KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung des Sonderlehrgangs

Gesamtgutachten des Sonderlehrgangs 1948

Die Beurteilung des diesjährigen Sonderlehrgangs der Kaiserin-Augusta-Schule erfolgt von einer ungewöhnlich schmalen Grundlage aus.

Einmal umfasste dieser einzige weibliche Sonderlehrgang Kölns Bildungsgänge, sodass den Mädchen nur eine Zeit von wenigen Monaten zum Hineinwachsen in die Klassen- und Schulgemeinschaft sowie zur Erreichung ihres gemeinsamen Zieles zur Verfügung stand. Hinzu kommt, dass sich der Unterricht auf wenige wissenschaftliche Fächer beschränken musste, dass also das ganze Gebiet künstlerisch-technischer und turnerisch-sportlicher Betätigung für die Beurteilung wegfiel. Auch die Möglichkeiten zu menschlicher Fühlungsnahme ausserhalb der Schule waren naturgemäss auf ein Mindestmass beschränkt. Infolgedessen trat das Bild mancher Schülerin nicht so allseitig klar hervor, wie es für eine gerechte Würdigung ihrer charakterlichen, geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu wünschen wäre.

Umso bemerkenswerter ist es, dass die Klasse als Ganzes ein Bild ausgeprägter Eigenart bot, dass sich jedem Lehrer in gleicher Weise aufdrängte. Zwei Züge bestimmen im Wesentlichen dieses Bild:

1.) Charakterliche Reife und ernstes Streben, in energischer Konzentration auf das erstrebte Ziel und in vertrauensvoller Aufgeschlossenheit gegenüber allen Lehrern.

2.) Ein starker Wille zur Gemeinschaft, der sich vom ersten Tage ab geltend machte und die Klasse schnell zu einer schönen und festen Kameradschaft zusammenwachsen liess.

Mit grosser Energie suchten alle Schülerinnen der vielfältigen Schwierigkeiten Herr zu werden. die sich in ihrem Bildungswillen entgegenstellten:

Überaus verschiedene Vorbildung, mangelhafte Ernährung, schlechte Verkehrsverhältnisse, häusliche Inanspruchnahme und Verantwortung neben der Schule. Über den Rahmen des Unterrichts hinaus zeigten sie starkes Interesse für menschliche und philosophische Probleme. Eine Einzelgruppe suchte den Wegfall der künstlerischen Fächer durch private Beteiligung an einer musikalischen Arbeitsgemeinschaft auszugleichen. Bei den wenigen Schulveranstaltungen ausserhalb des Unterrichts, einer Dampferfahrt und einer Weihnachtsfeier mit dem Klassenkollegium zeigten sie feinen, menschlichen Takt, guten Geschmack und Gestaltungsfähigkeit.

So erzielte die Klasse bei guter Durchschnittsbegabung ein besseres Resultat, als es nach den ungünstigen Voraussetzungen erwartet werden konnte.

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs

1.) Was können Armut und Reichtum dem einzelnen bedeuten?

2.) Von Landschaften und Menschen, die ich auf meinen Wanderungen kennenlernte.

3.) „Du sehnst dich, weit hinaus zu wandern, Bereitest dich zu raschem Flug; Dir selbst sei treu und treu den andern, Dann ist die Enge weit genug.“ (Goethe, Zahme Xenien IV. Teil)

 

Kommentar des Deutschlehrers:

Die deutschen Prüfungsarbeiten 1948.

Der Ausfall der diesjährigen deutschen Prüfungsarbeiten brachte Überraschungen. Von den 4 zur Wahl gestellten Themen wurde das gestrichen, das den Schülerinnen den Stoff zur Verfügung gestellt hätte. So verblieben 3 Themen, für die die Schülerinnen den Stoff erst erarbeiten mußten. Die langsam arbeitenden Mädchen (P. u. T.) kamen daher mit der Zeit nicht aus und gaben unfertige Arbeiten ab.

Eine große Überraschung bot Charlotte H. mit einer sehr schwachen Leistung. Ihre Jahresleistungen sind durchaus gut, da sie in ihren schriftlichen und mündlichen Leistungen stets zu den besten Schülerinnen der Klasse gezählt werden konnte. Nach eigener Aussage war die Schülerin bei der Vorstellung, daß ihre Prüfungsarbeit außer der Fachlehrerin auch noch anderen Personen zur Durchsicht vorgelegt werden mußte, derart gehemmt, daß sie ihre Gedanken nicht wie gewohnt entfalten konnte.

Bei Margot S., einer meist guten Schülerin, hat man den Eindruck, daß sie oberflächlich ans Werk gegangen ist, trotzdem ihr reichlich Zeit zur Verfügung stand.

Einige Überraschung brachten auch die Aufsätze von L. T. und H. S.. Die Arbeit der ersteren wäre an sich eine gelungene Leistung geworden, wenn die Schülerin ihre Ausführungen auf das gestellte Thema bezogen hätte. Dagegen hat H. S. das Thema wohl erfaßt, aber unklar und unbeholfen dargestellt.

Die übrigen Leistungen entsprechen mit geringen Abweichungen dem Klassenbild.


Beurteilung

Die Schülerin Elisabeth K. fällt auf durch ihren grossen, fast unjugendlichen Ernst und charakterliche Reife. Aus religiöser Verwurzelung stellt sie hohe Anforderungen an sich selbst. Bei guter Verstandesbegabung zeigt sie eine kritische, zuweilen problematische Geisteshaltung, besitzt aber auch sportliche Fähigkeiten und musikalische Interessen. In der Klassengemeinschaft setzte sie sich verantwortungsbewusst und führend ein.

Lebenslauf

Am 22.XII.1927 wurde ich als erste Tochter des Schreiners Johann K. und seiner Gattin Margarete geb. S. in Gleuel geboren. Hier kam ich mit 6 Jahren Ostern 1934 in die katholische Volksschule. 1937 ging ich mit zur heiligen Kommunion. Nach 5-jähriger Volksschulbildung wurde ich Ostern 1939 in die Höhere Mädchenschule in Köln-Lindenthal, Weyertal, aufgenommen.

In der neuen Umgebung lebte ich mich nur langsam ein, doch war ich mit Leib und Seele beim Unterricht. Die liebsten Stunden waren mir immer Mathematik- und Turnstunden. Sie bildeten den rechten Ausgleich. Im ersten Falle mußte ich geistig arbeiten, während ich beim Turnen nach Herzenslust meine körperlichen Befähigungen zeigen durfte.

Die ersten Schuljahre hindurch fühlte ich mich immer irgendwie allein, trotzdem eine gute Klassengemeinschaft herrschte, bis ich in der vierten Klasse eine wahre Freundin fand. Da wir beide sehr sportbegeistert waren, traten wir der Kölner Turnerschaft bei, wo wir viele schöne Stunden verlebten. Bis vor zwei Jahren sind wir noch zusammen geblieben, dann trennten uns leider äußere Umstände.

Etwa seit dem 16. Lebensjahre flaute die Sportbegeisterung allmählich ab. Obwohl ich immer noch gerne turnte, füllte ich meine Freizeit jetzt lieber mit Handarbeiten oder Lesen aus. Es gab für mich später kaum etwas Schöneres, als abends allein im halbdunkeln Zimmer sitzend, Gedichte zu rezitieren, bestimmte Auftritte aus Schauspielen vorzutragen oder auch Novellen und Romane zu lesen. Manchmal durfte ich sogar ins Theater gehen. Dies ist für mich stets die Entspannung von täglichen Arbeiten geblieben. Da ich seit dem 11. Lebensjahre Geige spiele, freue ich mich besonders auf jene Sonntagnachmittage, an denen ich mit einer Bekannten, die Klavier spielt, musizieren kann. Ich liebe Musik, denn sie birgt für mich große Werte, über die ich zwar nicht reden kann, die ich aber empfinden darf. Ein wahrhaft großes Erlebnis war für mich die 7. Sinfonie von Anton Bruckner, die Unvollendete von Franz Schubert und die 5. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Auch die Pathétique Sonate von Ludwig van Beethoven mit ihrem wunderbar erlösenden Adagio wird mir unvergeßlich bleiben.

Als gegen Ende des Krieges die Schulen ungefähr zwei Jahre geschlossen waren, führte ich zu Hause den Haushalt, da meine Mutter den ganzen Tag im Geschäft tätig war und wir kein Dienstmädchen mehr halten durften. Hausarbeiten waren jetzt meine tägliche Beschäftigung. Für geistige Dinge war kaum mehr Gelegenheit. Als endlich die Schulen wieder geöffnet wurden, war ich herzlich froh. Ich meldete mich sogleich an der Hildegardis-Schule in Köln-Sülz an, wechselte aber kurze Zeit danach auf Anraten meiner Freundin zur Kaiserin Augusta-Schule nach Köln-Ehrenfeld über, wo ich in die 6. Klasse aufgenommen wurde. Sehr schnell lebte ich mich hier ein und bald schien es mir, als sei ich immer in dieser Schule gewesen. Eifrig arbeitete ich jetzt, um möglichst schnell zum Abschluß zu gelangen. Ostern 1947 wurde ich zum Sonderlehrgang zugelassen und beabsichtige, Ostern 1948 mein Abitur abzuschließen, um mich auf den Beruf einer Gewerbelehrerin vorzubereiten.

Abituraufsatz

„Du sehnst dich, weit hinaus zu wandern, Bereitest dich zu raschem Flug, Dir selbst sei treu und treu den andern, Dann ist die Enge weit genug."

Goethe, Zahme Xenien IV.

Gliederung.

A. Einleitung:

Der Mensch gibt sich gerne der Sehnsucht hin, die ihn oft über die Wirklichkeit hinausführt.

B. Hauptteil: I. Seine Wünsche führen ihn:

1. in die Fremde,

2. in die Einsamkeit,

3. in die Zukunft.

II. Dabei darf er nicht vergessen:

1. die Heimat,

2. seine Pflichten in der Welt,

3. die Gegenwart.

C. SchlußgedankeSchluß .

A. Fast jeder Mensch ist von einem inneren Drange in die Ferne_ erfüllt. Er möchte das ihm Fremde sehen und kennenlernen, irgendwelche Ziele leicht und schnell erreichen. Oft ergeht es mir so. Die Sehnsucht hat manchmal solche Macht, daß ich die Wirklichkeit vergesse und vor mich hinträume über das, was ich wünsche.

B. I. 1 Wenn an freundlichen Sommertagen die Sonne vom blauen Himmel scheint, die Natur grünt und blüht, das Singen und Jubilieren der Vögel die Luft erfüllt, dann hält mich nichts mehr in der Enge des Hauses. Es drängt mich, hinaus in den Garten zu eilen, in die Natur. Hier kann ich frei und tief die würzige Luft einatmen. Leicht und beschwingt, fast übermütig fühle ich mich, werfe mich in das hohe Gras und gebe mich wie schon oft zuvor ganz meiner Phantasie und meinen Träumen hin. Ach, könnte ich jetzt hinauswandern in die Welt, von einem Ort zum andern! Und wie wunderbar leicht das in Gedanken geht! In einem Augenblick bin ich im besser: Süden! Hohe B. u. Gipfeln! Ja, ...sehr hohe Berge mit schneegekrönten Gipfeln, ja, ich vermag sogar, mit eigner Hand für uns so seltene Blumen wie Alpenrosen und Edelweiß zu pflücken. Tiefblaue oder grüne Seen, wie es hier keine gibt, betrachte ich. Der innere Drang führt mich selbst über Hindernisse hinweg. Alles scheint unbeschwert und leicht. Große Städte sehe ich, die keine Trümmerfelder sind, mit herrlichen Gebäuden, Kirchen und Domen. Ich lerne Menschen mit anderen Sitten und Charakteren kennen; leichtlebige Italiener und leidenschaftliche Spanier, so ganz verschieden von uns. Alles ist etwas Fremdes, Eigenartiges, umwoben von Geheimnisvollem. Immer kühnere Flüge erlaubt die Sehnsucht nach der Fremde den Gedanken. Schließlich gelange ich sogar ans Meer, das sich weit und unendlich vor meinen Augen dehnt, bis es in der Ferne mit dem Himmel zusammenfließt.

I 2_ Der Anblick stimmt mich ernst und besinnlich, und ich erkenne, daß es noch eine stärkere Sehnsucht gibt als die, die Erde zu durchwandern und kennenzulernen. Es ist die Sehnsucht, über die Erde hinauszuwandern; an deren Ende steht - Gott. Von dieser Sehnsucht erfüllt, denke ich oft anders über die Welt. Ich möchte dann fort aus dem Gewühl der Städte, der Menschen, die so viele Enttäuschungen bringen, bei denen es viel Schlechtes und wenig Gutes gibt. In die Einsamkeit möchte ich_ , wo ich mich an niemand zu stören brauchte und vollkommen frei wäre. Hier gäbe es ?keine Versuchungen und Gefahren, die mich von meinem Ziele abbringen könnten.

I 3_ Nicht selten auch möchte ich der Zeit vorauseilen, hinaus aus der Gegenwart in die Zukunft. Immer wieder sehne ich mich nach etwas, was in der Zukunft liegt. Habe ich dann das Ersehnte erreicht, so gibt es wieder etwas Neues, was ich erreichen möchte. Dabei werde ich der Gegenwart oft so überdrüssig, daß ich mit der Welt und mir selbst hadere und in meinem Unmut über das langsame Vorwärtsschleichen der Zeit manche Pflichten vernachlässige.

B. II. 1 Wenn ich einmal alles genau überlege, muß ich einsehen, wie ungerecht ich doch meiner Heimat, der Welt und der Gegenwart gegenüber bin. Und Goethe hat sehr R. rechtRecht , daß er die Menschen auf das Nächstliegende hinweist.

Ich werde mir ja selbst untreu, wenn ich in die Ferne schweife; denn gehöre ich nicht mit Leib und Seele in die Heimat, in der ich geboren bin, zu den Menschen, die dieselbe Heimat haben wie ich? A. Wir haben z.B.Wir haben die gleichen Sitten und Gebräuche. Traditionen, wie Volksfeste, erfüllen alle mit der gleichen Freude. Sie bedeuten einen Auftrieb in dem so arbeitsreichen und sorgevollen Leben. Man befreit sich dabei von aller Schwere und schöpft neue Lust und Kraft. Wo findet man das in der Fremde? Bedeuteten mir die italienischen Volksfeste das Gleiche? Ich glaube es kaum. Auch die Menschen würden mich in meiner Art und meinen Ansichten kaum verstehen.

Auch die Natur meiner Heimat_ hat ihre Schönheiten. Wenn sie auch nicht groß und wuchtig ist, so hat sie aber unzählige A. schöneniedliche Blumen, und viele Kräuter, die mir zum Teil unbekannt sind, stehen in unseren Wäldern und Forsten. Ja, man muß nur die Augen öffnen und hinschauen, dann erkennt man, wie unsagbar reich auch die kleine Heimat ist.

II 2_ Auch wenn ich zu Gott strebe, brauche ich nicht in die Einsamkeit zu flüchten. Im Getriebe der Welt kann ich viel besser zeigen, ob ich mir selbst und meinem Ziele treu bleiben kann. Hier gibt es Schwierigkeiten zu Z. überwinden, undüberwinden und ich muß um mein Ziel kämpfen. Ich kann mit anderen zusammen für das Gute arbeiten und vermag so viel mehr.

II 3_ Darf ich über die Zukunft die Gegenwart vergessen? Ich darf niemals unmutig der Zeit vorauseilen wollen, denn alles wächst und reift nur langsam. Nur wenn ich der Gegenwart gerecht werde, werde ich meine Ziele in der Zukunft erreichen. Geduldig muß ich also in der Gegenwart bleiben und mir langsam die Zukunft erarbeiten.

C. Goethe weist den Menschen in diesem Spruch den rechten Weg. Jeder Mensch soll zuerst das Nächstliegende zu erkennen A. suchenversuchen , dann sieht er, wie unendlich viel es da gibt, was ihn befriedigen und ausfüllen kann.

Die Verfasserin faßt das Thema ganz eigenartig persönlich auf und gibt dadurch der Darstellung etwas rührend Packendes. Die Arbeit, die keine schweren Fehler aufweist, ist stilistisch befriedigend.

Befriedigend.

Jahresleistg.: Gut.

Re. Wellmann.

20.2.48