KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse

Gutachten über Klasse OI a:

Die Klasse OIa, die jetzt noch 15 Schülerinnen hat, wurde Ostern 1946 als OIIa neu zusammengestellt.

Die Schülerinnen, die aus recht verschiedenen Schulen kamen, brachten sehr verschiedene Vorbildung mit. Nur sehr langsam haben sie sich zu einer geschlossenen Gemeinschaft zusammengefunden. Alle 15 Oberprimanerinnen sind ausnahmslos wertvolle junge Menschen, die zielstrebig an ihrer Charakterbildung arbeiteten und immer starkes Interesse für alle menschlichen und philosophischen Probleme zeigten.

Im Unterricht arbeitete die Klasse ruhig, aber mit gleichbleibendem Fleiss. Bei vielen guten Durchschnittsbegabungen kann die Klasse aber die Leistungen nicht aufweisen, die wir von einer Oberprima nach achtjährigem Besuch einer höheren Schule erwarten, da einerseits immer wieder Lücken der Mittelstufe, die in den langen Kriegsjahren entstanden, auszufüllen waren; anderseits die unzureichende Ernährung, die weiten Schulwege, die beengten Wohnungsverhältnisse, häusliche Pflichten und der Büchermangel nicht volle Leistungsfähigkeit zuliessen.


Beurteilung

Anneliese M. ist von ruhig gleichmässig, heiterer Gemütsart, die nach aussen zuweilen phlegmatisch wirkt. Sie arbeitet im Unterricht still aber aufmerksam mit, ohne aktiv hervorzutreten. Ihre Art kann man am besten verstehen, wenn man beachtet, dass Anneliese als ein vom Elternhaus und Pensionat sorgfältig gehütetes Kind, lange Zeit geführt worden ist. Zuweilen fällt sie durch eine gute schriftliche Leistung auf. Bei mittelmässiger Begabung hat sie nur genügende Leistungen erzielt. Ihre Vorliebe gehört der Musik und den Büchern.

Sie ist als gute Kameradin von allen geschätzt.

Lebenslauf

Am 14. März 1930 wurde ich als Tochter des Fabrikanten Paul M. und seiner Gattin Sofie M., geb. H., in Köln-Nippes geboren. Bis 1933 bewohnten wir eine hübsche Villa in Frechen. Unser Haus lag in einem herrlichen Garten mit ausgedehnten Rasenflächen, hohen Bäumen und undurchdringlichem Gebüsch, in dem man sich so schön verstecken konnte. Hier spielte ich nach Herzenslust mit meiner 1 ½ Jahre älteren Schwester. Mit Vorliebe spielte ich in unserem großen Sandkasten, wo ich mich stundenlang allein beschäftigen konnte, oder ich tollte mit unserem großen, struppigen Schäferhund Lux, an dem ich mit Zärtlichkeit hing und der mir immer wie ein getreuer Schatten folgte, durch den Garten. In dieser schönen Umgebung wuchs ich auf und wußte kaum etwas von dem Lärmen und Hasten außerhalb meiner kleinen Welt. Für Puppen interessierte ich mich noch nicht sehr. Da war mir mein Schaukelpferd lieber, auf dem man so wild reiten konnte. Manchmal durfte ich auch mit in unsere Fabrik gehen. Dann bestaunte ich die mächtigen braunen Tonröhren oder knetete aus dem weichen noch unverarbeiteten Ton Würste, Schlangen und Phantasiegebilde.

1933 zogen wir nach Düsseldorf und zwar zunächst in die Lindenstraße, wo wir in einem großen Haus das Unterhaus gemietet hatten. Dieser Umzug bedeutete für mich eine ziemlich große Umstellung. Ich durfte jetzt nicht mehr soviel herumtollen, sondern mußte auch auf die anderen Mieter Rücksicht nehmen. Da mir dies nicht ganz gelingen wollte, steckten meine Eltern mich in einen Kindergarten. Sehr schnell hatte ich mich mit meinen kleinen Spielgefährten angefreundet. - Zu meinem 4. Geburtstag bekam ich eine Puppe geschenkt, von der ich mich bald nicht mehr trennen konnte. Sie blieb immer mein auserkorener Liebling, obwohl sie durch meine Zärtlichkeit mit der Zeit unansehnlich geworden war. Oft spielte ich nun mit meiner Schwester zusammen mit den Puppen. Manchmal gaben wir auch kleine Theatervorstellungen mit ihnen, zu denen wir unsere Spielgefährten als Pup[!]likum einluden.

1936 zogen wir in das Zooviertel, eines der schönsten Viertel Düsseldorfs, um. Nun hatten wir wieder ein eigenes Haus, und, was noch schöner war, wieder einen großen Garten. Als ich Ostern 1936 in die katholische Volksschule am Paulusplatz kam, nahm mein sorgloses Leben ein Ende. Ich hatte mich schon seit langem auf die Schule gefreut, die meine Schwester schon seit einem Jahr besuchte. Das Lernen fiel mir nicht schwer. Nur wollte mir garnicht gefallen, daß man während des Unterrichtes nicht schwätzen durfte und immer stillsitzen mußte. Auch nachmittags konnte ich nun nicht immer spielen, sondern mußte zu meinem großen Leidwesen zuerst die Schularbeiten machen, was mir bei meiner Lebhaftigkeit nicht leicht wurde. Ich lebte mich sehr schnell in der Schule ein, und bald hatte ich einen umfangreichen Freundeskreis, der meine Interessen teilte. In der folgenden Zeit entwickelte ich mich zu einem regelrechten Wildfang; kein Baum war zu hoch und kein Graben zu tief. Um meiner Herumstrolcherei etwas Einhalt zu gebieten, ließen meine Eltern mir Klavierstunde geben. Zuerst war ich gar nicht begeistert davon, denn es war mir viel zu langweilig, mich mit den dummen unverständlichen Noten abzuquälen. Langsam aber erschloß sich mir in der Musik eine neue Welt, die mich schon bald ganz gefangen nahm. Wenn ich nun Klavier spielte, vergaß ich alles um mich her. - Allmählich befriedigte mich auch mein Lausbubenleben nicht mehr. Oft saß ich jetzt in einem Eckchen und verschlang mit leuchtenden Augen Märchen, Tiergeschichten und ... Indianergeschichten. Bald war ich eine kleine Leseratte, und nichts schien mir schöner, als wenn wir abends gemütlich beisammensaßen ein Kapitel aus einem hübschen Buch lasen oder, was noch schöner war, musizierten. Obwohl ich gerne in die Schule ging, freute ich mich doch immer riesig auf die Ferien, besonders auf die Sommerferien. 1936 verlebten wir herrliche Ferienwochen in Bad Kreuznach, 1937 in Königstein im Taunus, und 1938 ging es nach Niendorf an der Ostsee. Obwohl es mir überall gut gefiel, freute ich mich doch jedesmal, wieder nach Hause zu kommen. Im September 1939, als wir gerade in den Ferien im Taunus weilten, brach der Krieg aus, und wir reisten fluchtartig nach Hause. Da ich nun vier Jahre lang die Volksschule besucht hatte und das Lernen mir nicht schwer fiel, beschlossen meine Eltern, mich in eine höhere Schule zu schicken. So kam ich im Herbst 1940 in die Augusta Viktoria Schule in Düsseldorf. Der Übergang in die höhere Schule bedeutete für mich keine sehr große Umstellung, da ich mich von meinen Freundinnen nicht zu trennen brauchte. Auch die mir bis dahin unbekannten Fächer wie z. B. Englisch machten mir keine Schwierigkeiten. - Allmählich machte sich der Krieg auch bei uns bemerkbar. Die Fliegeralarme wurden immer häufiger, und auch die ersten Angriffe ließen nicht auf sich warten. Deshalb beschlossen meine Eltern uns, meine Schwester und mich, in ein Internat zu geben und zwar nach Süddeutschland, das damals vom Kriege noch ziemlich verschont geblieben war. So kamen wir im März 1943 nach Erlenbad in eine Klosterschule. Dort verlebte ich die bisher schönsten Jahre meines Lebens, die auch auf meine Charakterbildung entscheidenden Einfluß hatten. Zunächst war Erlenbad nur ein kleines Internat, da alle Klosterschulen damals offiziell verboten waren. Das Leben in der Gemeinschaft bedeutete für mich eine große Umstellung. Vor allem mußte ich lernen, mich anderen unterzuordnen, und bald sah ich ein, daß meine egoistischen Wünsche nicht immer erfüllt werden konnten. Wir wurden vor allem zu großer Selbstständigkeit[!] erzogen, um später einmal unser Leben meistern zu können. Ich lebte mich sehr schnell in dieser netten Gemeinschaft ein, und unsere Klasse war bald ein Herz und eine Seele, obschon es für uns Rheinländer nicht leicht war, uns mit den für unsere Begriffe etwas steifen und zurückhaltenden Badensern anzufreunden. Trotz der strengen Erziehung war das Verhältnis zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen überaus persönlich. Meine Lieblingsfächer waren Deutsch, Biologie, Musik und Kunstgeschichte. Auch außerhalb der Schule wurde uns viel Anregendes und Wertvolles geboten. Wir besuchten mehrere Museen der Umgebung. Unter anderem sahen wir in einer Freiburger Ausstellung Holzschnitzereien des Isenheimer Altares und die „Kreuzigung Christi" von Grünewald. Oft veranstalten wir literarische Abende oder gemeinsame Lesekreise. Besonders begeisterten mich die Theateraufführungen, bei denen ich jedesmal mit Leib und Seele dabei war. Die Musik wurde natürlich auch nicht vergessen. Wir hatten einen schönen Chor, und sogar ein Hausorchester fehlte nicht, das oft Hausmusikabende veranstaltete. Dazu kam das schöne Landschaftsbild des Schwarzwaldes. Wir machten herrliche Wanderungen in die Umgebung, und auch die Biologiestunden fanden zur großen Freude aller meist draußen statt. - Obwohl ich hier in Erlenbad eine zweite Heimat gefunden hatte, fuhr ich doch mit Freuden in den Ferien nach Hause. Im November 1943 wurde unser Haus in Düsseldorf durch Brandbomben schwer beschädigt, und am 14. Januar 1944 traf uns ein zweiter schwerer Schlag durch den plötzlichen Tod meines Vaters, unter dem ich unendlich gelitten habe. - Vom Kriege merkte man in Erlenbad nicht viel bis zum Einmarsch der Alliierten. Über den Einzug der Franzosen und ihrer Kolonialtruppen möchte ich hier nicht viel Worte verlieren. Ich kann nur sagen, daß er mir unvergeßlich bleiben wird. Gott sei Dank war unsere Familie in dieser schweren Zeit nicht getrennt, da meine Mutter seit November 1944 bei uns im Schwarzwald weilte. Im Herbst 1945, als die Klosterschulen wieder offiziell anerkannt wurden, vergrößerte sich auch das Erlenbacher Internat. Leider bekam Erlenbad zunächst nur die Genehmigung einer Schule bis zum Einjährigen, und damit war ein Schulwechsel für mich unausbleiblich, da ich die Reifeprüfung ablegen wollte.

So kehrte ich im Herbst 1946 nach Hause zurück. Da unser Haus in Düsseldorf noch nicht wieder aufgebaut war, zogen wir nach Frechen zu unseren Verwandten. Im November 1946 kam ich in die Obersekunda der Kaiserin Augusta Schule. Der Schulwechsel wurde mir nach dem langen Aufenthalt in Süddeutschland nicht leicht. Vor allem fiel es mir schwer, mich in eine neue Klassengemeinschaft einzuleben.

Jetzt hatte ich auch endlich nach langer Zeit Gelegenheit, Theater und Konzerte zu besuchen, die mich nach der Schule am meisten in Anspruch nehmen. Meine übrige Mußezeit verbringe ich mit Klavierspielen und der Lektüre guter Bücher. Meine Lieblingskomponisten sind Mozart, Beethoven und Schubert und mein liebster Dichter ist Schiller, dessen Dramen mich vor allem interessieren und begeistern.

Über meine Zukunftspläne kann ich noch nichts Bestimmtes sagen. Früher war mein Herzenswunsch, Musik zu studieren. Wenn mir das nicht gelingt, würde ich am liebsten Bibliothekarin, da mich nach der Musik Literatur am meisten interessiert. Jedoch ist mein erster Wunsch, ein wertvoller Mensch zu werden, ganz gleich in welchem Beruf. Jetzt aber konzentriere ich mich ganz auf die Schule mit dem Ziel, Ostern 1949 die Reifeprüfung zu bestehen.

Da ich immer mehr Freude an der englischen Sprache hatte und außerdem im Englischen über einen größeren Wortschatz verfüge, bitte ich, eine Prüfungsarbeit in der englischen Sprache machen zu dürfen.