Andreas van Kann an Annliese Hastenplug, 18. Oktober 1943
Warschau, 18/10.43.
Meine liebe, gute Annelie!
Du wirst gewiß einen Brief aus einer deutschen Stadt erwarten - ja, auch ich dachte, ich könnte „dort“ einen schreiben. Aber leider haben wir - wie schon so oft beim Komiß - daneben gedacht. Doch ich mache mir weiter keine Gedanken darüber; mein Aufenthalt hier in Warschau wird auch nicht von langer Dauer sein. Leider weiß man nie, wann man verlegt wird. Dies ist im Bezug auf die Post natürlich äußerst dumm. So habe ich auch in Wilna keine Post bekommen, jetzt werden natürlich die Briefe (bzw. Deine Briefe!) massenweise dort eintrudeln. Leider schickt das Lazarett in Wilna sämtliche Post von den Verlegten an den Absender zurück. Jetzt dauerts nimmer lange, und ich habe ein viertel Jahr nichts mehr von Dir gehört. Wie mag es Dir gehen? Wie wirst Du wohnen? Und soviele Fragen habe ich! Nun - wenn ich ja jetzt in irgendein Lazarett nach Deutschland komme, (die meisten Verwundeten kommen von hier zum Harz!!) wirst Du mich ja gleich besuchen. Du - ich freue mich so darauf, wie
ich mich noch nie auf etwas gefreut habe. Weißt Du überhaupt, wie sehr Du mir gerade jetzt fehlst? Du mit Deiner großen, sorgenden Liebe müßtest bei mir sein, dann wäre alles gut. Gewiß wird für uns in vorbildlichster Weise gesorgt, doch man müßte einen Menschen haben, der ganz allein für einen da wäre - man müßte den geliebten Menschen in der Nähe wissen. Verstehst Du das, Annelie? -
Mit meiner Verwundung geht es ganz langsam bergauf. Verschiedene kleine „Löcher“ sind schon trocken. Von Wichtigkeit sind jetzt nur noch die Wunden in der Brust, auf dem Rücken, an der Hand und am Oberschenkel. Die Wunde am Ohr ist zu, jedoch befindet sich in unmittelbarer Nähe des Gehörganges ein Splitter. Der kann aber erst in Deutschland von einem Spezialisten weggenommen werden. Gestern habe ich wieder mal die Engelein singen gesehen und tanzen gehört. Beiliegender Splitter war gewandert und hatte glücklicherweise den Weg zur Brustwunde gefunden. Jetzt wurde das Biest herausgezogen - na, ich kann Dir sagen! Es war einfach himmlich. Ich bin aber trotzdem froh, daß schon einer auf diesem Wege heraus ist, der braucht schon nicht mehr herausgeschnitten zu werden. Jetzt sind es noch 14. Allmälig wird das Konto
reduziert. Einige Splitter, die den Organismus nicht behindern werden ja drinnen bleiben - das stört mich auch weiter nicht.
Übrigens hat’s Dich bei meiner Verwundung auch erwischt. Ich trug doch Dein Bild immer im Soldbuch, dieses in der oberen linken Rocktasche. Da ging der Splitter durch und damit durch Soldbuch und Bild. Jetzt stehst Du arg geschunden auf meinem Nachtschrank - neben Deinem arg zerschundenen Peps! -
Jetzt bin ich mal gespannt, ob Du mir die erwünschten Gegenstände schon abgeschickt hast. Das wäre ja ärgerlich, aber weiter nicht gefährlich; es kommt ja zu Dir zurück und dann kannst Du ja alles mitbringen, wenn Du mich besuchen kommst. -
Nun möchte ich doch, daß Du hierher schreibst - vielleicht erwische ich doch einmal einen Brief - man kann ja nie wissen!!
So grüße und küsse ich Dich
ganz lieb - tausendmal!
Dein Adi.