KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs A

1.) Erinnerung an ...

2.) Wie verwirklicht Michael in Wiecherts „Hirtennovelle“ das Wort Carossas „Im engsten Kreise wag’s, dich reich zu leben“?

3.) Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dem Vater und Mutter gestorben,
sondern wer für Herz und Geist
keine Lieb’ und kein Wissen erworben.
(Rückert)


Lebenslauf

Mein Vater, Theodor Max M., war Bankprokurist, ein ernster, strenger Mann, der von sich und anderen volle Hingabe an die Pflicht forderte. Ich hatte immer eine leise Scheu vor ihm. Vor allem erzog er mich zur Vaterlandsliebe. - Meine Mutter, Emmy T., hat Freude an der Natur und lehrte mich schon früh Eigenart und Namen vieler Pflanzen. Überdies hat sie große Vorliebe für deutsche Dichtung. Sie richtete mein Auge auf alles Reine und Edle und ist mir bis heute die beste Freundin geblieben. - Beide Eltern waren bestrebt, ihr einziges Kind zu einem brauchbaren Menschen zu erziehen, der ein Streben nach Wahrheit und Schönheit mit hinausnehmen sollte ins Leben.

Zu meinen liebsten Erinnerungen gehören die Sommerreisen mit meinen Eltern in die Berge, die ich liebgewonnen habe, wie eine zweite Heimat. Das Herumstreifen in der herrlichen Gegen vertiefte meine Liebe zur Natur.

Ostern 1935 wurde ich eingeschult. Das Zusammensein mit fremden Kindern war mir anfänglich unangenehm; denn bisher hatte ich mich am liebsten für mich allein beschäftigt. Aber ich gewöhnte mich bald an den Schulbetrieb; der Unterricht fesselte mich, und ich lernte gern. Ich denke noch heute dankbar an meine erste Lehrerin, die uns Kinder mütterlich umsorgte. Sie hat erwirkt, daß ich bereits nach drei Jahren, Ostern 1938, auf die Städtische Oberschule für Mädchen, Köln-Lindenthal überwechseln durfte. Der Übergang vollzog sich für mich fast reibungslos. Alles, was die Schule bot, nahm ich mit Freude auf; am liebsten hatte ich Deutsch, Geschichte und die naturwissenschaftlichen Fächer. Ich danke meinen Lehrern für alle Führung und Anleitung, die sie mir gaben, vor allem dafür, daß sie mich lehrten, mit wachem Blick durchs Leben zu gehen, und daß sie mein Streben ausrichteten auf hohe Lebenswerte.

Von den Schrecknissen des Krieges sind mir die Bombennächte in grauenvoller Erinnerung. Als sie sich zu einem Ringen um Leben und Besitz auswuchsen, nahmen sie mich so stark in Anspruch, daß ich gleichgültiger gegen meine Schulpflichten wurde. Alle Arbeit erschien sinnlos angesichts der Verluste, die es fast täglich gab.

Nach Ableistung des Straßenbahneinsatzes im Sommer 1944 wurde ich ernstlich krank. Diese Krankheit war der erste einer Reihe von Schicksalsschlägen, die uns in rascher Folge trafen. Wenige Wochen später verloren wir unser Kölner Heim. Mutter und ich siedelten nach Unterjoch, einem kleinen Bergdorf im Allgäu, über. Über ein Jahr habe ich dort unter Bauern gelebt, die nur an ihr Vieh, Heu und Geld dachten, und die geistige Arbeit als unnütz und schädlich abtaten. In dieser Zeit habe ich schätzen gelernt, was mir die Schule geboten hatte. Dankbar empfand ich die Gelegenheit, im Ort Latein und Geschichte zu treiben und einige Kinder zu unterrichten. Damals reifte mein Plan, Lehrerin zu werden.

Die letzten Kriegsereignisse berührten auch diese einsame Gegend. Die härteste Zeit meines Lebens begann. Wir waren von der Heimat abgeschnitten, in Ungewißheit über das Schicksal meines Vaters, ganz auf uns selbst gestellt in der Gefahr, die das Marokkanerunwesen mit sich brachte. - Bei erster Gelegenheit machte meine Mutter sich auf den Weg nach Köln, um nach meinem Vater zu forschen. Nach einer an Opfern und Entbehrungen reichen Reise brachte sie die Gewißheit mit, daß mein Vater am 1. April 1945 an einer Schädelverletzung gestorben war. Ich mußte alle Kräfte zusammenreißen, um diesem Schlag nicht zu erliegen. Wir mußten schleunigst nach Köln zurückkehren. Hier fanden wir Schwierigkeiten, wie wir es nie gedacht hätten. Wir hatten kein Heim. Mutter wußte über unsere finanzielle Lage kaum Bescheid. In unserer Not fanden wir liebevolle Aufnahme bei einem Onkel. So konnten wir in Ruhe an den Aufbau einer neuen Heimat gehen.

Kurz nach meiner Rückkehr nach Köln wurden die Schulen wieder eröffnet. Ich war glücklich, wieder lernen zu dürfen, obgleich das Fehlen von Schulbüchern den Unterricht sehr erschwerte. Das Lernen hat jetzt einen ganz anderen Sinn für mich als früher. Ich weiß, daß ich arbeiten muß, um mein Leben selbständig zu meistern, da ich kaum Hilfe von außen finden werde. Meine Neigungen sind die gleichen geblieben; aber ich habe jetzt ein festes Berufsziel: ich möchte Deutsch und Geschichte studieren und später ein Lehramt übernehmen. Ich möchte junge Menschen hinführen zu den hohen Lebenswerten, die ich anstrebe, und ich glaube, daß ich diese Aufgabe erfüllen könnte. Ich weiß, daß ich damit einen Wunsch meines Vaters erfülle, den die Schwierigkeiten der Zeit nach1918 gehindert haben, Lehrer zu werden.

Abituraufsatz

Nicht der ist auf der Welt verwaist, Dem Vater und Mutter gestorben; Sondern, wer für Herz und Geist Keine Lieb' und Die Verfasserin hat das Thema falsch abgeschrieben von der Tafel.keine Heimat erworben. (Rückert."

Gliederung:

I. A. Die Natur ist jedemDie Natur hat Menschen eine Heimat gegeben. Ein Mensch, der aus seinen natürlichen Bindungen herausgerissen wird, hat ein hartes Schicksal zu tragen, ( - )besonders in unserer Zeit .

II Jeder Mensch hat die A. MöglichkeitGabe , sich an Stelle einer unklar, bedingt durch das falsche Thema.verlorenen äußeren Heimat, eine neue, unverlierbare zu bauen.

1.) Sein Geist kann in der Kunst oder in einem Beruf wurzeln.

2.) Ein Herz, das von Liebe, dieser schönsten menschlichen Fähigkeit erfüllt ist
, steht in enger besser: BeziehungBindung

a) zu anderen Menschen,

b) zu Gott

c) zur Natur.

III Storm zeigt uns in seiner Novelle: „Im Nachbarhause links" in Madame Jensen einen Menschen, der ohne Freude und ohne Liebe ein verlorenes Dasein führt.

„Weh' dem, der keine Heimat hat!" Gibt es ein härteres Los als das Schicksal des Heimatlosen, das Nietzsche mit diesen wenigen Worten heraufbeschwört? - Die Natur gibt dem Menschen eine Heimat, in der er feste Wurzeln schlägt. Elternhaus und Elternliebe umgeben seine Jugend. Schutz und Fürsorge schaffen einen A. falsch, muss fehlenundurchdringlichen Wall gegen -alle unheilvolleunheilvollen Einflüsse -aus der Welt. Die Heimat ist der Ort, an dem ein Mensch geborgen ist, an den ihm Herkunft, Geburt, Erinnerungen und liebe Menschen fesseln. Wer aus diesen Bindungen herausgerissen wird, gleicht einem entwurzelten Baum. I übertrieben und falsch.Er ist im Mark verletzt, er kann nicht mehr genesen. Das Dasein eines solchen halt- und schutzlosen Menschen ist kein Leben mehr, es ist nur noch ein Vegetieren, ein langsames Dahinsiechen an Leib und Seele. Zu allen Zeiten ist das Schicksal des Vereinsamten eines der härtesten Lose gewesen besser: , besonders in Notzeiten, wie wir sie erleben. Wieviel größer ist seine Not in der heutigen Zeit. Er vermag sich gegen ihre Wirren kaum zu behaupten. Viele Menschen haben Haus und Heimat verloren, sind vertrieben worden von dem Boden, der ihnen teuer war. Überdies hat der Krieg manchem noch liebe Menschen entrissen, an denen er mit allen Fasern seines Herzen hing. Ohne Hilfe, Rat und Schutz, vereinsamt und ohne Rückhalt steht er im Leben. Der Schlag ist so schwer, daß es scheint, als wäre er nie zu verwinden, als wäre alles Glück und alle Hoffnung mit Heimat und Eltern dahingegangen. Sein Glaube an das Schöne und Gute im Leben, sein Lebenswille und seine Kraft drohen zu versinken. Es gibt Stunden, in denen der Wunsch übermächtig wird, den lieben Toten folgen zu dürfen. ( - )Ruhelos treibt das Schicksal den Einsamen durchs Leben; er kann nicht mehr froh werden, Verzweiflung und Trauer sind seine ständigen Begleiter. Ein Meer von Hoffnungslosigkeit, zerschellten Wünschen und seelischer Not droht ihn zu verschlingen.

Und doch, gerade im jungen Menschen bäumt sich etwas auf gegen Verzweiflung und Not. A. InAus sich ( - )selbst findet er die Kräfte, sich gegen die finsteren Gewalten zur Wehr zu setzen. Die junge Seele will nicht verkümmern, sie drängt zum Licht, hungert nach Freude und Wärme. Dieses Sehnen läßt den Menschen zu sich selbst zurückfinden, besser: und hilft ihm, eine schöne Welt in seiner Seele zu bauen.in die schöne Welt, die er in seiner Seele gebaut hat . Dort findet er eine neue, unverlierbare Heimat.

Jeder Mensch begegnet im Leben einer Aufgabe, findet einen Beruf, den auszufüllen ihm die größte und schönste Pflicht ist. Freude über Freude kann solch ein Wirkungskreis spenden. Die Arbeit ist die beste Hilfe zur Überwindung von Leid und Not. - - „Was nutzen uns alle Länder und Meere der Welt; wenn wir das Reich des Geistes und des Herzens nicht besitzen." Dieses Wort Carossas umreißt ganz klar diese neue Heimat, die in uns selbst wohnt. Von außen kann unser Glück niemals kommen, wir müssen es in uns tragen, müssen es bauen aus edlem Gut, das nicht zerstört werden kann. Nicht umsonst hat man uns Deutsche „das Volk der Dichter und Denker" genannt. Unsere Großen haben uns ein Reich erobert, an dem jeder teilhaben kann, der es versteht, seine Schätze zu erwerben.

( - )Die beste und schönste Trösterin ist besser: für vielefast für jeden Menschen die Musik. Wem haben die Symphonien Beethovens, die so von Überwinderkraft erfüllt Gr. sindist , nicht schon Mut und Hoffnung in düsteren Stunden gegeben! Sturm und Unrast A. kann ... beruhigensänftigt die „Unvollendete" Franz Schuberts, deren innige, tröstende Kraft ich selbst in Leid und Not erfahren habe.

Wie reich ist unsere Dichtung an Trost und Hilfe für jeden, der sich ernsthaft mit ihr beschäftigt! Goethe ist der Meister, der für jeden ein gutes und helfendes Wort bereit hat. Ein tiefer Sinn wohnt in allen Dingen, die uns begegnen, wenn wir sie mit seinen Augen sehen. Er stellt uns die Aufgabe, die wir im Leben zu erfüllen haben, klar vor Augen in seinem Gedicht „Das Göttliche". Mittler sollen wir sein zwischen Gott und Natur, Helfer und Rater, Bruder und Führer unserer Mitmenschen.

Ist das nicht eine Lebensaufgabe, die zu meistern sich lohnt? Die Liebe ist die Kraft, die uns hilft, anderen Menschen mit offenem, gütigem Herzen entgegenzutreten. sie schafft die Fähigkeit mitzugehen und zu leiten, A. einediese Eigenschaft, die ( - )das besser: Die im tiefsten Wesen ... liegt.tiefste Wesen der Mutter und des Erziehers ist . Ein Mensch, dessen Herz von Liebe erfüllt ist, findet auch die Güte zu entschuldigen und zu A. glaubenhelfen , selbst wenn er den anderen nicht mehr begreifen kann.

Liebe und Vertrauen sind die Grundlagen unserer A. BeziehungBindung zu anderen Menschen und zu Gott. Die Liebe zum Vater gibt A. unsihm den Halt, an den wir uns ... könnener sich klammern kann in Gefahr und Not. Tiefe Gläubigkeit, eine schöne Sicherheit und Ruhe Gr. begleitenbegleitet einen solchen Menschen durch sein ganzes Leben. Aus dieser Haltung heraus schuf Mörike seine schönsten Gedichte, für dieses Gefühl der Geborgenheit fand er die schönen Worte: „Herr, schicke was Du willt[!], ein Liebes oder Leides, ich bin vergnügt, das beides aus Deinen Händen quillt."

Diese Liebe zu Gott wird sich auch auf seine A. SchöpfungKreatur ausdehnen. Die Natur ist das Reich, aus dem jeder Befriedigung, Glück und Freude schöpfen kann, der sich die Mühe macht, sie zu belauschen. Blume und Tier, Sonne und Sterne, sie alle geben dem suchenden Verstand Rätsel auf Rätsel zu lösen; dem offenen Sinn aber, der bereit ist, zu sehen und sich zu freuen, enthüllen sie immer neue Wunder und werden zu einer Quelle des Glückes, die nie versiegt.

Es gibt wenig Menschen, die ohne Freude und ohne Liebe durchs Leben gehen ( - )können . Eine solche Gestalt tritt uns entgegen in Theodor Storms Novelle „Im Nachbarhause links" ( - )in der Gestalt der Madame Jensen . Madame Jensen wird von allen gemieden, weil sie ein herzloses, verbittertes und geiziges Geschöpf ist. Heimat und Freundschaft hat sie verloren, Eigennutz und Bosheit begleiten sie durch ihr ganzes Leben. Herz und Geist sind A. in ihr ertötetgestorben . Nur toter Besitz freut sie noch. Die Geldgier hat ihr alles geraubt; auch ihr Leben verliert sie in dieser Sucht nach Gold. Einsam und verloren geht sie durchs Dasein, weil sie unfähig war, sich zu freuen und zu wachsen an all den lebendigen, hohen Werten, die das Leben ( - )aller Wege für uns bereit hat. Sie ist ohne Heimat, ohne Liebe und ohne Glück. I. Sie denkt wohl an das oben angeführte Wort von Nietzsche: „Weh dem, der keine Heimat hat!"Der Fluch, der in Rückerts Wort steht , hat sie in seiner ganzen Furchtbarkeit getroffen.

Die Verfasserin hat das Wort Rückerts falsch abgeschrieben. Sie hat sich eifrig bemüht, diesen verdrehten Spruch zu deuten. Wie der Entwurf zeigt, hat sie die Arbeit zweimal durchgeführt, aber da sie beim zweiten Mal wieder von der gleichen falschen Voraussetzung ausging, konnte sie die richtige Lösung der gegebenen Aufgabe nicht finden. Die Ausführungen zu „ihrem" Thema beweisen, dass sie die Fähigkeit besitzt, gute Gedanken zum Thema heranzubringen, sie richtig auszuführen und zu begründen und den Stoff klar zu gliedern. Die hier und da aufgestellten übersteigerten oder falschen Behauptungen sind wohl zu erklären aus einem Gefühl der Unsicherheit gegenüber der Aufgabe, das in der Arbeit spürbar ist - ganz im Gegensatz zu der gewohnten Sicherheit der Verfasserin.

In Anerkennung ihrer tapferen Bemühungen um eine unlösbare Aufgabe ist die Arbeit als genügend zu bezeichnen.

Genügend. Jahresleistung: gut.

20.II.47. Kl.