Andreas van Kann an Anneliese Hastenplug, 31. Dezember 1943

Budweis, 31/12.43.

(22.00 h)

Meine liebe, gute Annelie!

Bis jetzt bin ich in der Stadt gewesen, mitten im Sylvester-Trubel! Ich wollte noch mal sehen, wie so etwas ist. Annelie, glaub’ mir, es hat mich angekotzt! Deswegen habe ich mich auch schon bald auf die Socken gemacht - und jetzt sitze ich hier ganz allein. Das ist schön, und gerade recht, um einmal einen kleinen Rückblick zu tun.

Die ersten Monate, Liebste, waren eine herrliche Zeit: Wahn! Wie ein Märchen steht diese Zeit jetzt vor mir: unwirklich und so schön. Wie herrlich war es doch: jeden Sonntag waren wir bei-

sammen und oft auch Mittwochs! - Ja, das waren noch Zeiten ...

Dann kam meine Frankreichzeit mit dem großen Urlaub! Obwohl uns ja der Wettergott nicht hold war - schön war’s doch. Überhaupt: War es nicht immer schön, wenn wir beisammen waren! - Weißt Du noch, wie mir auf dem Neumarkt im strömenden Regen die Schuhe aufplatzten? Und die Kinos fingen alle nicht so an, wie es uns paßte; bis wir dann endlich uns im Delft bei einer Tasse „Kaffee“ etwas angetrocknet haben. Und ich war so patzig, weil doch so alles schief gegen[!] war und so manche Waldpartie wegen Regen in der Lindenstraße stattfinden

mußte. Und im Eisstadion hätten wir uns auch beinahe etwas abgeschnattert! - -

Dann fuhr ich wieder nach Frankreich, der Zug hatte noch so viel Verspätung, weißt Du’s noch! -

Nun kam bald eine ganz schlimme Zeit. Glaub mir’s, Annelie, was ich in der Zeit der Angriffe auf unsere schöne Stadt ausgestanden habe, ist unbeschreiblich. Und wie glücklich war ich, als ich die Nachricht bekam, daß Du noch gesund seiest. Und dann bin ich wieder gekommen - Ihr hattet alles verloren! Das war schmerzlich. - Ürzig war auch schön, aber das Schönste in diesen Tagen war Koblenz! Liebste, denkst Du noch oft daran? - Es war beinah so

schön, wie unsere Brautnacht, damals im Bergischen Hof! - Wir waren so glücklich. -

Dann kam ich eines Tages zu Dir nach Wittlich! Und habe Abschied genommen ...

Das war schwer! - -

An das Folgende mag’ ich garnicht denken - war ich in Rußland erlebt habe läßt sich nicht beschreiben! - Und keine Post, nicht, garnichts.

Das war hart. -

Aber, ich will es vergessen, es hat ja keinen Sinn, darüber zu grübeln. Es hat ja alles gut gegangen und nun, heute, am letzten Tag dieses wechselvollen Jahres bin ich eigentlich

[Ende Brief! - Unvollständige Fortsetzung auf Karte:]

 

hinkommen. Wie immer!

Ach bitte, Liebste, laß mir doch die Freude der Überraschung; ich denke bestimmt an Dein „Christkindchen“ - wie könnte ich’s auch vergessen! - -

Die Kameraden sind gerade gekommen, da wollen wir jetzt ein bißchen feiern - es ist ja erst 23.00 h; die letzte Stunde ist angebrochen! - -

Hoffentlich kommst Du auch gut rein! -

Viele liebe Grüße + einen langen Kuß

Dein Adi.