KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs A

1.) Erinnerung an ...

2.) Wie verwirklicht Michael in Wiecherts „Hirtennovelle“ das Wort Carossas „Im engsten Kreise wag’s, dich reich zu leben“?

3.) Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dem Vater und Mutter gestorben,
sondern wer für Herz und Geist
keine Lieb’ und kein Wissen erworben.
(Rückert)


Lebenslauf

Am 15. November 1927 wurde ich als zweite Tochter des Fabrikdirektors Dr. Gustav K. und seiner Ehefrau Lisa, geborene K., in Berlin-Charlottenburg geboren. 1929 verlegten meine Eltern ihren Wohnsitz nach Andernach und drei Jahre später nach Rodenkirchen am Rhein. Meine Kindheit verlebte ich, wohlbehütet von meinen Eltern, in stetem Zusammensein mit meiner Schwester. Wie schön unser Haus und Garten waren, erlebte ich erst später, wenn wir von Fernreisen zurückkehrten. Aber dennoch lernte ich gerne andere Menschen und andere Landschaften kennen.

Als lebhaftes Kind tollte ich mit unseren Hunden im Garten herum oder - tanzte, das war meine Leidenschaft. Meine Mutter beobachtete mich oft, wie ich als kleines Kind, das Kleidchen mit den Händen gefaßt, auf Spitzen tanzte; ich wollte Tänzerin werden.

Wenn meine Schwester Schularbeiten machte, saß ich ihr gern gegenüber und malte ihre Buchstaben nach; denn meine Ungeduld, auch in die Schule gehen zu dürfen, war groß. Aber ich mußte noch warten, bis ich 1934 in die Montessori-Privat-Schule kam, wo ich im ersten Schuljahr mit einer Mitschülerin eine enge Freundschaft schloß, die noch heute besteht. Die Schule bedeutete für mich eine große Umstellung. Zwar fiel mir das Lernen leicht, aber mich fügen, Rücksicht nehmen und die Spielgedanken zu Hause lassen fiel mir schwer, vor allem das Stillsitzen und Schweigen. Ich lernte nur schwer mich zu beherrschen.

Im Jahre 1938 bestand ich die Aufnahmeprüfung für die Sexta der Kaiserin-Augusta-Schule. Kurz vorher hatten mir meine Eltern erlaubt in das Opernhauskinderbalett[!] einzutreten, und ich war stolz, daß ich schon bald als kleines Sternchen in Peterchens Mondfahrt mittanzen durfte. Einige Jahre später wurde ich vor die Frage gestellt: Tänzerin werden oder die Schule besuchen. Ich ging weiter zur Schule, ob aus Liebe zum Lernen oder aus einer richtigen Erkenntnis meiner tänzerischen Fähigkeiten, weiß ich nicht zu sagen.

Als der Krieg 1939 ausbrach, war ich noch ein richtiges Kind und verstand nicht im geringsten die Bedeutung dieses Geschehens. Bei einem Besuch im Lazarett sah ich zum ersten Male verwundete und hilfsbedürftige Menschen. Damals meinte ich, die schönste Aufgabe für mich wäre, solchen Menschen zu helfen; ich wollte Ärztin werden. - Mein Vater weckte in mir schon früh die Liebe zur Natur, indem er mich Pflanzen, Tiere und Gestirne beobachten liess. Später zeigte sich eine starke Neigung zu allen Naturwissenschaften. In der Schule waren neben Deutsch und Latein, Biologie, Chemie und Physik meine Lieblingsfächer. Auch Zeichnen, das ich langsam lernte, und Turnen machten mir große Freude.

Im Juli 1943 brannte unser Haus aus. Mit ihm stürzte die Erinnerungsstätte meiner glücklichen Kindheit zusammen. Der Ernst des Lebens trat an mich heran.

Nach längerem Umherirren in Pommern und Thüringen fanden wir eine Wohnung in Bonn. Wegen der dauernden Angriffe musste ich die tägliche Fahrt zur Kölner Schule aufgeben und wechselte über auf die Bonner Schule in der Königsstrasse, die ich von Mai 1944 bis zu den großen Ferien besuchte. Am 21. Dezember verloren wir zum zweiten Mal unsere Wohnung und verließen Bonn Ende Januar, nachdem wir eine schreckliche Zeit in Bunkern zugebracht hatten; wir gelangten nach Narsdorf in Sachsen. Dort wohnten wir, notdürftig bei einem Bauern untergebracht. Wie mühsam und anstrengend die Arbeit des Bauern ist, verspürte ich dort an mir selbst. Erst da verstand ich, sie recht zu achten und mich in ihre Gewohnheiten hineinzudenken. Aber die Art der Menschen in Sachsen blieb mir fremd, und, obwohl das Dorf sehr schön gelegen ist, zog es mich nach Kriegsende in meine Heimat zurück.

Mein Vater und ich reisten als erste unserer Familie, Mitte September 1945 nach Köln. Das Elend und die Armut unserer Heimat traten mir besonders vor Augen, als ich an der Grenze Tausende junge und alte Menschen sah, denen Hunger und schreckliche Erlebnisse aus den Gesichtern schauten. - Nach meines Vaters Abreise mußte ich mich oft zwingen, nicht neidisch auf andere zu blicken, die bei ihren Eltern in geordneten Verhältnissen leben durften. Ich war glücklich, als die Schule wiederanfing. Sie ließ mich wenigstens während der Schulstunden mein Alleinsein vergessen.

Von Anfang Dezember bis April lebten meine Schwester und ich zuerst bei der Frau eines Meisters unseres Betriebes, die sehr wenig Verständnis für uns zeigte; nachher zogen wir in eine stark zerstörte Wohnung. Wir mussten allein für uns Haushalt führen, und für die Wiederherstellung unserer Wohnung sorgen; vor allem aber hatten wir für die Schule zu arbeiten. Erst Anfang Januar 1947 kamen meine Eltern zurück, die uns jetzt entlasten. - In dieser Zeit des Alleinseins musste ich meine Selbstständigkeit in Entschlüssen beweisen. Anfangs fehlten mir oft der Mut und die Übersicht, und ich war verzweifelt über das Getrenntsein von unseren Eltern und über unsere ganze Lage. Ich suchte und fand Trost in der Natur, am Rhein, und neuen Antrieb in einem Spruch, der mir so stark und trostspendend erscheint: „Per aspera ad astra".

Mein Ziel liess mich trotz aller Gärten meinem Entschluß treu bleiben: ich will Medizin studieren, weil ich glaube, daß mich dieser Beruf ganz erfüllen kann. Ich will anderen Menschen helfen, sie befreien von körperlichen Leiden, die ihren Lebensmut und ihre Lebenskraft verringern. - Von der Schule scheide ich mit Bedauern und werde stets voll Dankbarkeit an meine Lehrerinnen zurückdenken, die mir die Augen für viel Gutes und Schönes geöffnet haben.