KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs B

1.) Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen)

2.) Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern. (Vorgelegt wird: 1.) Ein sibirisches Märchen: Das Fisch-Mädchen, 2.) ein deutsches Märchen: Die Sterntaler, 3) ein französisches Märchen: Cendrillon.

3.) Vergleich zweier Mutterbildnisse: (Christoph Amberger: Margarete Welser. Hans Thoma: Bildnis der Mutter des Künstlers)


Lebenslauf

Am 28.III.1927 wurde ich als Tochter des Prokuristen Ernst R. und seiner Frau Dora, geb. B., in Köln-Riehl geboren. Von Ostern 1933 bis 1937 ging ich in die Volksschule in Riehl. Von der Großstadt war in unserem Vorort nicht viel zu spüren, und so konnte ich fast immer draußen sein, und an Spielkameraden fehlte es auch nie.

Als ich in das Lyzeum der evangelischen Gemeinde in der Antoniterstraße kam, erlebte ich den ersten großen Schmerz: Ich mußte mich von meiner Freundin trennen, die auf eine andere Schule kam und die ich dann nur noch selten sah. Seither habe ich nie mehr eine engere Freundschaft geschlossen.

Im Februar 1939 brachte mein Vater meine Schwester und mich nach England in ein Internat. Dies war meine erste große Reise, doch nahm ich die Trennung von meinen Eltern und von meiner Heimat nicht sehr ernst, sondern freute mich auf das Neue und Ungewöhnliche, was ich nun zu sehen bekommen sollte. Die englischen Mädchen in der Schule kamen uns sehr herzlich und hilfsbereit entgegen, so daß uns das Einleben nicht schwer wurde. Auch die Sprache lernten wir schnell, weil wir uns nur auf Englisch mit den anderen verständigen konnten. Die einzigen Fächer, in denen ich überhaupt nicht mitkam, waren Mathematik, Physik und Chemie, weil mir die Maaße und Fachausdrücke völlig fremd waren.

Die Schule lag in Südengland in einer sehr hübschen und typisch englischen Landschaft, die wir auf unsern sonntäglichen Spaziergängen durchstreiften. Die Zeit in England war aber leider viel zu kurz; all das Neue und Fremde konnten wir nicht richtig kennen lernen, und ausserdem kümmerte ich mich damals noch sehr wenig um meine Umgebung. Erst als ich wieder in Deutschland war, kamen mir manche Unterschiede zwischen den beiden Ländern zum Bewußtsein.

Als wir in den Sommerferien zu Hause waren, brach der Krieg aus, und wir konnten nicht mehr nach England zurück.

Weil unsere frühere Schule inzwischen aufgelöst worden war, kam ich auf die Oberschule für Mädchen am Georgsplatz, wohin die meisten Mitschülerinnen übergesiedelt waren. Es dauerte lange, bis ich mich in dieser Schule eingelebt hatte, das heißt, so richtig heimisch wurde ich nie in ihr. Obwohl ich nur kurze Zeit in der „Antoniterschule" gewesen war, hatte ich sie doch lieb gewonnen. Die alte Tradition, die dort in allem spürbar gewesen war, fehlte am Georgsplatz vollständig. Die Klasse war gemischt mit den Schülerinnen der ehemaligen Klosterschule, und die Spaltung in Evangelische und Katholische bestand noch lange. Auch die Lehrer waren zum größten Teil neu und wechselten dauernd. Deshalb war ich froh, als ich 1940 und 41 während der Sommermonate in Urach in Württemberg in die Schule gehen durfte. Schon von Kindheit an waren wir fast jeden Sommer nach Württemberg, in die Heimat meines Vaters gefahren, und so wurden mir die schwäbische Landschaft und ihre Menschen vertraut, und ich sehnte mich während des ganzen Jahres dorthin zurück.

Als ich im Herbst 1943 erst kurze Zeit in der 7. Klasse war, mußte ich die Schule verlassen, weil ich „halbarisch" bin. Ich leistete dann in Baden-Baden bei einer Familie mit fünf Kindern das Pflichtjahr ab. Hier sah ich mich plötzlich vor eine Aufgabe gestellt, der ich noch gar nicht gewachsen war. Ich war viel zu jung und mußte doch die Verantwortung für das Wohl der fünf Kinder übernehmen, deren Mutter sehr viel krank war und sich auch sonst nicht viel um den Haushalt und um die Kinder kümmerte. Durch diese Aufgabe wurde ich unsanft aus meiner Träumerei und kindlichen Verspieltheit geweckt und mußte mich allein unter fremden Menschen zurechtfinden. Die völlig unerzogenen, aber sehr intelligenten Kinder machten mir abwechselnd Kummer und Freude.

Nach dem Pflichtjahr konnte ich nicht mehr nach Köln zurück, weil das Dasein meiner Eltern in jedem Sinne gefährdet war. Meine Verwandten in Urach nahmen mich wieder auf. Damit ich nicht in die Fabrik eingezogen wurde, nahm mich ein befreundeter Apotheker als „Dienstmädchen" zu sich. Ich war aber weniger im Haus als in der Apotheke beschäftigt und sah und lernte dabei viele neue und interessante Dinge. Als ich mich gerade eingelebt hatte, holte mich das Arbeitsamt weg und schickte mich als Hilfsarbeiterin in eine Fabrik. Dort mußte ich täglich zehn Stunden lang im Akkord Schrauben in Autoteile drehen. Nach einiger Zeit wurde ich Werkstattschreiberin und hatte nun eine etwas weniger stumpfsinnige Beschäftigung. Nach einem halben Jahr machte der Einzug der Amerikaner dieser unbefriedigenden Tätigkeit ein Ende.

Nun wurde ich von meiner Tante in Haus und Garten beschäftigt und lernte in diesem wohlgeordneten schwäbischen Haushalt das andere Extrem, nämlich fast zu übertriebene Ordnungsliebe kennen. In dieser Zeit las ich viel. Aber weil niemand da war, der mir raten konnte oder mit dem ich über das, was ich gelesen hatte, sprechen konnte, las ich ziemlich wahllos, was mir in die Hände kam. Doch war es mein Glück, daß ich, obwohl noch ganz unbewußt und ohne mir über die Gründe klar zu werden, ziemlich genau wußte, ob ich ein gutes oder ein schlechtes Buch vor mir hatte. Ich las den „Grünen Heinrich", „Maler Nolten" und den „Hungerpastor" ohne sie recht zu verstehen und ihren Wert zu erfassen. Gerne las ich die Romane von Fontane und Ina Seidel. Auf den langen Albwanderungen, die ich am liebsten ganz alleine machte, hatte ich immer Mörikes Gedichte, die ich besonders liebte, bei mir, oder ich träumte mich in die Menschen hinein, über die ich gelesen hatte und spann die Erzählungen weiter aus. Bei der eintönigen und geisttötenden Fabrikarbeit hatte ich mir das Träumen wieder angewöhnt.

Ich fing auch wieder an zu zeichnen und zu malen, was ich schon als Kind leidenschaftlich gern getan hatte. Dazu suchte ich mir auf der Alb die seltensten und schönsten Blumen zusammen.

Dieses Leben konnte mich aber auf die Dauer nicht befriedigen und glücklich machen. Mein Entschluß stand fest, sobald wie möglich nach Hause zurückzukehren und dort wieder in die Schule zu gehen. Im Juli 1945 kam ich wieder nach Köln zurück und im November wurde ich in die 7. Klasse der Kaiserin-Augusta-Schule aufgenommen und Ostern 1946 in den Sonderkurs versetzt.

Als ich wieder zur Schule ging, merkte ich, daß ich inzwischen fast alles vergessen hatte. Am Anfang fiel es mir sehr schwer, mich zu konzentrieren und mich bei dem schnellen Wechsel der Stunden auf die einzelnen Fächer umzustellen. Doch machte mit das Lernen bald immer mehr Freude; darum möchte ich auch gerne studieren und versuchen, mein Interesse für Kunst beruflich auszunutzen.

Abituraufsatz

Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern (vorgelegt wird: Ein sibirisches Märchen - ein deutsches Märchen - und ein französisches Märchen.)

A Einleitung

Die Entstehung der Märchen.

B. Hauptteil

Die Volksmärchen; eine Brücke zwischen den Völkern.

I Der allgemeine Inhalt der Märchen.

II. Ihre Verschiedenheit

a) das sibirische Märchen

b) das französische Märchen

c) das deutsche Märchen.

C. Schluß

Das Märchen als verbindendes Glied zwischen den Völkern.

A Wenn wir einem Kinde etwas erzählen, müssen wir uns auf die Phantasie und das Auffassungsvermögen des Kindes einstellen. Die Vorstellungskraft dieses jungen Menschen kann ja erst das erfassen, was sie um sich herum sieht: die Menschen, denen es in seinem kurzen Leben begegnet ist, die Tiere + Pflanzen, die Gestirne, die Unwetter mit Blitz und Donner, Gglänzender Reichthum im Gegensatz zu bitterer Armut. Irrtum!So sind auch die Märchen als Erzählungen für Kinder entstanden . Aber wenn wir uns überlegen, warum es heute keine Menschen mehr gibt I_ die Märchen erzählen können, außer den Dichtern die Kunstmärchen schreiben, so erkennen wir, daß der Märchenerzähler sich nicht nur auf den kindlichen Zuhörer einstellen muß, sondern selber ein einfaches I_ kindliches Gemüt haben muß. merkwürdige BegründungDeshalb entstanden die Märchen in der Jugend der Völker, als die Phantasie der Menschen noch nicht durch vieles Lesen abgestumpft und träge geworden war, als die Menschen auch noch nicht so große Kenntnis von den Vorgängen in der Natur hatten, als sie noch nicht so „aufgeklärt" waren. Damals war für sie die Welt noch mit Hexen, Zwergen, Geistern und Kobolden bevölkert, die für sie die Verkörperung der geheimen Kräfte in der Natur waren, und ihr Gemüt war noch für Wunder empfänglich.

Bez. zum Thema fehlt.B I Wenn diese Märchen auch ganz einfach erzählt sind, Stilohne tiefe Probleme , und meist von den einfachen Dingen des Lebens handeln, so Ooffenbahrt sich in ihnen doch eine tiefe Weisheit, die ganz unbewußt und ungewollt von den Erzählenden hineingelegt wurde. Auch ihre erzieherische Wirkung war nicht beabsichtigt, sondern ergab sich ganz von selber dadurch, daß der gute und hilfsbereite Mensch belohnt wurde und der böse, listige Mensch, der meist durch große Häßlichkeit gekennzeichnet ist, bestraft wurde. Wenn auch jedes Märchen den Charakter des Volkes, aus dem es hervorgegangen ist I_ Owiederspiegelt , so haben sie doch vieles gemeinsam. Denn alle Völker gleichen sich am Anfang ihrer Entwicklung, weil sie dann der Natur am nächsten sind. So bestehen die Völker zuerst meist nur aus Bauern und Handwerkern, die entweder arm sind, oder nur mäßigen Besitz haben und in Bewunderung zu dem Reichtum der herrschenden Schicht aufblicken, mit deren Glück und glänzendem Leben ihre Phantasie sich viel beschäftigt. So spielt sich auch das Geschehen der Märchen in den Hütten der Armen und in den Palästen der Reichen ab.

[gilt für ganz II =] Die Bez. zum Th. wird vorausgesetzt, aber nicht hergestellt.II Dies haben wohl die Märchen aller Völker gemeinsam I_ und doch unterscheiden sie sich voneinander, denn in ihnen spiegelt sich das Wesen eines jeden Volkes, weil sie aus dem Volk hervorgegangen sind. Diese Verschiedenheit wird in dem französischen, dem sibirischen und dem deutschen Märchen ganz deutlich.

a) Wenn wir das sibirische Märchen lesen, sehen wir vor uns die karge, eintönige Landschaft und die große Armut in der die Menschen dort leben, denen eine gute Mahlzeit schon die Erfüllung eines langersehnten Wunsches bedeutet. Das schwere, arbeitsreiche Leben bindet diese Menschen fest an die Wirklichkeit, und ihre Gedanken und Träume beschäftigen sich nur selten mit dem Wunderbaren. Die realistische Art der Erzählung zeigt das deutlich. In diesem weiten, einförmigen Land gibt es ja auch wenig Anregung für die Phantasie.

b) Wie anders ist dagegen das französische Märchen Cendrillon. Man merkt, daß es in einem reichen Land entstand, in dem der König einen glänzenden Hof hielt und die Phantasie des Volkes viel Nahrung fand. Alle Einzelheiten, die mit dem verlockenden Glanz, mit Pracht und Reichtum verbunden sind, werden liebevoll ausgeschmückt. Dabei gewinnen wir den Eindruck, als sei das Wesen dieses Volkes mehr auf das äusserliche gerichtet und als fehle dahinter ein tieferes Gemüt und Empfinden. Daher wurde wohl auch auf die Bestrafung des Bösen kein Wert gelegt.

c) Während bei dem französischen Märchen der Hauptwert auf die reiche Ausschmückung gelegt wurde, ist bei dem deutschen der tiefere moralische Sinn das Wichtigste. Zwei Eigenschaften des deutschen Menschen, seine Gutherzigkeit und sein Gottvertrauen sind deutlich ausgeprägt. Die gute Tat aus dem Glauben an Gottes Güte wird belohnt, doch ist die Belohnung nicht so wichtig, daß sie weiter ausgeschmückt werden müßte. Dieses Märchen ist so erzählt, daß wir von Anfang an mitempfinden, mitleiden und uns am Ende mitfreuen können.

C Diese Verschiedenheiten ändern nichts daran, daß sich die Märchen im Wesen doch gleichen, denn auch die Völker gleichen sich in ihrer Jugend, wenn sie sich auch in kleinen Einzelzügen unterscheiden. Klar wird der Thema-Ged. auch jetzt nicht entwickelt._ Später entwickelt sich jedes Volk nach seiner besonderen Art, sein Wesen wird geprägt von der Landschaft, in der das Volk lebt und von seinem geschichtlichen Schicksal. So werden sich die Völker fremd; aber wenn sie sich auch in ihrer späteren Kunst unterscheiden und sich nicht mehr verstehen, durch den ersten künstlerischen Ausdruck ihres Wesens, durch das Märchen, ist eine Brücke des Verständnisses geschaffen, auf der ein Volk den Weg zum andern finden kann.

Es ist sehr zu bedauern, daß die Verfasserin ihren Schlußsatz, in dem sie das Thema klar ausspricht, in ihren Ausführungen nicht beweist, sondern es sozusagen als bewiesen annimmt. So gehen die klugen und richtigen Gedanken, die sich in beiden Hauptteilen finden, fürs Thema verloren. Offenbar hat die Sch. in schlechter Verfassung gearbeitet; denn sie leitet den Aufsatz schon mit krausen Ideen ein, denen sie selbst später widerspricht. Die gewandte Sprache und die geschickte Auswertung der Märchen im II. Teil sowie der Eindruck eines im allgemeinen reifen Verständnisses ermöglichen das Urteil:

Mit starker Einschränkung: Genügend.

Die Jahresleistungen waren meist Gut.

22.II.47 T. Rolff.