Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 16. November 1944

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Frechen, den 16.11.44

Mein lieber Adi!

Heute habe ich endlich nochmal einen Brief von Dir bekommen, der erste seit langer, langer Zeit. Er trägt das Datum vom 29.10. und ist zwar gänzlich von den Tatsachen überholt, aber trotzdem habe ich den ganzen Tag ein Glücksgefühl verspürt. Du schriebst in diesem Brief, daß Du bestimmt in einigen Tagen bei mir wärest und daß Du Dich so darauf freuen würdest. Die neuen Bestimmungen müssen mithin ganz plötzlich für Euch eingetreten sein, denn Dein Telegramm sprach doch von einem neuen Lehrgang in Königbrück. Ich kann mir denken, daß auch Du sehr enttäuscht warst. Hier lebt man ja einesteils wie auf dem Monde. Ich habe jetzt auch festgestellt, daß es sozusagen das Schlimmste für den Menschen ist, wenn er auf Post wartet, sehnsüchtig wartet und - keine bekommt.

Bestimmt, es ist ein furchtbares Gefühl. Ich kann jetzt die Soldaten immer besser verstehen. Nun ja, wir sind ja auch halbe Soldaten. In den stillen Abend herein rollt der Donner der Front - schon stundenlang! Man gewöhnt sich allmählich an das Geräusch. Nun ja, solange es einem noch nichts anhaben kann, ist es ja halb so wild. Überhaupt wird man mit der Zeit viel abgeklärter. Ich will damit beileibe nicht sagen, daß ich heute lieber sterben möchte als früher - aber man ist doch nicht mehr so überspannt ängstlich. Das würden ja auch auf die Dauer die Nerven garnicht aushalten. Allmählich bekommt man Routine darin, wann es Zeit ist, in den Keller zu laufen. Heute hatten wir zum Beispiel von 11 Uhr bis ½ 5 Großalarm. Stell’ Dir mal vor, wenn ich die ganze Zeit im Bunker sitzen müßte bei der Kälte. Da setzt man sich eben „sprungbereit“ an den warmen Ofen in der Kasse. Nun ist es ½ 7 Uhr. Es wird nicht mehr lange dauern bis die Sirene wieder geht! -

Liebster, hast Du meinen Brief eigentlich nicht bekommen, den ich Mitte Oktober schrieb und den ich einer Nachbarsfrau, die nach Thorn fuhr, mit-

gegeben hatte, ihn dort in den Kasten zu werfen.

Die betreffende Dame ist heute zurückgekommen. Sie fragte mich, ob ich Antwort auf meinen Brief bekommen hätte, sie hätte ihn dort gleich in den Kasten geworfen. Nun, vielleicht hattest Du ihn doch erhalten und Dein Antwortschreiben ist unterwegs verloren gegangen. Es ist ja so viel Post vernichtet worden, unterwegs und auch in Köln. Ich selbst konnte Dir auch vierzehn Tage nicht schreiben, da hier sämtliche Briefkästen gesperrt waren, also praktisch - keine Post befördert werden konnte. -

Liebster, glaubst Du denn garnicht, daß Du einmal für ein paar Tage nach hier kommen kannst? Es bekommen doch jetzt so viele Soldaten Urlaub. Ich kann’s garnicht fassen, daß ausgerechnet Du keinen Urlaub bekommst, Christian Ohrem war doch kürzlich auch zweimal hier. Wenn Du kommst, kannst Du mit jedem L.K.W. fahren. Die haben alle Weisung, sämtliche Passanten mitzunehmen. An verschiedenen Verkehrspunkten,

steht sogar Wehrmachtsstreife, die die Autos anhalten. Straßenbahnen fahren noch keine und werden auch in Köln keine mehr fahren. Von Frechen-Bahnhof bis Hohenlind fährt eine Bahn von einer Lokomotive gezogen (stündlich). Wenn ich nach Köln fahre, benutze ich meistens diese und gehe ab Hohenlind zu Fuß, weil es mir auf den L.K.W. zu sehr zieht. Übermorgen, Samstag werde ich mich mit Deinen Eltern in Köln treffen. Ich bin mal gespannt, ob sie schon Nachricht von Dir haben. Ich warte ja nun auch sehnsüchtig auf den ersten Brief aus Königsbrück.

Übernächste Woche will ich mal versuchen, zum Frankenforst zu kommen, ich bin schon so lange nicht mehr dort gewesen. Wenn ich nur wüßte, ob ich Deinen Dolch und die Mütze mitbringen soll?! Ich denke ja! - Du, die letzten Zeilen in Deinem Brief waren so lieb. Du freust Dich so auf das Wiedersehen und nun war doch nicht daraus geworden. Ich habe auch solche Sehnsucht nach Dir, nur nach Dir! Wie lange müssen wir denn noch getrennt sein?

Nimmt es denn garkein Ende, dieses warten?! Siehst Du ich bin mal wieder recht ungeduldig, dabei soll ich mich doch jeder Minute freuen, die Du noch in der Heimat bist. Glaub’s mir, ich tu’s auch! Wenn ich mir vorstelle, daß Du jetzt an der Front wärest! - Nein lieber nicht daran denken. -

Weißt Du, wir wollen unsere Briefe jetzt immer wieder nummerieren, damit wir ungefähr wissen, wie viele dazwischen liegen, die nicht angekommen sind.

Das hier ist also der 2. Brief, den ich nach Königsbrück schicke. - Von Adele erhielt ich heute endlich den ersten Brief von ihrem Ausbildungsort. Das arme Mädchen tut mir so leid. Die werden so gezwiebelt. Ihr Brief war vom 3.11. Wahrscheinlich ist sie jetzt schon in Berlin am Scheinwerfer eingesetzt. Ich bin mal gespannt, wie ihre nächsten Nachrichten lauten. Die haben wir bestimmt auch gesehen bis der Krieg zu Ende ist! Es ist doch traurig und tut sehr weh.

Nun Herzliebster, laß mich schließen, ich muß noch einige Briefe schreiben. Denk’ viel an mich und hab’ immer lieb

Deine Annelie.

Einen ganz heißen Kuß!