KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs A

1.) Erinnerung an ...

2.) Wie verwirklicht Michael in Wiecherts „Hirtennovelle“ das Wort Carossas „Im engsten Kreise wag’s, dich reich zu leben“?

3.) Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dem Vater und Mutter gestorben,
sondern wer für Herz und Geist
keine Lieb’ und kein Wissen erworben.
(Rückert)


Lebenslauf

Am 3. November 1927 wurde ich als erstes Kind des Maschinen-Schlossers Karl L. und seiner Gattin Sophie L., geb. B. in Köln-Nippes geboren. Um in der damaligen schweren Zeit durchzukommen, versuchte meine Mutter durch Näharbeit etwas zu dem wöchentlichen Wirtschaftsgeld beizutragen. Still mußte ich neben ihrer Nähmaschine sitzen, damit sie ungestört arbeiten konnte. Trotzdem kannte ich keine Langeweile. Ich lebte in der Welt der Märchen, die Mutter mir abends vor dem Schlafen erzählte. Ich hatte keine Spielkameraden, so daß es mir recht schwer wurde, mich in der Schule, in die ich Ostern 1934 eintrat, anderen Kindern anzuschließen. Das Lernen in der Schule machte mir große Freude; besonders begeisterte mich die Erdkundestunde. Die Liebhaberei für fremde Länder verkürzte auch meine Freizeit. In den Büchern, die ich las, tat sich mir eine neue Welt auf, in die ich mich in meiner Phantasie einfügte. Ich streifte durch dunkle Urwälder und ritt über weite Steppen. Meine wirkliche Umwelt konnte ich darüber vergessen. Das Lernen regte meine Phantasie an, aber es hielt mich vom Spiel mit anderen Kindern fern. Vielleicht erklärt sich daraus, daß ich heute noch nicht leicht meine Hemmungen beiseiteräumen kann, wenn ich mit Menschen zusammenkomme, die mir bisher Fremde waren.

Ostern 1940 kam ich auf Fürsprache meiner Volksschullehrerin zur Aufbauschule. Diese Schulzeit steht nicht klar vor meinen Augen, weil die Kriegsverhältnisse jeden Tag neue Schrecken brachten. Zweimal verloren wir unser Heim, das meine Mutter mit soviel Liebe und Sorgfalt gestaltet hatte. In dieser Zeit zerbrach etwas in mir: der Glaube an die Gerechtigkeit. Warum mußte meinen Eltern alles genommen werden, die stets das Beste gewollt hatten und sich durch ihrer Hände Fleiß ein schönes Heim erarbeitet hatten? Diese Frage bedrückt mich heute noch oft. Auch andere Fragen beschäftigten mich, und ich brachte es nicht fertig, mich jemand anzuvertrauen. So mußte ich alles selbst in mir zurechtrücken, und ich litt an meinem inneren Alleinsein.

Der Luftangriffe wegen zogen wir aufs Land, und ich besuchte seit November 1943 die Oberschule Kalvarienberg/Ahrweiler. Da begann für mich ein anderes Leben. Das Stadtmädel, dem die Eltern selten erlaubt hatten, in einer Grünanlage zu spielen oder später Wanderungen zu unternehmen, konnte sich auf dem Lande von Herzen im Freien ergehen. Kein Tag verging, ohne daß ich ein mir unbekanntes Stückchen Erde entdeckte. Ich fühlte, daß ich innerlich freier wurde, jedoch ich konnte zu niemanden von meinen Erlebnissen sprechen. Ich vermißte in dieser Zeit mein Zuhause; es wurde mir bewußt, daß Elternhaus und Heim unersetzlichen Reichtum bedeuten. Diese Einsicht läßt mich heute tief mit den Flüchtlingen fühlen. Da ich mit meiner Mutter allein war, übernahm ich an ihrer Stelle die Regelung aller Angelegenheiten, die an Ämtern und Behörden zu erledigen waren. Es kostete mich manche Überwindung bei einer amtlichen Stelle meine Sache vorzutragen und wenn es sein mußte, sie zu verteidigen. Aber es war heilsam für mich, daß ich mich überwinden mußte, so gewann ich ein freieres Auftreten.

Längst bin ich mir bewußt, welcher Beruf mir Lebensinhalt sein könnte. Von meiner Mutter habe ich das Talent für praktische Arbeiten geerbt. Nichts geht mir so leicht von der Hand, wie eine Bastelarbeit, eine Zeichnung oder eine Schneiderarbeit. Es war seit langem mein größter Wunsch, die Kunstgewerbeschule zu besuchen. Ich habe mir immer geträumt, einmal etwas Großes in meinem Fach zu leisten. Jedoch seit einigen Monaten weiß ich, daß ich meinem Wunsch entsagen muß. Die finanziellen Verhältnisse in meinem Elternhaus erlauben mir kein längeres Studium. Meine Eltern hätte gerne das Opfer auf sich genommen, aber es würde mich beschämen, weiter von ihnen abhängig zu sein und zu sehen, daß meine Mutter abends mit müden Augen von ihrer Nähmaschine aufsteht. Der Verzicht auf meinen Berufstraum ist mir nicht leicht geworden. Ich habe mich nun zu einem frohen Wollen innerlich durchgerungen und freue mich darauf, daß ich meinen Eltern helfen kann. Ich will so schnell wie möglich eine Stellung annehmen, die mir gute Verdienstmöglichkeiten bietet; vielleicht in einem kaufmännischen Beruf. Ich hoffe auch auf diesem Wege ein Glied zu werden, das dem Ganzen dient.

Von der Schule scheide ich mit zwiespältigen Gefühlen. Voller Erwartung sehe ich dem neuen Lebensabschnitt entgegen in dem ich, auf mich gestellt, mich bewähren soll. Andererseits erfüllt mich ein Weh, die Stätte zu verlassen, wo ich mit den mir gegebenen Kräften versucht habe, den Anforderungen gerecht zu werden, die der Unterricht an mich stellte. Die Schule war für mich stets der Ort der Geborgenheit. Ich bin der Schule dankbar für die hohen Lebenswerte, die sie mich hat erkennen lassen und für das Rüstzeug, das sie mir ins Leben mitgibt; und ich will bestrebt sein, diesen Dank durch mein Leben zu beweisen.

Abituraufsatz

„Nicht der ist auf der Welt verwaist, dem Vater und Mutter gestorben. Sondern wer für Herz und Geist keine Lieb' und kein Wissen erworben."

(Rückert.)

Gliederung:

1.) Die äußere Heimat, aus der der Mensch gerissen werden kann.

a.) Landschaft

b.) Elternhaus

c.) Beruf

2.) Die innere Heimat, die dem Menschen ewig bleibt.

a.) Die Liebe im Herzen des Menschen

b.) Die Heimat in der geistigen Welt.

Der Krieg mit seinen Schrecken hat arge Notzeiten für unser Volk gebracht. A. Das härteste Los haben die Menschen zu tragen, die...Das Schlimmste liegt darin, daß viele Menschen ihre Heimat verloren haben und aus der Gegend vertrieben worden sind, die ihnen lieb (...)und wert war. Die Gegend ist uns Heimat, I. in der wir leben, vielleicht schon seit Generationen,in der unsere Vorfahren lebten und die uns Arbeit gibt. A. Durch unsere Arbeit sind wir mit d. Heimat verwurzelt.Die Arbeit ist das Wurzelwerk, das uns an die Gegend kettet . Heimat A. wird uns eine Gegend auch dadurch, dassbedeutet uns eine Gegend außerdem, weil wir in ihr Freude und Leid erlebten, A. aus unserer ... auslöschenund die wir um der Erinnerung willen nicht missen möchten. Heimat ist uns vor allem das Elternhaus, in dem wir geschützt und geborgen sind vor A. allem Unheildem Schlechten in der Welt , wo wir mit den Menschen zusammen sind, die wir lieben und die uns Liebe entgegenbringen. Mir selbst war die Schule ein Ort, wo ich mich beheimatet fühlte, weil sie mit besser: eine ...die Aufgabe stellte, durch die ich mit ihr und mit vielen Menschen durch gleiches Streben_ verbunden war. Sie war mein Wirkungskreis, und ich_ war nicht wenig stolz, wenn ich die Anforderungen, die sie an mich stellte, mit den mir gegebenen Kräften lösen konnte. So haben alle Menschen dort ihre Heimat, wo sie ihre Kräfte entfalten können, wo sie Leid und Freude erlebten, Wiederholung!wo sie Erfolg hatten und wo das Schicksal sie oftmals hart anfaßte . Menschen, die Heim und Besitz verloren haben, sind aus ihrem Heimatboden entwurzelt aber nicht verwaist.

Es scheint mir, daß der Begriff „Heimat" nicht (...)so eng gefaßt werden darf. Außer der Heimat, in der wir leben, besitzen wir einen Schatz, den uns niemand entwenden kann: die Heimat in unserem Herzen. (...)DerjenigeIch finde, daß derjenige , der einen Reichtum an Liebe und Wissen besitzt, kann nicht verwaist seinnicht verwaist sein kann , wenn er auch alles Gegenständliche verloren hat, selbst wenn ihm die Eltern genommen worden sind. Wie arm und wie mühsam ist oft das Leben einer Krankenschwester. Sie kennt keine Zerstreuung, in ihrem Leben gibt es nur eine Parole: die Pflichterfüllung. Die Pflicht leidenden Menschen zu helfen ein schweres Los zu ertragen, das ihnen vom Schicksal auferlegt worden ist. Und doch, wie reich ist ihr Leben, von einer anderen Sicht aus betrachtet. Die Liebe und Anhänglichkeit, die ihr die Kranken entgegen bringen, ersetzen ihr A. vielesalles , was das Leben ihr an Zerstreuungen vorenthält. Ein dankbarer Blick und ein liebes Wort der Kranken_ sind ihr der schönste Lohn für Mühe und Arbeit.

Wie schön und reich ist das Leben eines Menschen, der jüngeren Erzieher und damit Vorbild sein darf. Von dieser Fülle an Liebe und Wissen strömt es auf den jungen Menschen über. Im Gebenkönnen sieht dieser Mensch sein Glück, und er ist belohnt, wenn er das Ergebnis seines Schaffens sieht, nämlich, wenn der junge Mensch durch das, was er gelernt hat, ein nützliches Glied in der Gesellschaft wird.

Die innere_ Heimat der Dichter, der Denker und der Forscher liegt in der geistigen Welt, in der sie sowohl mit dem Verstand als auch mit dem Herzen beheimatet sind. Sie sind reicher als andere Menschen, A. zumal, wenn sieda sie oftmals mehrere A. Wissensgebietewissenschaftliche Gebiete ihre Heimat nennen dürfen. Ich denke besonders an Goethe dabei, A. der sich auf vielen ... betätigt hat.der in fast allen wissenschaftlichen und künstlerischen Gebieten Einblick hatte . Wie wir (...)teilweise aus seinen eigenen Schriften wissen, betrieb er mit Fräulein von Klettenberg Chemie, seine biologischen Studien A. bezeugt diezeigt er uns in der „Metamorphose der Pflanzen"; wir wissen, A. dass er den ... entdeckt hat.daß er auf dem medizinischen Gebiet großen Erfolg durch die Entdeckung des Zwischenkieferknochens hatte. Durch seine Malstudien veranlaßt, befaßte er sich mit der Farbenlehre. A. Er istAuf literarischem Gebiet ist er wohl der größte Dichter, der aus dem deutschen Volk A. hervorginggeboren wurde . Goethes Herz war stets bereit, anderen Menschen Liebe zu spenden, es war voller Verständnis für andere. Das zeigen uns all seine Werke.

I. (...) Goethe schrieb diese Worte in ein Widmungsexemplar der Iphigenie.Wenn er Iphigenie sagen läßt: „Alle menschlichen Gebrechen sühnet reine Menschlichkeit", so konnte er es nur, weil er ein offenes, weites und liebendes Herz besaß .

Und wir selbst, sind wir nicht in der geistigen Welt beheimatet? Dieser „Glaube" an das Beheimatetsein wird durch die folgenden Ausführungen nicht begründet. (...)Ich glaube doch! Wir sind stolz, wenn wir uns ein wissenschaftliches Gebiet Stück für Stück erorbern können. Je härter der Kampf ist, umso größer ist die Freude, wenn ein kleines Stück Wissenschaft in unseren Besitz gelangt ist. Viel reicher sind wir dann, als wenn wir die kostbarsten Gegenstände erlangt hätten, besser: undeben weil niemand kann uns von unserem Wissen etwas abnehmen.uns niemand etwas von unserem Wissen abnehmen kann . Wenn ich abends bei einem schönen Buch sitze, dünke ich mich so reich, daß ich mit niemand tauschen möchte, würde mir auch der schönste Reichtum geboten.

(...)In den letzten Jahren war es, daß mehr Wert auf den Erwerb vergänglicher Güter gelegt wurde, als auf den Erwerb an Wissen. Viel ist dem deutschen Volk nicht übrig geblieben von dem, was es sich im Krieg erfochten hat. Arm und nackt ist es, jeder äußeren Habe ledig. Und doch sind wir nicht arm, wenn wir daran denken, daß Dichter und Denker aus unserem Volke hervorgegangen sind, auf die wir stolz sein dürfen!

Christel Littmann.

Die Verfasserin hat sich mit der Wahl des Themas zuviel zugetraut. Sie hat zwar durch eine richtige Gliederung gezeigt, dass sie die Aufgabe verstanden hat; ihre Ausführungen stossen jedoch gedanklich nicht tief genug vor, um den Gehalt des Spruches herauszuholen. Im Verlauf der Ausführungen vertauscht sie den Begriff „Heimat" mit Freude u. Reichtum, ohne zu erklären, dass sie beide Begriffe eingeschlossen sieht in den Begriff „Heimat". Verf. hat das Thema auf die ihr gemässe Weise bearbeitet; die Arbeit entspricht der einfachen und bescheidenen Art der Verfasserin.

Noch genügend.

19.II.47. Kl.

Jahresleistung: befriedigend.