KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse 8c (1944)

Gutachten über die Klasse 8 c.

Die Klasse ist durchweg gut begabt, aufgeschlossen für alle Lebensgebiete u. daher sehr anregend, dabei arbeitsfreudig u. gewissenhaft. Obgleich jede Schülerin eine starke Eigenart hat u. mehrere erst später hinzugekommen sind, ist das Gesamtbild bei aller Buntheit einheitlich. Trotz der Schwere der Zeit und harter Einzelschicksale ist die Klasse eine heitere, unbekümmerte Gesellschaft geblieben, die Singen u. Lachen nicht verlernt hat; die aus unverwüstlichem Lebensdrang heraus schon einmal einen Seitensprung machen kann, die jedoch wegen ihrer ungezwungenen , natürlichen u. offenherzigen Art immer liebenswert bleibt. Beim Durchlesen der Lebensläufe fällt auf, daß die Liebe zur Musik u. auch die Musikpflege nahezu allgemein ist u. daß reine Großstadtkinder gering an der Zahl sind. Daher wohl auch die trotz aller Lebhaftigkeit ruhige u. sichere Art des Schaffens, sowie die Einfachheit im Denken u. Empfinden. So stellt die Klasse als Ganzes in ihrer Beweglichkeit, in ihrem Frohsinn u. ihrer Musikfreudigkeit das rheinische Wesen in seltener Reinheit dar.


Beurteilung

Sie ist älter als der Durchschnitt der Klasse. In ihrer Kindheit hat sie Not u. Sorgen kennengelernt, u. als Älteste hat sie schon früh Pflichten neben der Schule übernehmen müssen. Dadurch hat sie sich eine gewisse Lebensklugheit u. ein sicheres, höfliches Auftreten erworben. - Gesundheitlich ist sie leicht anfällig. Ihre Begabung ist nur schwach. Es fällt ihr schwer, einen Gedanken folgerichtig durchzuführen u. das Gedachte im Zusammenhang klar aneinanderzufügen. Trotzdem hat sie in ihrem Wesen etwas stark Bewußtes. Selten ist ihr Handeln u. Reden ganz unbefangen. Da sie einen gewissen Geltungsdrang hat, ist ihre Sprechweise oft geziert u. pathetisch. In der letzten Zeit ist sie schlichter u. einfacher geworden. Besonders wenn es gilt, sich praktisch zu betätigen, dann setzt sie selbstverständlich u. unauffällig ihre Kräfte ein u. ruht nicht eher, als bis die Arbeit gründlich getan ist. Geradezu mit Selbstaufopferung arbeitet sie für ihre Familie wie auch in den verschiedensten Organisationen der Partei.

Lebenslauf

Am 5. September 1923 wurde ich in Hannover geboren, als älteste Tochter des Maschinenbauingenieurs Hans S. und seiner Ehefrau Emmy S., geborene H.. Während meine Eltern beide aus Hannover stammen, liegt die Heimat meiner Großeltern und deren Vorfahren in der Umgebung von Düsseldorf, im Sauerland, im Harz, im Wesergebirge und auch wieder in Hannover.

Ich kann mich an meine früheste Kindheit noch gut erinnern. Wegen der Not der Zeit wohnten wir mit den Eltern meiner Mutter zusammen, und dort verlebte ich glückliche Kinderjahre. Die schönste Stunde des Tages war, wenn mein Vater von der Arbeit nach Hause kam. Da meine Mutter nicht viel Zeit hatte, sich mit mir zu beschäftigen, sodaß ich immer auf mich selbst angewiesen war, so freute ich mich, wenn mein Vater abends mit mir spielte, bis nur ein Machtwort mich zur Ruhe brachte. Ich durfte als Reiter auf seinem Rücken sitzen, wenn er auf den Knien im Zimmer umherrutschte; wir spielten gemeinsam mit Puppen, und ich weiß noch, wie wir beide gelacht haben, als ich in einem unbewachten Augenblick meines Großvaters Geschäftsbuch mit Tinte, Buntstift und Stempel bemalt hatte.

Doch noch schöner war es, wenn mein Vater endlich sich bereit fand, mir die schönen deutschen Märchen zu erzählen. Wir waren beide dann so vertieft, bis meine Mutter ihr Recht, mich ins Bett zu stecken, geltend machte.

Jeden Sommer zogen wir in unsern Garten am Warmbüchener Moor. Da draußen lernte ich Pflanzen, Tiere und den Wald kennen und lieben. Es war ein stilles Fleckchen Erde, fern von allem Großstadtgetriebe. Wenn ich jetzt noch Hannover besuche, so lasse ich es mir nie nehmen, einen Tag dort draußen zu verleben. Dort kann man ausruhen und Kraft sammeln für den Alltag.

Nach drei Jahren bekam ich ein Schwesterchen, und es dauerte lange, bis ich mich daran gewöhnt hatte, daß ich nun teilen mußte. Bald darauf zogen wir auch um in eine Wohnung, die uns genügend Platz bot, wo wir ungestört spielen konnten.

Ostern 1930 kam ich in die Schule. War ich schon gerne in den Kindergarten gegangen, so konnte ich es nicht erwarten, bis der Schulranzen gepackt war, um nur ja früh genug in der Schule zu sein.

Doch schon nach meinem ersten Schuljahr zogen wir nach Köln. Auch hier ging ich genau so gern zur Schule, und wenn man sich fragte: „Was willst du denn später mal werden?" so antwortete ich immer: „Ich werde Lehrerin."

Wir wohnten ungefähr ein halbes Jahr in Köln, als uns ein Schicksalsschlag traf, der auch in unser Leben innerhalb der Familie eingriff. Mein Vater wurde arbeitslos. Es war das kein Einzelschicksal in der damaligen Zeit, doch traf es meine Eltern schwer, da sie weder Verwandte noch Bekannte hier hatten. So auf sich angewiesen, schlossen sie sich enger aneinander, zumal auch der Gesundheitszustand meiner Mutter sich verschlechterte und uns monatelang in Besorgnis hielt. Wohl wurde für unser körperliches Befinden gesorgt, so gut es ging, doch die Stunde nach dem Abendessen, in der wir erzählen konnten, was uns bewegte, in der wir zusammen gute Bücher lasen, die fiel fort. Meine Eltern lebten nur noch für einander und vergaßen uns Kinder über dem Verlust.

So waren wir auf uns selbst angewiesen. Während es meinem Schwesterchen noch nicht zum Bewußtsein kam, werde ich diese traurige Zeit nie vergessen. Ich nahm mir oft nachmittags ein Buch und las meinem Schwesterchen daraus vor, damit es die veränderte Lage nicht spürte.

Mit der Zeit traten die Kinderbücher mehr und mehr in den Hintergrund, und ich griff auch nach anderem Lesestoff. Ich las, was ich im Bücherschrank fand. Meistens verstand ich nicht alles, aber doch regte mich das Gelesene zum Nachdenken an, und noch heute kommt es vor, daß ich mich beim Durchlesen eines Buches erinnere, daß ich es damals schon gelesen und was ich mir dabei gedacht habe.

Von einer Schulkameradin hatte ich mir eines Tages eine Klavierschule geliehen, und mit viel Mühe brachte ich mir die Anfänge des Klavierspielens bei. Es hat lange gedauert, und nur fleißiges Üben brachte mich dahin, daß ich bald meinen Eltern etwas vorspielen konnte. An dem Tage habe ich zum ersten Male wieder ein wenig Freude auf dem Gesicht meiner Mutter gesehen. Das war mir ein Ansporn. Noch heute, wenn mich irgendetwas stark bewegt, suche ich eine Entspannung, einen Ausgleich in der Musik.

Durch Vermittlung einer Lehrerin durfte ich ab Ostern 1935 das Lyzeum der evangelischen Gemeinde in der Antoniterstraße besuchen. Mit ebenso großer Freude wie in die Volksschule ging ich in diese Schule. Meinen Eltern fiel es schwer, die Unkosten zu decken; ich merkte es wohl. Aber ich wollte lernen, wollte Lehrerin werden, um ihnen das alles einmal wieder gutmachen zu können. Meine Lieblingsfächer waren Deutsch, Erdkunde und Mathematik.

Mit Bekannten zusammen zogen wir 1935 nach Riehl. Hier umgab uns freiere Luft, und ein großer Garten wurde unser Spielplatz. Langsam kehrte auch das Glück wieder bei uns ein, und meine Eltern fingen an zu hoffen. In den Ferien durften wir meinen Vater auf seinen Geschäftsreisen mit dem Wagen begleiten. So lernten wir Menschen kennen und mit den Menschen ihre Sitten, Gebräuche, ihr Handeln und ihren Charakter. Wir wurden aufmerksam gemacht auf den Umgang mit ihnen, und wir lernten bald, sie von einander zu unterscheiden.

Groß war unsere Freude, als am Vortage meiner Konfirmation 1938 sich zu meiner Schwester und mir noch ein kleines Schwesterchen gesellte. Es war ein Segen für uns, denn seit dem Tag lebte meine Mutter auf, und unsere schönen gemeinsamen Abende, die durch die Notzeit unterbrochen waren, wurden wieder aufgenommen.

In der Kükengruppe der N.-S.-Frauenschaft, die ich seit 1932 besuchte, waren Kinder aus den verschiedenen Schichten. Es war das erste Mal, daß ich außer der Schule mit anderen Kindern zusammenkam. Unsere Leiterin verstand es, uns zu einer Gemeinschaft zu verbinden, ohne daß nach dem Standesunterschied gefragt wurde. Begeistert ging ich darum 1934 zu den Jungmädeln über und bemerkte auch hier dasselbe wie in der Kükengruppe. Wir wurden durch Spiele, Fahrten und gemeinsames Erleben zur Gemeinschaft erzogen. Dankbar übernahm ich 1938 die Aufgabe, im BDM den Mädeln den Sinn unserer Erziehung klarzumachen und sie auf Aufgaben zu lenken, die ihnen vielleicht von unserm Volk gestellt werden. Ich bin jetzt noch als Standortführerin tätig.

Sehr gut hätte sich meine Tätigkeit im B.D.M mit meinem Wunsch, Lehrerin zu werden, gedeckt. Aber als wir in der fünften Klasse Chemieunterricht erhielten, erkannte ich, daß ich viel lieber den Beruf einer Chemikerin ergreifen würde. Darum nehme ich Chemie als Wahlfach und möchte nach Beendigung der Schule mich in diesem Fach weiterbilden.

Ich bitte um Zulassung zur Reifeprüfung. Mein Bekenntnis bitte ich auf dem Reifezeugnis anzugeben.