Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 26. Oktober 1944
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P27 fnh 360143 Skoda
Frechen, den 26.10.44.
Mein lieber Adi!
Diesen Brief werde ich einer Frechener Kundin mitgeben, die morgen nach Thorn fahren will um ihren Mann zu besuchen. Die Glückliche! Wie gerne wollte ich mit ihr fahren, aber leider! Nun, so will ich wenigstens die günstige Gelegenheit ausnutzen und der Dame diesen Brief für Dich mitgeben. Sie wird ihn in Thorn in den Briefkasten werden und so hast Du ihn jedenfalls eher, als wenn ich ihn hier einwerfe. Wenn die Post
nach Thorn nämlich genau so langweilig läuft, wie von dort nach Frechen, so wirst Du auch schon längere Zeit nichts mehr von mir gehört haben. Dein letzter Brief war vom 2.10. Die betreffende Dame, Frau Kleefisch, bekam heute ein Telegram, in dem ihr Mann dringend um Nachricht bat, wie es ihr während der Angriffe ergangen hat. Anscheinend hat also der Mann auch schon sehr lange keine Post mehr bekommen.
Du Ärmster, sicher machst Du Dir auch große Sorgen um uns. Nun ja, bis heute hat ja noch alles einiger-
maßen gut gegangen. Ich bin schon glücklich, daß ich hier in Frechen Unterschlupf gefunden habe. Heute kann man ja zu jeder Tageszeit mit Fliegeralarm rechnen und dann ist es besonders unangenehm, wenn man unterwegs ist. Am vorigen Samstag war ich gerade ein Stück hinter Stüttgenhof als Großalarm kam. Es blieb uns nichts anderes übrig als ins Gebüsch zu laufen. Am heimtückischsten sind wohl die Tiefflieger. Die Biester sausen den ganzen Tag durch die Luft. Wann hat das alles mal ein Ende?! - Wenn ich
so bedenke - nun kann diese Frau morgen zu ihrem Gatten fahren. Wie ich sie beneide! Wenn wir schon verheiratet wären, hätte ich Dich auch ganz bestimmt einmal besuchen können. Doch wer gibt mir so das Recht dazu? Du kennst ja das Recht der Bräute! Um den Bräutigam zu besuchen, bekommt man heute keinen Urlaub mehr, wohl aber, wenn es sich um den Mann handelt. Nun ja, das Wort Braut und Bräutigam ist ja auch ein weitgehender Begriff. Wie sollen wir Beide nun ausgerechnet der Welt beweisen, daß es für uns nur ein
Begriff diesbezüglich gibt?! -
Gott sei Dank, einen Trost habe ich ja immer noch! In etwa vierzehn Tagen wirst Du bei mir sein! O, Du, wie ich mich freue! Ich kann’s Dir garnicht sagen. So, wie jetzt habe ich mich noch nie auf einen Urlaub, bezwecks[!] auf ein Wiedersehen gefreut. Denn es ist doch sicher fraglich, ob Du jetzt Urlaub bekommst, wo Du noch einen zweiten Lehrgang mitmachst. Aber ein, zwei Tage wirst Du doch sicher kommen oder nicht?! Bitte, bitte ja!
Ich habe doch solche Sehnsucht nach Dir. Dich wieder küssen dürfen und
durch Deine Haare wühlen können. Wie ich mich nach jeder lieben kleinen Gewohnheit von Dir sehne, wie Du immer - phh - machst. Wenn ich daran denke, muß ich immer lachen. Lieber Du! Jede einzelne Bewegung kenne ich doch von Dir und sie sind mir so vertraut. Wie lieb hab’ ich Dich doch! Mein Gott, noch vierzehn Tage und ich habe Dich wieder in Fleisch und Blut vor mir stehen und ich brauche mir Dein Bild nicht mehr im Geiste vor Augen zu halten. Ist es denn überhaupt wahr, lieber
lieber Adschki! - Freust Dich auch so unbändig? Es ist ja eine Schande! Bedenke mal, vier Monate waren wir in einem Reich beisammen, täglich hätten wir uns sehen können - und trotzdem konnte es nicht sein - weil man nicht darf - weil man arbeiten muß - Du in Thorn und ich in Frechen. Manchmal kann ich das garnicht begreifen. - Ich bin halt ein dummes Mädchen! - Heute war ich wieder zweimal zur Post und immer noch kein Brief von Dir dabei. Ich bin so unglücklich. Man sagte mir wohl, sie hätten noch
vier Säcke mit Post dastehen, aber unsortiert. Vielleicht ist morgen früh etwas dabei. Hoffentlich!
Von den Eltern bekam ich heute Post. Vater liegt noch immer im Krankenhaus und Mutter sitzt Tag und Nacht bei ihm im Bunker, weil sie solche Angst hat und nicht weiß, so sie sich aufhalten soll. Das ist ein Leben! - Von Adele habe ich noch nichts gehört. Ich mache mir solche Sorgen um sie. - So, nun habe ich Dir aber einen langen Brief geschrieben. Hoffentlich freust Du Dich etwas darüber.
Lieber, recht liebe Grüße und einen besonders heißen festen Kuß! - - -
Komm’ bald!
Deine Annelie.