Andreas van Kann an seine Freundin Annelie, 2. Oktober 1944
Thorn, 2.10.44.
Meine liebe Annelie,
heut’ bekam ich Deinen lieben Brief vom 29. - Du, ich kann nicht verstehen, wo meine Post eigentlich bleibt, ich habe doch regelmäßig geschrieben, wenn auch immer ein paar Tage dazwischen liegen; aber 14 Tage sind das nie gewesen. Dann hast Du auch meinen neunseitigen Nachtbrief und die Fotos noch garnicht bekommen. Schade; nun - ich lege Dir zu diesem Brief noch mal ein Foto - ich habe ja 6 Stück davon, eins behalte ich selbst - Du hast, bzw. bekommst 3 - meine Eltern haben eins und nach Koblenz habe ich auch eins geschickt. Sie sind ja alle gleich.
Ich bin froh, jetzt endlich Nachricht - nach dem Terrorangriff - von Dir und den Eltern zu haben; ich hatte mir verständlicherweise wieder Sorgen gemacht - nun, daß ist ja fast ein Dauerzustand geworden. Schon gut, daß Du nicht in der Stadt warst, bei uns ist ja wieder allerhand in die Binsen gegangen. Weißt Du, die Leute, die nichts mehr haben, sind eigentlich beneidenswert, nun, die brauchen sich um nichts mehr Gedanken
machen. Doch laß mich nicht freveln - wie froh müssen wir sein, daß wir immer noch einen Stützpunkt in Köln haben. -
Nimm Dir doch gleich das Zimmer in Frechen, damit die Fahrerei endlich aufhört. Das ist ja eine ungeheure Strecke, die Du da täglich zurücklegen mußt von Heumarkt bis Hohenlind; das sind ja direkt Fußmärsche. Wann wird das wohl endlich mal ein Ende haben?
Da wird ja unsere Stadt um einige Trümmerhaufen reicher geworden sein, ich denke in diesem Zusammenhang auch an unsere Papiere, die uns noch fehlen. Ob jetzt noch Möglichkeiten bestehen, das alles noch zu beschaffen? Es ist ja eigentlich lächerlich: da wird propagiert, daß man heiraten soll und dabei macht man einem solche Schwierigkeiten, die auf Grund der Zerstörung fast nicht zu lösen sind. Nun ich hab’ die Ortsgruppe „Horst Wessel“ angegeben - soll der Komiß sehen, wo er die entsprechenden Papiere herbekommt. Ich setze natürlich soviel Druck dahinter, wie ich eben kann, denn ich will unter allen Umständen bis zum November die Genehmigung bekommen. -
Ich schrieb Dir gestern von einer Reise zu mir, mein Frauchen; nun - hast Du Dir’s mal
überlegt? Ich will Dir nicht mehr dazu schreiben, Du mußt schließlich selbst entscheiden. Daß ich von hier gleich zur Front komme, glaube ich kaum - nach Mülheim werde ich wohl auf jeden Fall müssen. Das ich dann natürlich über Köln fahre, das dürfte doch wohl klar sein. Inwieweit es stimmt, daß der Oberfähnrich-Lehrgang ausfällt, weiß ich nicht - zwar wird allgemein davon gemunkelt, doch weiß niemand etwas Genaues. Wir rechnen aber alle damit, weil es ja nicht anders zu erwarten war. -
Hier hat jetzt ein tolles Wetter begonnen, es wechselt ab mit Regen, Sturm und empfindlicher Kühle. Ein richtiger Ost-Herbst. Ich denke jetzt so oft an die Zeit vor einem Jahr. Jetzt um diese Tage lag ich zerschunden, halbtot in einem Güterwagen und rollte in Richtung Heimat. Es will mir garnicht in den Kopf, daß dies schon ein ganzes Jahr her sein soll - die Zeit ist ja so schnell verflogen. Das ist eigentlich gut, daß die Zeit so schnell vergeht! Aber so schnell vergeht auch unsere Jugend - Gesundheit, ja - Annelie - das ist der aparte Krieg! Eins weiß ich aber, was trotz allem gut und rein
aus diesem Chaos hervorgehen wird: Das ist unsere Liebe. Wenn uns das Leben erhalten bleibt, Liebste, dann sind die Wunden des Krieges schnell geheilt. Ich weiß, wie schnell die Natur sich selbst hilft ...
Heute bin ich wieder sehr müde; gleich gehe ich zu Bett und werde an Dich denken - in Gedanken bei Dir sein, Dich ganz fest in den Arm nehmen und küssen, Liebste, ganz, ganz wüst! O-ja! Ich hab’ Dich doch so lieb! -
Ich grüße und küsse Dich, Annelie
Dein Adi.