KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1932

1.) Weshalb kann ich trotz Ung[.?.] der Verhältnisse aufrechten Hauptes der Zukunft entgegenschreiten?

2.) Die Blinden von Kagoll (Robert Neumann). Die Novelle ist zu lesen und zu besprechen. (Reclam 7013)

3.) Folgende Gedichte sollen auf ihren Gehalt und ihre Art geprüft werden:
An den Mond (Goethe), Sehnsucht (Eichendorff), Der Pavillon (Rilke), Im Frühjahr (Th. Däubler).

4.) Aus meinen Reisen (Wanderungen): Eine Landschaft oder eine Stadt mit Bauten, Plätzen u. vergl.


Beurteilung

F., Anneliese

Anneliese F. ist von einfachem, ruhigem Wesen, mehr auf das Wirkliche als auf das Problematische gerichtet. Sie hat wohl die Fähigkeit zu ruhigem Denken, wird aber in ihren Äußerungen nicht immer klar, woran auch ein ihr immer noch anhaftender Grad von Schwerfälligkeit im Wort Schuld ist.

Sie hat ein gutes Herz und tritt gern für andere ein. Pflichttreu und gewissenhaft erledigte sie immer ihre Arbeiten als Schülerin, so wie sie ihr aufgetragen wurde, und arbeitete auch im Unterricht eifrig mit.

Ihr besonderes Interesse gilt den Naturwissenschaften und der Musik. Auch in Bezug auf diese Begabung hat sie, wie sie immer ehrlich gegen sich und offen ist, klare Einsicht in ihre Fähigkeiten.

Lebenslauf

Am 24. Juni 1912 wurde ich in Köln-Lindenthal als Tochter des Taubstummenoberlehrers Dr. Wilhelm F. geboren. Mit Beginn meiner Schulpflicht nahm mich meine Mutter, eine ehemalige Mittelschullehrerin, in ihren Unterricht. Diesen setzte mein Vater nach seiner Rückkehr aus dem Weltkriege fort, so dass ich Ostern 1921 in die siebte Klasse des Ursulinen-Lyzeums in Brühl aufgenommen werden konnte. Dort blieb ich fünf Jahre bis zur II. Klasse.

Um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die eine Lateinprüfung im Verlauf der Universitäts-Studienzeit mit sich bringt, besuchte ich ab Ostern 1926 die Kaiserin-Augusta-Schule (Realgymnasium) in Köln. Weil ich auf dem Lyzeum keinen Lateinunterricht erhalten hatte, meldete mich mein Vater für die Untertertia an.

Bei meinem Einzug in die Untertertia hatte ich den Eindruck eines gewaltigen, fast unübersehbaren Schulsystems. Besonders sagte mir zu, dass den Schülerinnen viel mehr Freiheit und mehr Gelegenheit zu eigenem Schaffen gegeben wurde, als wir im Lyzeum hatten. Besonders begrüsste ich es, dass wir Freikarten zu Konzerten bekamen und dass uns durch Preisermässigung der Besuch des Theaters auch in dieser Notzeit ermöglicht wurde. Von besonderem Wert war mir die geistige Führung, die mir durch die Auswahl der Veranstaltungen zuteil wurde. Die Auswertung der Theaterbesuche, die Berücksichtigung der modernen Literatur in den oberen Klassen und der Besuch der Museen erweiterten planmässig mein Blickfeld. Mein besonderes Interesse fanden die Besichtigungen karitativer Einrichtungen, wie Obdachlosenasyl und Krankenanstalten, die im Anschluss an den Religionsunterricht erfolgten. Diese lebenswahre Ausgestaltung des Unterrichtes dürfte von besonderem Werte für unser ganzes späteres Leben sein.

Meine Lieblingsfächer waren zunächst die neuen Sprachen und Musik; später kam noch Biologie hinzu. Während der Obersecunda und Unterprima nahm ich an einer Arbeitsgemeinschaft in Musik teil. Meine Freude an der Naturbetrachtung, aus der auch mein Wunsch entspringt, Medizin zu studieren, bewog mich zur Teilnahme an der biologischen Arbeitsgemeinschaft. Für meine Ausbildung in der Musik hatten die Eltern schon in meiner frühesten Jugend Sorge getragen. In häuslichem Kreise wurde gemeinsam viel musiziert. So war es mir eine Freude, im Rahmen des Schulunterrichtes mich nicht nur in der ausübenden Musik zu vervollkommnen, sondern auch einen Einblick in ihre Theorie zu erhalten.

Daher möchte ich als Prüfungsfach Musik wählen. Mit Rücksicht auf meine Vorliebe für die neuen Sprachen bitte ich, ausser den pflichtmässigen Arbeiten eine schriftliche Arbeit in Englisch machen zu dürfen. Ferner bitte ich mein Religionsbekenntnis auf dem Zeugnis zu vermerken.