KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse 8b (1943)

Klasse 8 b

Die Klasse zeigt sehr unterschiedliche Charaktere. Außerdem sind fast alle sehr temperamentvoll und von gut durchschnittlicher Begabung. Trotz des Temperaments zeigt die Klasse eine gewisse Lässigkeit, die aber kein Mangel an Interesse ist, sondern offenbar darin begründet ist, daß fast alle aus allzu gesicherten Verhältnissen stammen und durchweg verwöhnt sind. Bei dem Geltungsbedürfnis jeder einzelnen fiel es ihnen lange Zeit schwer, sich in die Gemeinschaft einzuordnen. Hinzu kam, daß einzelne frühere Schülerinnen ihre Aufgabe darin sahen, die Grundlage für eine ruhige Arbeit nicht aufkommen zu lassen, so daß der Klasse die Übung zu zuchtvoller Arbeit fehlte. Seitdem diese Schülerinnen entfernt wurden, hat sich das Bild gewandelt, so daß nun Arbeitswilligkeit und Aufnahmefreudigkeit den Klassencharakter bestimmen. Außerdem treten jetzt die feinempfindenden Schülerinnen mehr hervor, die vorher gegen die vorlaute Art nicht ankommen konnten.

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1943

[Es ist offenbar keine Aufstellung der eingereichten Aufsatzthemen überliefert. Die beiden folgenden Aufgabenstellungen wurden den Aufsätzen direkt entnommen.]

 

1.) „Preußengeist“ von Paul Ernst und „Die Pflicht“ von W. v. Scholz. Ein Vergleich.

2.) Was bedeuten mir Brekers Schöpfungen “Bereitschaft” und “Der Sieger”?


Beurteilung

Mariethres ist älter als ihre Mitschülerinnen. Da sie schon im Berufsleben gestanden hat, ist sie auch erfahrener. Sie ist selbständig, tritt sicher auf und verfügt über starkes Selbstbewußtsein. Sie erlaubt sich schnell ein Urteil. Da sie äußerst strebsam ist, verfolgt sie ihr Ziel mit Ausdauer und Zähigkeit.

Sie ist höflich, hilfsbereit und bemüht, sich in die Klasse einzufügen.

Lebenslauf

Am 13.II.1922 wurde ich als Tochter des Gastwirtes Conrad S. und seiner Ehefrau Josefa, geb. H., in Essen geboren.

Meine Eltern besaßen in Wuppertal ein Hotel, und meine Mutter konnte sich nur sehr wenig mit mir befassen. Deshalb kam ich schon mit knapp 1 Jahr zu meinem Großvater, der in Westfalen ein Gut besaß. Von meinem Großvater, einem feinen, stillen Manne, hörte ich die ersten Märchen, Sagen und Fabeln. Er ging auf alle meine Fragen ein und beschäftigte sich sehr viel mit mir. So verlief meine früheste Kindheit still, ruhig und schön.

Da mein Vater nicht wollte, daß ich in eine Dorfschule kam, kehrte ich 1928 zu meinen Eltern zurück und besuchte die katholische Volksschule in Wuppertal-Barmen. In meiner neuen Umgebung kam ich mir sehr einsam vor, und meinen Großvater vermißte ich sehr. Niemand hatte für mich Zeit, Spielgefährten hatte ich keine - außer Lord, einem großen, schönen Bernhardiner. Als ich Lesen gelernt hatte, wurden mir Bücher die liebsten Freunde. Ich lernte sehr leicht und sollte 1933 zum Lyzeum überwechseln. Da wurde ich sehr krank. Nachdem ich viele Monate im Krankenhaus gelegen hatte, hielt Vater es für richtiger, wenn ich zunächst die Lücken in der Volksschule nachholen und 1 Jahr später zum Lyzeum gehen würde.

Im nächsten Jahr aber trat eine grundlegende Veränderung in meinem Elternhaus ein. Vater mußte einer Verpflichtung, die er mit einer Bürgschaft übernommen hatte, nachkommen. Unser Hotel wurde verkauft, und Vater ging nach Belgien, wo er die mit der Bürgschaft zusammenhängenden Angelegenheiten zu ordnen hatte. Ich ging mit Mutter und meinen Brüdern nach Deibow bei Lenzen a. d. Elbe, wo wir ganz zurückgezogen auf dem Landsitz der Edlen von Puttlitz wohnten. Da Deibow weder Postauto- noch Bahnverbindung hatte, war mir nun jede Möglichkeit, ein Lyzeum zu besuchen, genommen. Mit den Dorfbewohnern kamen wir sehr wenig zusammen, da wir nicht im Dorfe selbst wohnten. Nur die Schule brachte Abwechslung. Mit Eifer lernte ich, versäumte aber nicht, auf den weithin überschwemmten „Wischen" Schlittschuh zu laufen. An den langen Winterabenden las Mutter uns Werke von verschiedenen Dichtern, die Land und Leute unserer Wahlheimat beobachtet und beschrieben hatten, vor.

Mutter litt sehr unter dem Schicksalsschlag und ertrug die Einsamkeit nur schwer. Als ich Ostern 1936 aus der Schule entlassen wurde, verzogen wir nach Festung Dömitz, einer kleinen mecklenburgischen Stadt an der Elbe. Von hier aus besuchte ich von 1936-1938 die zweijährige „Städtische Handelsschule" in Wittenberge, Bez. Potsdam. Hier in Dömitz interessierte mich besonders die Vergangenheit des alten Städtchens. Oft las ich daher in der umfangreichen Chronik. Auch hier lasen wir uns sozusagen in unsere neue Umgebung hinein. Wir lasen die humorvollen Werke Fritz Reuters, der ja hier in Dömitz seine Festungshaft verbrachte, wir lasen Werke von Griese, W. Frank und vielen anderen mecklenburger und norddeutschen Dichtern. Meinen Wunsch, zu studieren, hatte ich vollkommen aufgegeben. Ich versuchte, durch Fleiß das Examen gut zu bestehen, um mit guten Schulzeugnissen ins Berufsleben zu treten. Es war für mich die größte Freude, als ich dann Ostern 1938, bei meiner Entlassung, als Auszeichnung für meine Leistungen den Preis des Herrn Oberbürgermeisters bekam.

Im Juni 1938 trat ich als Kontoristin bei der Fabrik Dömitz der Dynamit A.G., Festung Dömitz, ein. Bald danach kam mein Vater aus Belgien zurück, und wir verzogen nach Hannover, wo er ein Speiserestaurant übernahm. Die Firma versetzte mich zu einem Zweigwerk in Hannover, wo ich als Sekretärin des Direktors Nürnberger vom 1.5.39 bis 1.5.41 tätig war.

Im November 1939 verunglückte der älteste Bruder meines Vaters, und mein Vater übernahm das Gut meines Großvaters. Da sich die Finanzlage meines Vaters so gebessert hatte, bat ich ihn, die Reifeprüfung nachholen und später Medizin studieren zu dürfen. Vater war damit einverstanden, aber da der Krieg inzwischen ausgebrochen war, konnte meine Firma mich nicht entlassen. Da entschied ein Zufall alles Weitere: Bei dem Fliegerangriff vom 11./12.2.41 wurde Direktor Nürnberger schwer verletzt und schied aus dem Dienst. Am 1.5.41 versetzte mich die Firma nach Köln. Auf diese Weise konnte ich den Abendunterricht an der Privatschule des Dr. Hoev[?] besuchen und meine Kenntnisse, die ich mir im Selbstunterricht angeeignet hatte, erweitern. Nach nochmaliger Rückfrage mit dem Leiter des Büros wurde ich entlassen.

Nun konnte ich meinen Wunsch, die Reifeprüfung nachzuholen, in die Tat umsetzen. Nach der Aufnahmeprüfung am 9.2.42 wurde ich in die 7. Klasse aufgenommen und im Herbst 1942 in die 8. Klasse versetzt. - Als ich in die Klasse kam, hatten meine Mitschülerinnen schon ihre Praktiken geleistet. Ich nutzte die Kohlen- und Osterferien für das Säuglings- und Kindergartenpraktikum aus. Im Waisenhaus, Köln-Sülz, leistete ich mein Säuglingspraktikum ab, und die Arbeit machte mir viel Freude. - Im Kindergarten interessierte mich besonders die soziale und wirtschaftliche Seite. Mein Kriegseinsatz, den ich im Bezirk Bremen ableistete, wurde mir als Haushaltspraktikum angerechnet. Hier habe ich mich sehr rasch in meinen Pflichtenkreis eingelebt, da mir die bäuerliche Umgebung ja von daheim bekannt war.

Als ich nach den Herbstferien wieder zur Schule ging, freute ich mich, wieder in dieser Klasse arbeiten zu dürfen; denn meine Klassenkameradinnen haben es mir leicht gemacht, mich in ihre Gemeinschaft einzufügen.

Da ich allein und fremd in Köln war, wäre es mir bestimmt zu einsam gewesen, wenn ich nicht meine Arbeit und meine Bücher gehabt hätte. So wie es mir früher schon Freude machte, meine Umgebung durch Dichter und Dichtungen der betreffenden Landschaft näher kennenzulernen, so habe ich auch versucht, Köln und seine Bewohner zu erfassen.

Da ich sehr gerne lese, habe ich Deutsch als Wahlfach genommen. Ich bitte, mich zur Reifeprüfung zuzulassen.

Ich bitte, einen Vermerk über mein Bekenntnis ins Zeugnis aufzunehmen.

Abituraufsatz

„Preußengeist" von Paul Ernst und „Die Pflicht" von W. v. Scholz. Ein Vergleich.

Seit zweitausend Jahren weht das Sonnenbanner über den japanischen Inseln; seit zweitausend Jahren herrscht hier der Tenno als Gott und Kaiser zugleich; seit zweitausend Jahren weihen Japaner Gut und Leben dem Reiche der Mitte, vor dessen Toren der heilige Fuji sein erhabenes, schneegekröntes Wächterhaupt aus den Wassern hebt. - Tief in der Religion, so sagt W. v. Scholz in seiner Novelle „Die Pflicht", ruhen die Kräfte, die das japanische Volk zu der beispiellosen, bedingungslosen Aufopferung befähigen, wenn es das Wohl des Vaterlandes gilt.

Die Ahnenverehrung nimmt im japanischen Leben einen ganz besonderen Raum ein. Jeder Japaner glaubt wie Frau Nishida, die wir in der Pflicht gemeinsam mit ihrem Manne vor dem Schrein ihres toten Söhnchens finden, daß nur der Körper tot ist, der Geist aber, die Seele des Verstorbenen, unsichtbar inmitten der Lieben weilt. Und in dieser Gewißheit findet der Japaner die Kraft, so ohne alle Klagen in den Tod zu gehen. Der Soldatentod aber ist vom Shintoismus geradezu zu etwas Hohem und Erstrebenswerten erhoben worden. Darin ruht die Kraft des Japaners, für sein Vaterland zu sterben - ohne Frage nach dem Warum.

Ganz deutlich spüren wir diese unbedingte Bereitschaft bei Hauptmann Nishida. Nachdem er sich über die Worte seines Generals vollkommen im Klaren ist, kennt er seine Pflicht ganz genau. Ohne ein Wort der Klage, ohne zu fragen, was aus seiner Gattin werde, nimmt er den Tod auf sich.

Es war gewiß nur wenig, was man im jungen Königreich Preußen des frühen 18. Jahrhunderts von dem großen, ostasiatischen Volke wußte. Die Lebensbedingungen und die Geisteshaltung der beiden Völker waren zu verschieden. Während Japan stolz auf eine zweitausendjährige Geschichte zurückblicken konnte, stand Preußen am Beginn seiner Geschichte. Hart war das Schicksal, das der aufrechte, gerade und strenge König mit zähem Fleiße und eherner Pflichtauffassung zu meistern versuchte. Keiner wußte so gut wie er, daß Deutscher sein hieß: seine Pflicht erfüllen! Wollte er aber, daß sein Lebenswerk Bestand haben sollte, dann mußte er den Kronprinzen so erziehen, daß ihm die landesväterliche Pflichtauffassung in Fleisch und Blut überging. - Streng war daher die Erziehung, und sie wurde von dem jungen Prinzen, der den hohen Künsten und den Schönheiten des Lebens zugetan war, als unbillig und beengend empfunden. So groß war die Kluft zwischen Vater und Sohn, daß es eines Ereignisses - wie des besten Freundes Tod - bedurfte, das ihn, hart an der Grenze des Wahnsinns entlangführend, dem Willen des Vaters erst zugänglich machte. - Katte, der im „Preußengeist" als Mensch und Offizier dargestellt ist, hat durch seine Haltung vor dem Tode dem Kronprinzen den Sinn seines Opfers klargelegt. So nah dem Tode findet dieser hervorragende Mensch Worte, die dem jungen Friedrich die ganze Hohlheit seiner Schwärmerei fühlen lassen, er lehrt ihm, den Vater in einem anderen Licht zu sehen und mahnt ihn, daran zu denken, daß er der künftige König Preußen sei. - Friedrich aber empfindet die Bedeutung der Freundesworte erst voll und ganz als er sieht, wie Kattes Leben seinetwegen verlöscht. Nun erst erkennt er die ganze Tragweite seines Handelns, nun erst ahnt er die Größe des Opfers, das der Freund auf den Altar des Vaterlandes legte: sein eigenes Leben, Liebe, Freundschaft, Glück - alles, was ihm teuer ist.

Und tief erschüttert bekennt er sich zur Pflicht; denn er findet die Worte, die ergreifend davon Zeugnis ablegen: „Ich habe nichts. Nichts, als den Wunsch nach Glück! Ich will ihn opfern! Nichts, als den Wunsch nach Schönheit. Will ihn opfern. Nichts, als den Wunsch nach Frieden. Will ihn opfern. Mein Vater sprach, es sprach der Freund von Pflicht. Ich habe nicht verstanden, was sie meinten. Vielleicht versteh ich einstens auch die Pflicht, wenn ich nur ehrlich opfre, was ich kann."

So verschieden auch Wesensart und Geistesleben dieser beiden Völker sein mögen, gemeinsam ist ihnen die große Vaterlandsliebe. Vielleicht prägte sich diese Eigenschaft bei beiden Völkern so stark aus, weil in beiden Ländern dem Acker die Erträge abgerungen werden mußten, weil habgierige Nachbarn immer wieder an den Grenzen drohten, weil die rauhe Wirklichkeit nicht Zeit für die schönen Seiten des Lebens übrigließ.

Den schönsten Beweis aber dafür, was Vaterlandsliebe vermag, erbringt unsere heutige Zeit, in der sich diese beiden Völker - über alles Trennende hinweg - zur treuen Waffenbruderschaft verbunden haben. Die Erfolge, die wir und auch unsere japanischen Verbündeten erzielten, geben ein beredtes Zeugnis vom unbedingten Pflichtgefühl, das die Soldaten beider Völker beseelt.

Der Aufsatz ist in der Anlage ordentlich, auch in d. Ausführung, ohne dass diese jedoch in die Tiefe ginge. - Sie neigen zu vorgeprägten, daher abgegriffenen Redensarten.

Befriedigend.

1.III.43