KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse

Gutachten über Klasse OI a:

Die Klasse OIa, die jetzt noch 15 Schülerinnen hat, wurde Ostern 1946 als OIIa neu zusammengestellt.

Die Schülerinnen, die aus recht verschiedenen Schulen kamen, brachten sehr verschiedene Vorbildung mit. Nur sehr langsam haben sie sich zu einer geschlossenen Gemeinschaft zusammengefunden. Alle 15 Oberprimanerinnen sind ausnahmslos wertvolle junge Menschen, die zielstrebig an ihrer Charakterbildung arbeiteten und immer starkes Interesse für alle menschlichen und philosophischen Probleme zeigten.

Im Unterricht arbeitete die Klasse ruhig, aber mit gleichbleibendem Fleiss. Bei vielen guten Durchschnittsbegabungen kann die Klasse aber die Leistungen nicht aufweisen, die wir von einer Oberprima nach achtjährigem Besuch einer höheren Schule erwarten, da einerseits immer wieder Lücken der Mittelstufe, die in den langen Kriegsjahren entstanden, auszufüllen waren; anderseits die unzureichende Ernährung, die weiten Schulwege, die beengten Wohnungsverhältnisse, häusliche Pflichten und der Büchermangel nicht volle Leistungsfähigkeit zuliessen.


Marianne F. ist ein begabtes, feinsinniges Mädchen, dem man die sorgfältige Erziehung und Pflege des Elternhauses anmerkt. Sie vereint schnelle Auffassungsgabe mit gutem Denkvermögen und versteht es in klarer, einfacher, geordneter Form, ihre Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Ihrer Vorliebe für reale Fächer entspricht der Wunsch, Betriebswirtschaft zu studieren.

Im Umgang ist sie stets zuvorkommend, hilfsbereit und taktvoll.

Lebenslauf

Ich bin geboren am 27. April 1929 als erstes und einziges Kind meiner Eltern, des Betriebsleiters Peter F. und seiner Frau Sophie, geborene B.. In meinem Elternhaus in Köln verlebte ich heitere, sorglose Kinderjahre. Eine besondere Freude waren die Wochen, die ich bei den Großeltern auf dem Lande verbringen durfte.

Am 1. April 1935 wurde ich in die katholische Volksschule in Köln-Nippes aufgenommen. Anfangs fiel es mir recht schwer, mich dort einzufügen. Alles um mich war so laut, war mir doppelt ungewohnt, da ich doch ohne Geschwister, ja, bis ich zur Schule ging, auch fast ohne Gespielinnen aufwuchs. Meine Mutter widmete mir viel Zeit, und so waren die ersten Jahre meiner Kindheit vielleicht ein wenig einsam, aber doch so still und gut.

Allmählich aber gewöhnte ich mich an die neue Umgebung, gewöhnte mich an meine Mitschülerinnen. Das Lernen machte mir Spaß, doch blieb mir in der Schule während meiner ersten Schuljahre stets ein leises Gefühl des Fremdseins.

Zu den schönsten Erinnerungen aus diesen Jahren gehören die Reisen, die ich mit meinen Eltern in den Sommerferien machen durfte. 1935 verbrachte ich die Ferien auf der Insel Borkum. Diese erste Begegnung mit der See ließ eine tiefe Liebe zu ihr in mir wachwerden, eine Liebe, die auch heute noch ganz lebendig in mir ist und die manchmal zur Sehnsucht wird.

Im nächsten Jahr fuhren wir an die Ostsee zum Timmendorfer Strand. Leider gab es diesmal verregnete Ferien und wenig Sonne. Aber ich fand nette Gespielinnen, und so wurde mir die Zeit nicht lang.

Am 24. April 1938 ging ich zur ersten heiligen Kommunion. Sehr liebevoll trugen meine Eltern Sorge dafür, daß dieser Tag zu einem Feiertag im wahrsten Sinne des Wortes wurde. Doch weiß ich heute, daß mir damals die ganz große Bedeutung dieses Tages nicht im letzten bewußt wurde und daß mir so ein wirklich tiefes Erleben versagt blieb.

Nach diesem Tag ging ich wieder, wie gewohnt, zur Schule. Ich wuchs auf unter der liebevollen Obhut meiner Eltern, zuweilen ein wenig verwöhnt von ihnen. Es gab manche Freuden, viele Stunden frohen, unbeschwerten Spieles, doch kein einschneidendes Erlebnis, keine jähe Unterbrechung in diesen ersten Schuljahren.

Recht stolz war ich, als ich am 6. März 1939 die Aufnahmeprüfung am katholischen Lyzeum an St. Gereon bestand und Ostern 1939 in die Sexta aufgenommen wurde. Mein Lieblingsfach wurde bald die Mathematik, und sie ist es bis heute geblieben.

Die Sommerferien führten mich noch einmal an die Ostsee nach Swinemünde, wo wir auch im Vorjahr die Ferien verbracht hatten. Drohend zogen sich schon die Wolken zusammen, die sich bald nach unserer Rückkehr entladen sollten. Doch die ernsten Gespräche der Erwachsenen ließen mich recht unbekümmert. Unbeschwert genoß ich die wunderschöne Fahrt, die wir diesmal im Auto zurücklegten. Der erste Reisetag brachte uns bis Dresden. Am folgenden Tag - es war ein Sonntag - machten wir eine Fahrt durch die sächsische Schweiz bis ins Sudetenland. So viel Neues und Fremdes stürmte auf mich ein, daß ich auf der Rückfahrt immer stiller wurde und schließlich schlafend wieder meinen Einzug in Dresden hielt. Am nächsten Tag fuhren wir weiter ins Riesengebirge, um dort Bekannte zu besuchen. Von Görlitz ging es am nächsten Tag nach Swinemünde. Wie um uns für das Kommende zu entschädigen, strahlte die Sonne jeden Tag mit gleicher Helle. Dennoch lag eine seltsame Unruhe über dem ganzen Strandleben. Obwohl ich die Schwere dessen, was kommen sollte, durchaus nicht ermessen konnte, spürte ich diese Unruhe ganz deutlich. Es gab Minuten, in denen ich nicht so recht froh sein konnte. Dann hielt ich wohl zuweilen beim Bau meiner Sandburg inne, und was ich in Büchern gelesen und in den Gesprächen der Erwachsenen vom Krieg gehört hatte, ließ eigenartige und verworrene Vorstellungen in mir wach werden. Früher, als beabsichtigt, traten wir die Rückreise an, und auf dieser Fahrt begegneten uns Soldaten in Feldgrau und lange Wagenkolonnen.

Als die Schule wieder begann, war die Kriegserklärung bereits erfolgt. Doch noch machte sich in meinem Leben der Krieg kaum bemerkbar. Der Unterricht ging zunächst noch geordnet weiter. Mein Vater wurde nicht eingezogen, und so durften wir zusammen bleiben. Ostern 1940 wurde die Gereonschule aufgelöst. Ich wurde nun, gemeinsam mit den meisten meiner bisherigen Mitschülerinnen, in die Oberschule Machabäerstraße aufgenommen. Durch die zunehmenden Luftangriffe wurde der Unterricht immer unregelmäßiger. Im Sommer 1942 wurde die Verlegung der Schule nach Ahlbeck geplant. Meine Eltern wollten jedoch nicht, daß ich mit ins Lager ging, und auch mein Wunsch war das nicht. So fand ich mich nach den Sommerferien mit den meisten meiner Mitschülerinnen wieder in Köln ein und ging weiter hier zur Schule. Auch als im nächsten Jahr ein Teil der Schülerinnen und einige unserer Lehrerinnen nach Rothenburg gingen, blieb ich zu Hause. Allerdings machte sich der Krieg in zunehmendem Maße nun auch in unserem Schulleben bemerkbar. Wir saßen viel im Luftschutzkeller und lernten wenig. Doch blieb ich mit meinen Eltern in Köln, allen Schwierigkeiten zum Trotz.

Im Frühjahr 1944 wurde eine Verlegung der gesamten Schule nach Bansin angeordnet und denjenigen, die sich ausschlossen, die Aufnahme in eine andere Schule verweigert. Aber diesmal kam mir ein glücklicher Zufall zu Hilfe: Ich bekam Keuchhusten und durfte drei Monate nicht zur Schule gehen. Nach den Sommerferien wurde ich dann in die 6. Klasse der Oberschule Georgsplatz aufgenommen. Allein unser Interesse galt nicht mehr den Schulbüchern. Allzu deutlich pochte der Krieg an unsere Türen, und neben den vielen bangen Fragen, die uns beschäftigten, schien die Schule mit einemmal so unwesentlich. Am 27. September wurde die Schule nach einem schweren Tagesangriff auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Tagesangriffe wurden nun immer heftiger und häufiger, und so siedelten wir am 15. Oktober 1944 in das Industriewerk über, in dem mein Vater tätig ist. Hier richteten wir uns neben meines Vaters Büro ein Wohnschlafzimmer ein und konnten bei Fliegeralarm den Werksbunker aufsuchen. Die Monate bis zum Einmarsch der Amerikaner, die wir dort verlebten, waren gewiß nicht leicht. Die feindlichen Flieger ließen uns wenig Ruhe, und auch wenn einmal kein Alarm war, spitzte man die Ohren, glaubte Motorengeräusche zu hören, griff nach Koffern und Taschen und stand ständig auf dem Sprunge. Aber schlimmer als diese ständige Unruhe war die bange Frage: Können wir in Köln bleiben? Das war unser größter Wunsch. Aber würde es gelingen? Die Nerven waren in dieser Zeit stets bis aufs äußerste gespannt. Manchmal glaubte ich, ich könne diese Erregung einfach nicht mehr ertragen. Ich spürte eine tiefe innere Müdigkeit und fragte mich oft: Warum muß das alles so sein? Ein Erlebnis aus dieser Zeit ist besonders wach in mir geblieben: Nach einem endlos scheinenden Fliegeralarm kam ich gegen Abend zurück in unser Zimmer. Ich stellte das Radion an und drehte gedankenlos, um irgendeinen Sender einzustellen. Da klang Musik an mein Ohr - Mozarts Kleine Nachtmusik. Und auf einmal wurde es ganz still in mir, und ich spürte eine große Zuversicht.

Diese Zuversicht trog nicht. Wir konnten hier bleiben und erlebten am 6. März 1945 den Einmarsch der Amerikaner. Am 15. April , nach genau sechs Monaten, konnten wir in unsere Wohnung zurückkehren. Ich half meiner Mutter beim Herrichten der Wohnung und empfand die Ruhe eines gemütlichen und geordneten Heims doppelt dankbar nach all der Unruhe des Krieges. Bis der Unterricht wieder begann, hatte ich viel Zeit, meinen eigenen Interessen nachzugehen. Vor allem konnte ich mich wieder ungestört meinen Büchern widmen. Ich lernte in dieser Zeit Stifter und Raabe schätzen und greife auch heute zu ihren Werken besonders gern. Auch Ruth Schaumann ist mir sehr lieb geworden. Oft saß ich auch am Radion und hörte Konzertübertragungen. Ich kann mich nicht für einen bestimmten von unsern großen Meistern entscheiden. Sie alle sind mir lieb. Ganz besonders tief beeindruckt aber hat mich eine Aufführung der Beethovenschen Schicksalssymphonie an dem Tag, an dem zum ersten Mal nach sechs Jahren in Deutschland die Waffen schwiegen.

Schließlich begann im November 1945 der Schulunterricht wieder. Ich wurde in die Klasse R6b der Kaiserin Augusta-Schule aufgenommen und Ostern 1946 in die Obersekunda versetzt.

Nachdem ich mich erst wieder eingewöhnt hatte, ging ich herzlich gern zur Schule. Neben dem Mathematikunterricht wurden mir in meinen letzten Schuljahren die Musikstunden besonders lieb. Eine Enttäuschung gab es Ostern 1947, als meine Hoffnung, in den Sonderkursus zu kommen, zunichte wurde. Allein nun bin ich recht froh, daß daraus nichts wurde, denn gerade die letzten beiden Schuljahre werden immer als die reichsten und schönsten in meiner Erinnerung bleiben.

Im letzten Jahr wurde wieder der Wunsch in mir wach, Betriebswirtschaftslehre zu studieren, ein Wunsch, den ich schon früher einmal hatte, dann aber wieder beiseite schob. Ich hoffe, im Frühjahr 1949 die Reifeprüfung abzulegen. Dann werde ich das für mein Studium notwendige halbjährige Praktikum machen und hoffe, im Wintersemester 1949 mein Studium an der Kölner Universität beginnen zu können.

Da mir im Englischen ein größerer Vokabelschatz zur Verfügung steht, bitte ich, in dieser Sprache eine schriftliche Arbeit machen zu dürfen.