich meine Kartentasche mit Geldbörse, Brieftasche und meinen Papieren habe ich noch. Jetzt brauch’ ich natürlich wieder allerlei. Zunächst einmal mein Naicecairé. Dazu die Bitte: Fülle es mir auf: Ich brauche alles! Hoffentlich kannst Du nur wieder so etwas auftreiben. Ein Rasierapparat muß noch da sein, aber kein Pinsel und nicht[?]. Schick auch bitte meine Nagelbürste mit. Dann brauchte ich noch meine Aktenmappe und meine Brille. Sollte diese aber noch in Ürzig sein, so kannst Du mir sie ja gelegentlich einzeln schicken. (Übrigens brauchst Du jetzt keine Marken mehr - schicke bitte alles als DRINGEND.) -

Ich habe während der ganzen Zeit in Rußland keine Post bekommen; da wirst Du Dir denken können, wie ich mich nach Post von Dir sehne. Nun, nach hier geht ja alles geregelt.

Nun, mein Schatz - mach’ bitte gleich das

Päckchen fertig und schicke es ab. Ich muß mir ja alles pumpen, das ist mir peinlich.

Übrigens trage ich meinen Ring jetzt an der rechten Hand - jeder fragt mich nach meiner Frau - ich lach mich noch kaputt.

Laß mich jetzt schließen -

Liebste ich grüße und küsse Dich tausendmal

Dein Adi.