Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 15. Oktober 1944
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Koblenz, den 15.10.44
Mein lieber Adi!
Von den Strapazen des gestrigen Tages hat Dir sicher Deine Mutter schon berichtet. Ich konnte erst gestern Nachmittag um vier Uhr von Köln-Süd abfahren. Als ich in Koblenz ankam, war es schon stockfinster. So bin ich denn über die Trümmer gestolpert bis zur Stademannstraße. Überall nur Ruinen und nochmals Ruinen. Unser schönes Häuschen auch ausgebrannt bis - nun staune - auf unsere Wohnung. Ich konnte aber gleich daraus ersehen, daß ein gutes Stück Arbeit daran gehangen haben mußte. Es ist keine Treppe, keine Tür mehr am Haus, nur noch unsere verkohlte Korridortüre. Wenn Du dann
in unsere Wohnung kommst, denkst Du, es sei nichts geschehen (aus dem Fenster schauen, darfst Du allerdings nicht!) So stand ich also gestern abend vor unserem Haus, aber es war noch nicht mal ein Zettel daran, wo sich meine Eltern befänden. In der Wohnung meines Onkels waren sie auch nicht. So habe ich die Nacht im Bunker verbracht. Heute morgen bin ich auf Suche nach ihnen gegangen. Da erfuhr ich, daß meine Mutter auf dem Hunsrück und mein Vater im Krankenhaus läge. Endlich um 11 Uhr hab’ ich ihn im Krankenhausbunker Marienhof gefunden. Er ist sehr krank und hat hohes Fieber, alles von der Löscherei. Vater erzählt, sie hätten mit aller Gewalt versuchen wollen, das Häuschen zu retten. Er und Herr Beerens hätten auf dem Speicher gestanden und das Feuer aus dem Nachbarhaus mit nassen Tüchern
und einer Eimerspritze zurückgehalten. Mutter hätte auch tüchtig mitgeholfen. Doch es war ja kein Wasser da, nur das, was in Bütten in der Waschküche stand. Zuletzt konnten sie sich oben nicht mehr halten. Da hat Vater die Korridortüre ausgehängt und hier das Feuer zurückgeschlagen und mit Erfolg. Unsere Wohnung ist nun Obdachlosenasyl für die ganze Nachbarschaft. Vater hatte zuerst zwei Tage mit Rauchvergiftung im Krankenhaus gelegen. Er konnte garnichts mehr sehen. Nach zwei Tagen hat man ihn entlassen. Mutter ist Freitag mit einem Militärauto zum Hunsrück gefahren.
Am Samstag konnte sich Vater nicht mehr auf den Beinen halten, da kam die Erkältung erst richtig zum Durch-
bruch. Er war beim Löschen nämlich bis auf die Haut durchschwitzt. Mutter weiß garnicht, daß Vater krank ist. Ich will nun bei ihm bleiben bis Mutter wiederkommt. Sie wollte Montag oder Dienstag wiederkommen!
Die Nacht will ich hier kampieren. Zivilisten dürfen nämlich hier in den Gängen auf Liegestühlen schlafen.
Am Freitagabend trafen Deine Mutter und ich uns mit Adele auf dem Bahnhof. Das arme Mädchen kommt nach Dramburg/Pommern zur Ausbildung an den Scheinwerfern. Alles andere kannst Du Dir ja denken. Sie hat nicht einmal auf das Telegram hin Urlaub bekommen. Ach Liebster, ich bin so tieftraurig. Ich habe solches
Heimweh nach Dir. Wenn Du doch nur bei mir wärest. Ich möchte mich so gerne einmal wieder in Deine Arme lehnen, garnichts denken brauchen nur bei Dir sein. Ich bin es oft so satt und meine mit manchem alleine garnicht fertig zu werden. Hoffentlich wirst Du nächsten Monat kommen. Mein Gott, fast kann ich’s nicht mehr erwarten. Ich hab’ Dich doch so lieb. Nun habe ich schon sei Mittwoch keine Post mehr bekommen. Die liegt jetzt sicher in Frechen. Na, desto mehr hab’ ich, wenn ich wieder zurück komme.
Liebster, ich muß nun schließen, mir tut der Arm weh, ich schreibe nämlich auf dem Schoß.
Tausend liebe liebe Küsse
Deine Annelie.
Grüße von Vater.