KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1932

1.) Weshalb kann ich trotz Ung[.?.] der Verhältnisse aufrechten Hauptes der Zukunft entgegenschreiten?

2.) Die Blinden von Kagoll (Robert Neumann). Die Novelle ist zu lesen und zu besprechen. (Reclam 7013)

3.) Folgende Gedichte sollen auf ihren Gehalt und ihre Art geprüft werden:
An den Mond (Goethe), Sehnsucht (Eichendorff), Der Pavillon (Rilke), Im Frühjahr (Th. Däubler).

4.) Aus meinen Reisen (Wanderungen): Eine Landschaft oder eine Stadt mit Bauten, Plätzen u. vergl.


Beurteilung

S., Magdalene

Magdalene S. ist aus kleinen Verhältnissen hervorgegangen. Darin liegt auch der Grund, daß sie etwas verspätet auf die höhere Schule kam. Doch hat sie die Verspätung durch ihren Lerneifer wieder eingeholt und auch den schwierigen Übergang vom Mülheimer Lyceum zur Studienanstalt bezwungen. Langsam hat sie durch ihre Beharrlichkeit die Schwächen im Lateinischen und in Mathematik ausgeglichen.

Die Hingabe an das den Verstand stark in Anspruch nehmende Studium ist bei ihr um so höher zu werten, als sie, die zwar einen klaren Verstand hat, am liebsten träumte und Märchen lesen, die Natur genießen und mit Kindern spielen ihr eine liebe Beschäftigung ist. Sie hatte gehofft, ihre besondere Begabung und Ausbildung nachher in den Beruf der Lehrerin ausmünden lassen zu können und ist nun hart getroffen, weil die Aussichten zur Verwirklichung ihres Lieblingsplanes geschwunden sind.

Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit, ernste Pflichterfüllung und Gediegenheit sind ihre Vorzüge.

Lebenslauf

Zum ersten Male stehe ich nun an einem wirklich wichtigen Wendepunkt in meinem Leben. Bisher ging es gleichsam wie vorausbestimmt, kaum, daß ich ihm in der Hauptsache, in Bezug auf das Schulleben, eine persönliche Note geben konnte. Bald werde ich mein Leben selbst leiten können, aber schon jetzt fühle ich, daß ich es doch nicht ganz frei gestalten kann; denn was legt sich mir, da nicht alles hindernd in den Weg? Ich verlasse die Schule nicht mit der frohen Zuversicht, mit der ich sie zu verlassen glaubte, vor Jahren einmal, vielleicht noch vor einem Jahr. Wenn ich meinen Weg noch einmal gehen könnte, wer weiß, ob ich ihn wieder so wählte? Nicht daß ich bedauerte, so viel gelernt zu haben, o nein, was ich in der Schule in mich aufgenommen habe, was ich kennen lernte und wofür sie mir die Augen öffnete, das trage ich ja gleich einem köstlichen Schatz in mir. Ich denke da in erster Linie an alles, was auf schöngeistigem Gebiet liegt, Musik, Dichtung und Malerei; aber darüber, daß ich lernte, meinen Verstand zu gebrauchen, freue ich mich ebenso. Ist es nicht weit schöner, bei den Schriftstellern des Altertums selbst ihr Volkstum kennen zu lernen, als Übersetzungen zu lesen? Und hinzu kommt noch die Freude, wenn eine schwierige lateinische Konstruktion allein und richtig herausgebracht wird. Ebenso gern habe ich die modernen Fremdsprachen. Ich habe neben dem Unterricht manches englische und französische Buch gelesen und sie deshalb eifriger betrieben, weil ich hoffe, sie einmal in meinem zukünftigen Beruf verwerten zu können.

Wenn ich nun die Schule verlasse, so ist eins sicher: daß mein Auge offen ist für alles, was um mich her geschieht, daß ich gelernt habe, zu prüfen und dann zu urteilen und daß mein Sinn für alles Schöne geweckt ist. Darüber freue ich mich besonders, daß ich auch trotz der bitteren Not der Zeit noch das Schöne in der Welt sehe, sei es nun in der Natur, in den Menschen oder wo auch immer.

Der äußere Verlauf meines Lebens, der wenn nicht ausschlaggebend, doch zum mindesten einflußreich war für das, was ich heute bin, ist nun so:

Ich wurde am 3. April 1912 geboren und zwar in Köln-Holweide, vor den Toren der Großstadt. Mein Kinderparadies war ein großer Garten mit seinen Blumen, seiner Wiese und seinen Obstbäumen. Da ich lange Jahre hindurch keine Geschwister hatte, so gehörte mir das ganze Reich. Ich teilte es mit einem großen Hund und einem niedlichen Kätzchen. Eines Tages schenkte mir Vater noch ein Tier, ein gelbes Vögelchen in seinem Bauer. Das waren meine drei Freunde. Als ich in die Schule kam - ich besuchte die Volksschule in Schnellweide - änderte sich manches in meinem Leben. Ich lernte Kinder kennen und brachte eine Menge Freundinnen mit heim. Mein liebstes Spiel war von jetzt an Schulspielen. Am schönsten war es für mich, wenn ich Lehrerin sein konnte. So wie ich lesen und bald verstehen lernte, wuchs meine Freude an Büchern. Zunächst wollte ich natürlich die Märchen und Geschichten selbst lesen, die andere mir früher erzählt hatten. Lange, sehr lange bliebe ich bei den Märchenbüchern, und auch heute noch kann ich mich in die Bücher meines kleinen Bruders vertiefen, wenn sie mir gerade einmal in die Hand geraten. Erst nach dem fünften Volksschuljahr ging ich in ein Lyzeum über. Ich besuchte von da an bis zur OII Reife das Ursulinen-Lyzeum in Mülheim. Nun war ich aber zwei Jahre älter als die meisten meiner Klassenkameradinnen. Meine Eltern hatten so lange gezögert, mich nach Mülheim zu schicken. Endlich wich die Angst meiner Mutter, daß ich nun allein fahren sollte, den Vorstellungen der Lehrerin, die darauf drängte, daß ich ein Lyzeum besuchte. So kam ich zu den Schwestern. Nach der siebten Klasse kam ich in die fünfte und holte dadurch wenigstens ein Jahr auf. Ich habe mich in dieser Schule sehr, sehr heimisch gefühlt, und als ich nach der Untersekunda weg mußte, ist es mir nicht leicht geworden. Weil ich das Abitur zu machen wünschte - ich dachte früher daran, zu studieren - holte ich Latein in Privatstunden nach und kam in die Obersekunda der Kaiserin-Augusta-Schule. Die letzten drei Jahre haben mir eine große Erweiterung auf allen Gebieten gegeben. Vor allem aber habe ich während der Zeit einen wesentlich tieferen Blick in die einzelnen Gebiete und ihren Zusammenhang bekommen.

Als Wahlfach nehme ich Religion, weil ich mich immer gern mit religiösen Fragen und Gebieten, die damit in Zusammenhang stehen, befaßt habe.

Außer den pflichtmäßigen Arbeiten wünsche ich eine Arbeit in Latein zu machen.

Ich bitte, mein Religionsbekenntnis auf dem Zeugnis zu vermerken.