Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 10. November 1943

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Frechen, 10.11.43.

Mein lieber Adi!

Gestern habe ich endlich wieder einen kleinen Brief von Dir bekommen. Du armer Kerl hast also wieder starkes Fieber bekommen. Ich habe mir schon sowas Ähnliches gedacht, weil Du so wenig geschrieben hast. Solange es nicht lebensgefährlich und mit Schmerzen verbunden ist, ist es ja garnicht so schlimm. Die Zeit geht Dir ja nur vom Kriege ab. Das ist immer die Hauptsache.

Es ist ja schade, daß ich Dich noch nicht besuchen kann, aber das ist ja nicht so wichtig, wenn Du nur nicht wieder schnell nach Rußland mußt.

Einmal wird ja doch der Tag kommen, wo wir uns endlich wiedersehen.

Mein Gott, wenn ich bedenke, Du wärest

noch in Rußland - verrückt würde ich.

Ich habe ja oft eine wahnsinnige Sehnsucht nach Dir. Aber was nutzt das alles schon. Allmählich haben wir ja warten gelernt. Und sicher könntest Du jetzt gut Gesellschaft gebrauchen, den ganzen Tag im Bett liegen, muß doch furchtbar langweilig sein. Liegen wenigstens nette Kameraden bei Dir auf dem Zimmer? Wieviel Mann liegen überhaupt auf einem Zimmer?

Sonntag werden wir bestimmt wieder anrufen. Ich muß doch unbedingt nochmal Deine liebe Stimme hören. Hast Du mich auch noch lieb? Schreibe mir bitte mal einen ganz lieben Brief. Ich bin doch sooo liebebedürftig! Oder hast Du garkeine Sehnsucht nach mir? - Jetzt bist Du sicher sehr dünn und ich wirke wie ein Riesenweib gegen Dich. Ich kann mir fast garnicht mehr vorstellen, wie Du aussiehst. Wir haben uns ja auch

drei Monate nicht mehr gesehen, eine verdammt lange Zeit.

Wie schön wäre es, wenn Du jetzt noch in Wahn lägest, jetzt wo ich tun und lassen kann, was ich will. Nun ja bei uns kommt eben alles zur verkehrten Zeit: Mal hast Du keine Zeit, Mal habe ich keine. -

Habe ich Dir schon geschrieben, daß Lia Bender eine Tochter bekommen hat? Ich glaube, daß habe ich schon geschrieben. Margot Weber ist auch in anderen Umständen. Ich habe sie kürzlich mal mit Ihrer Mutter an der Haltestelle gesehen. Da hat sie sich schon so komisch benommen. Ich merkte, daß ihre Mutter ihr was sagte, als sie mich sah, darauf drehte Margot mir die ganze Zeit den Rücken zu. Ich hab’ natürlich gleich gesehen, was los war.

Heute morgen hörte ich von Anni, daß sie in Kürze heiraten will. Weißt Du wen? Den kleinen blonden Geschäftsführer vom Café Wien. -

Sonst weiß ich im Moment nichts Neues.

Hoffentlich geht es Dir wieder besser. Jetzt küsse ich Dich ganz schnell gesund - so ...... u. s. w.

Tausend Küsse

Deine Annelie.