KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse

Gutachten über Klasse OI a:

Die Klasse OIa, die jetzt noch 15 Schülerinnen hat, wurde Ostern 1946 als OIIa neu zusammengestellt.

Die Schülerinnen, die aus recht verschiedenen Schulen kamen, brachten sehr verschiedene Vorbildung mit. Nur sehr langsam haben sie sich zu einer geschlossenen Gemeinschaft zusammengefunden. Alle 15 Oberprimanerinnen sind ausnahmslos wertvolle junge Menschen, die zielstrebig an ihrer Charakterbildung arbeiteten und immer starkes Interesse für alle menschlichen und philosophischen Probleme zeigten.

Im Unterricht arbeitete die Klasse ruhig, aber mit gleichbleibendem Fleiss. Bei vielen guten Durchschnittsbegabungen kann die Klasse aber die Leistungen nicht aufweisen, die wir von einer Oberprima nach achtjährigem Besuch einer höheren Schule erwarten, da einerseits immer wieder Lücken der Mittelstufe, die in den langen Kriegsjahren entstanden, auszufüllen waren; anderseits die unzureichende Ernährung, die weiten Schulwege, die beengten Wohnungsverhältnisse, häusliche Pflichten und der Büchermangel nicht volle Leistungsfähigkeit zuliessen.


Beurteilung

Rosemarie G. ist ein frisches, frohes Mädel, unermüdlich fleissig und strebsam. Als einzige Tochter wird sie umhegt und umsorgt vom Elternhaus, das bemüht ist, ihr jede Sorge abzunehmen. Sie fasst leicht und gut auf, entwickelt ihre Gedanken folgerichtig. Im Unterricht arbeitet sie lebhaft mit und ist aufgeschlossen für alles Schöne in Natur und Kunst.

Durch ihr offenes, taktvolles, hilfsbereites Wesen, hat sie sich das Vertrauen der Lehrenden und der Mitschülerinnen erworben.

Lebenslauf

Am 26. Mai 1928 erblickte ich als Tochter des katholischen Mittelschullehrers Paul G. und seiner Frau Anni, geb. H., in Köln das Licht der Welt. Ich bin das einzige Kind meiner Eltern geblieben. So ist es erklärlich, daß ich als ihr ein und alles nichts entbehrte, was ein Kinderherz erfreuen kann, und daß die Eltern meinem Geist genug Möglichkeiten und Hilfsmittel verschafften, damit er sich ungehindert entwickeln konnte. Dieser Umstand hatte aber auch zur Folge, daß mir die große Sorge meiner Eltern um mich früh zum Bewußtsein kam und mich bewegte, diese Sorge nach Möglichkeit zu mindern.

Ein schreckliches Erlebnis erinnert mich an die Zeit, da ich den Städtischen Kindergarten besuchte. Ich bin stets mit Widerwillen hingegangen, aber nach dem Wunsche meiner Eltern sollte ich doch der Vorteile der Erziehung durch die Kindergemeinschaft nicht entbehren. So geschah eines Tages das Unglück. Nach der Frühstückspause mußte ich helfen, die Milchbecher einzusammeln, indes die Kindergärtnerin heißes Wasser zurecht gemacht hatte zum Spülen. Als sie den Kessel zum Tisch tragen wollte, stieß sie gegen mich und das kochende Wasser stürzte auf meinen Nacken und floß teils den Rücken hinunter, teils, da ich mich gerade gebückt hatte, über den Hals, die Ohren zum Mund. Das aufgeregte Fräulein zog mir in Eile den Pullover über den Kopf aus und riß mir dabei die verbrannte Haut ab. Meinen großen Schmerz und mein Jammern habe ich vergessen, aber nicht das Entsetzen und den Schmerz meiner Mutter, den ich auf ihrem Gesicht las, als sie, die man herbeigerufen hatte, erschien. Sie konnte sich, da sie meine schrecklichen Wunden sah, nicht halten und brach in Tränen aus. Nie hatte ich meine Mutter weinen sehen. Mit aller Kraft nahm ich mich zusammen und schluchzte: „Mutti, weine nicht, es tut mir gar nicht mehr weh." Die Heilung dauerte wochenlang; einige Brandnarben erinnern mich zeitlebens an dieses Unglück.

Ostern 1934 trat ich in die Volksschule ein. Meine erste Lehrerin war Fräulein K. Zu ihr hatte ich vom ersten Tag an ein so herzliches Verhältnis, daß ich mit heller Begeisterung zur Schule ging und ihr ein bleibendes Andenken bewahrt habe. Fräulein K. war eine junge, lebhafte Dame, die es verstand, uns spielend in die Geheimnisse des Lesens und Schreibens einzuführen. Leider erkrankte ich im November desselben Jahres an Scharlach. Die Ärztin erkannte die tückische Krankheit nicht sofort, und als man mich auf der Besserung glaubte, bekam ich einen schlimmen Rückfall und mußte dann ein halbes Jahr lang das Bett hüten. Wochenlang lag ich im Fieber, die Ärzte wußten mir nicht zu helfen, und ich sah täglich die schmerzliche Sorge der Eltern um mein Leben. Sie erzählen noch heute mit Rührung von meinem Bestreben, die Krankheit als gering hinzustellen. Gott schenkte mir schließlich Genesung, und ich konnte Ostern zu meiner größten Freude wieder zur Schule gehen. Da ich ein halbes Jahr versäumt hatte, wollten meine Eltern mich von vorne anfangen lassen; dagegen sträubte ich mich sehr. Selbstverständlich unterstützte Fräulein K. mich und überzeugte meine Eltern, daß ich ohne Mühe das Versäumte nachholen könne. Und sie hatte recht.

Im Herbst 1935 bezogen wir eine Wohnung am Hohenstaufenring, und ich mußte wohl oder übel nun doch Fräulein K. verlassen. Diesmal hatte ich Pech, meine Lehrerin wurde Fräulein L. zu der ich in den 2 ½ Jahren, die ich bei ihr in der Klasse war, kein Vertrauensverhältnis gewann. Im Gegenteil, es bedeutete mir eine Erlösung, als ich 1938 in die Kaiserin Augusta Schule aufgenommen wurde.

Mein liebstes Spielzeug in jenen Kinderjahren waren die Puppen. Als ich etwas größer war, beschäftigte ich mich noch lieber mit den Kleinkindern der Nachbarschaft. Es war mir ein Bedürfnis sie zu betreuen und zu bemuttern.

1939 brach der Krieg aus. Das Wort schreckte mich nicht so sehr. Ich hatte keine Ahnung, welches Meer von Blut und Tränen er über uns bringen würde. Im Frühjahr 1940 wurde auch mein Vater trotz seines Alters zu den Waffen gerufen und nach wenigen Tagen auf dem westlichen Kriegsschauplatz eingesetzt. Für mich war die Trennung und das quälende Warten auf Nachricht schmerzlich. Und ich mußte mich mit meiner Mutter daran gewöhnen, des Vaters Rat und Tat in den schweren Jahren zu entbehren. Wir mußten Leid und Sorge allein tragen. Das weckte in mir ein starkes Gefühl der Verantwortung: wir mußten alles tun, um Leib und Leben für den Vater zu erhalten. - Nie werde ich das unheimliche Dröhnen der Motore, den Gluthauch der Bombennächte vergessen, das schaurig-schöne Bild der lodernden Brände, das unsagbare Elend der Ausgebom[b]ten.

1942 folgten Mutter und ich einer Einladung in die Tschecho-Slowakei, wo mein Vater eingesetzt war. Wir wollten nur die Ferien dort verbringen, da aber gerade in jenen Tagen furchtbare Terro[r]angriffe auf Köln gemeldet wurden, beschlossen wir in dieser ruhigen Gegend am Fuße des Erzgebirges zu bleiben. Wir richteten uns dort häuslich ein und holten unsere Kleider mit dem nötigen Hausrat herüber. Ich besuchte die Oberschule in Brüx, fand meine beste Freundin dort und verlebte ruhige und schöne Jahre. Eine Zeitlang wohnte mein Vater mit uns zusammen, aber die Unruhe des Soldatenlebens rief ihn bald ab, und wir blieben wieder allein. Inzwischen hatten wir einen Teil unserer Möbel aus Köln nach Westfalen bringen lassen, den größten Teil mußten wir dem Schicksal überlassen. In den Ferien besuchten wir den Vater, der in Großstädten bald hier, bald da ein Kommando zu führen hatte. So lernte ich eine Reihe deutscher Städte wie Hamburg, Berlin, Dresden, Karlsbad, Eger, Nürnberg, Stuttgart, München und Innsbruck und ihre Sehenswürdigkeiten kennen. Besonders hat mich die Hauptstadt der Tschecho-Slowakei Prag beeindruckt, in der ich acht Tage zubrachte. Dadurch weitete ich meinen Blick und bereicherte meine Kenntnisse.

Ende 1943 faßte der Würgegriff des Krieges auch nach dem Sudetenland. Die Bombenangriffe wurden häufiger und schrecklicher. Die Bevölkerung wurde in verstärktem Maße zum Kriegsdienst herangezogen. So wurden wir Schülerinnen unter anderem auch zum Hopfenernte-Einsatz verpflichtet. Ich lernte die Entbehrungen und Härte des Lagerlebens und ungewohnte, schwere Arbeit kennen.

Die Lage auf den Kriegsschauplätzen wurde immer bedrohlicher. Am 8. Mai 1945 gellte der Schreckensruf durch den Ort: „Die Russen sind da!" Es ist unmöglich, all die Stunden des Zitterns und Zagens, der Unmenschlichkeit und des Leids, der Not und Gefahren, die wir überstanden, zu beschreiben. Als Reichsdeutsche wurden wir nach wenigen Tagen ausgewiesen und mußten unter allerlei Schikanen fluchtartig den Ort verlassen. Alle unsere wertvollen Sachen, auch Kleider und Schuhe konnten wir nicht mitnehmen. Was galten uns jetzt noch die Kostbarkeiten, da wir gelernt hatten, das Leben, das so oft in Gefahr gewesen, und das auch jetzt ihr noch nicht ganz entronnen war, höher einzuschätzen. Nach einer Reise von drei Wochen mit unsäglichen Mühen und Strapazen, tausend Hindernissen und Schwierigkeiten, zu Fuß und auf Wagen aller Art kamen wir im Juni ausgeplündert, todmüde und zerschunden in Altena bei unsern Verwandten an. Wir hatten angenommen, daß mein Vater auch dorthin zurückgekehrt sei. Als wir hörten, daß er noch nicht da und keinerlei Nachricht von ihm angekommen war, brach meine Mutter zusammen. Noch einen Monat schwebten wir in qualvoller Ungewißheit, dann kehrte auch er heim und wir waren glücklich nach allen Kriegswirren wieder vereint. Da unsere Wohnung in Köln ganz zerstört war, blieben wir vorläufig in Altena. Am 1. Dez. trat mein Vater seinen Diensts in Köln wieder an. Er fand bald eine Behelfswohnung, und wir konnten am 1. März 1946 wieder in Riehl ein neues Heim beziehen.

Ich meldete mich bei meiner alten Kaiserin Augusta Schule wieder an. Da ich im Sudetengau kein Latein und kein Französisch gehabt hatte, mußte ich in die Obersekunda eintreten. Nach der langen Unterbrechung freute ich mich endlich wieder durch geregelten Schulbesuch meinem Studium den gewünschten Abschluß geben zu können. Die Verhältnisse waren zwar nach dem furchtbaren Zusammenbruch denkbar schwierig.

Jetzt bin ich Schülerin der Klasse OIa und hoffe, Ostern die Abschlußprüfung zu bestehen, um mich dann auf den Lehrerinnenberuf vorzubereiten.

Zu meinen Lieblingsfächern gehört Englisch; darum bitte ich in diesem Fach eine schriftliche Prüfungsarbeit machen zu dürfen.