Andreas van Kann an Anneliese Hastenplug, 20. September 1944
20.9.44.
Meine liebe Annelie!
Noch nie war ich auf den Wehrmachtbericht so gespannt wie in diesen Tagen. Dauernd lebe ich in den Vorstellungen, daß die Heimat jetzt vom Kampfgeschehen erfüllt ist. Dieses Bewußtsein ist für mich umso schmerzlicher, als ich um die Schrecken des Schlachtfeldes weiß. Wir Soldaten aber sind nun für diese Dinge ausgebildet und wissen uns zu verhalten, aber ihr in der Heimat, ihr Frauen vor allem, habt doch kaum Ahnung davon. Es hätte auch keinen Sinn, wenn ich Dir jetzt im Brief genaue Verhaltungsmaßregeln geben würde - im Ernstfall handelt man doch nicht danach, wenn einem diese Dinge nicht in Fleisch und Blut übergegangen sind. Eines nur will ich Dir dringend raten: Wenn bei uns daheim Kampfhandlungen stattfinden und Ihr seid noch da, dann auf jeden Fall Ansammlungen von Menschen und Material meiden. Auf freiem Feld, in einem Erdloch, ist man am allersichersten. Mein Gott, könnte ich Dir doch helfen jetzt. Du glaubst garnicht, wie mich das quält, daß ich hier zusehen muß,
und nichts daran ändern kann, daß ich Dir nicht helfen kann. Annelie - mach’ es bloß richtig und gut. Wenn Du mir nur erhalten bleibst, dann ist alles gut. Alles, aber auch restlos alles ist fürchterlich nebensächlich. Und wenn wir auch Steine kloppen müßten, wie Du so lieb schriebst, in Gottes Namen! Aber Dich haben will ich - muß ich - weil ja sonst doch alles sinnlos wäre.
Drei liebe Briefe muß ich Dir noch beantworten, seit Sonntag bin ich nicht mehr zum Schreiben gekommen. Ich kann mir vorstellen, daß Ihr wahnsinnig viel zu tun habt - die Leute haben ja auch recht, das sie ihr Geld abheben - ich kann das sehr gut verstehen. Wir können eigentlich froh sein, daß wir noch nichts haben, so kann uns wenigstens nichts kaputt gehen. Ach - es ist ja alles so maßlos traurig! Womit hat man das eigentlich alles verdient! Es ist zum Kotzen ...
Ja, Liebste, wegen der Heiratspapiere brauchst Du Dich jetzt wohl nicht mehr zu bemühen, daß dürfte jetzt wohl ein Windei sein - ja wir standen wiedermal ganz nahe vor dem Ziel. Wenn Du die Papiere noch nicht
abgeschickt hast, so laß es bitte. Ich kann ja nun auch nichts mehr damit anfangen, und wenn wir dann mal zum Heiraten kommen, brauch’ ich gewiß keine Genehmigung vom Kommiß mehr! Was meinst Du?! - Wenn es bloß mal bald wäre ...
Ein Kamerad bekam heute auch Post aus Köln mit der Vermutung, daß die Stadt als offene Stadt erklärt werde. Was sollte man auch um einen Trümmerhaufen kämpfen! Lohnt sich ja kaum noch! - Auch ich glaube, daß, wenn wir dieses alles überstanden haben, für uns ein ganz neues Leben beginnen wird. Wie und wo, daß ist mir furchtbar gleichgültig. Wenn ich Dich nur wieder habe, alles andere ist so schrecklich gleichgültig.
So laß mich schließen. Hoffentlich bekomme ich noch weiterhin Deine lieben, lieben Briefe.
Immer Dein Adi.
Mach’s gut, liebe, gute Frau!!