KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs A

1.) Erinnerung an ...

2.) Wie verwirklicht Michael in Wiecherts „Hirtennovelle“ das Wort Carossas „Im engsten Kreise wag’s, dich reich zu leben“?

3.) Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dem Vater und Mutter gestorben,
sondern wer für Herz und Geist
keine Lieb’ und kein Wissen erworben.
(Rückert)


Lebenslauf

Am 26.7.1927 wurde ich, Hilde N., als Tochter des Ingenieurs Ernst N. und seiner Ehefrau Martha N., geb. K. in Köln-Lindenthal geboren.

Aus meiner frühesten Kindheit sind mir nur wenig Dinge in Erinnerung. Ich hatte viel Freude an Tieren und Blumen. - Meine Mutter war meine beste Freundin, und sie ist es bis heute geblieben. Aber trotzdem konnte ich mich auch mit mir alleine beschäftigen, ohne mich zu langweilen. Mit gleichaltrigen Spielgefährten mochte ich nicht viel verkehren, denn ich war sehr eigen und fürchtete für meine Spielsachen.

Ostern 1934 trat ich in die Volksschule ein. Durch meinen weiten, schwierigen Schulweg wurde ich schon früh zu einer gewissen Selbstständigkeit erzogen. Das Lernen bereitete mir keine Schwierigkeit, sondern machte mir Freude. Besonders gern schrieb ich Aufsätze. Die grösste Freude bereitete mir der Turnunterricht, ich wünschte damals, später Turnlehrerin zu werden. - Im Verkehr mit den Schulkameradinnen hatte ich manche Schwierigkeit zu überwinden. Ich war wohl etwas ernster als andere Kinder und schloss mich schwer anderen Menschen an.

Während dieser Jahre lebte ich wohlbehütet im Elternhause. Mein grösster Stolz war ein eigenes Zimmer, das ich nach meinem Geschmack ausschmücken durfte. Das Zimmer in Ordnung zu halten fiel mir nicht schwer, da mir nichts unangenehmer ist als Unordnung. Ich wurde früh dazu angehalten, meiner Mutter im Haushalt zu helfen, was ich allerdings mit wenig Begeisterung tat. Sobald ich lesen konnte, wurde Lesen meine liebste Beschäftigung, und Bücher sind meine besten Freunde geblieben.

Meine Erziehung lag hauptsächlich in der Hand meiner Mutter. Mein Vater war sehr von seinem Beruf in Anspruch genommen und hatte auch nicht die Gabe mit Kindern umzugehen. Meine Mutter erzog mich früh zur Selbstständigkeit des Handelns, aber trotzdem blieb ich innerlich lange Kind.

Ostern 1938 wurde ich in die Kaiserin Augusta-Schule aufgenommen. Ich lernte leicht und gerne und brachte meist gute Zeugnisse mit nach Hause. Meine Schulzeit verlief ohne besondere Ereignisse, bis im Herbst 1939 der Krieg ausbrach. Die volle Bedeutung dieses Ereignisses konnte ich damals noch nicht erfassen, zumal in meinem persönlichen Leben keine bedeutende Änderung eintrat. Ich verfolgte gespannt den Verlauf des Kriegsgeschehens und war begeistert von den Taten unserer Soldaten. Ich war stolz, ein deutsches Mädel zu sein, und es war mir selbstverständlich, dass ich meine Pflicht zu Hause, in der Schule und im Kriegseinsatz aufs peinlichste erfüllte.

1941 reiste ich nach München. Ich lernte zum ersten Male bewusst die Baudenkmäler und Kunstschätze der Stadt betrachten. Ich hatte noch nicht viel Verständnis für bildende Kunst, doch ich fühlte das Klare, Saubere des Werkes und beurteilte es danach. Der Besuch Münchens wurde mir zu einem Erlebnis, das mein Interesse für bildende Kunst stark geweckt hat.

Als ich von dieser Reise zurückgekehrt war, zeigte der Krieg sein schreckliches Gesicht. Neben der Schularbeit stand jetzt täglich der Kriegseinsatz. Ich hatte in zwei Bezirken die Verantwortung für den J.M.-Einsatz. Nach jedem Angriff musste ich auf meinem Platz sein. Ich habe gelöscht, Besitz geborgen, geholfen, wo es nötig war, Tage und Nächte ohne Schlaf hintereinander gearbeitet. In dieser Zeit habe ich mehr gelernt, als ich im normalen Leben in Jahren gelernt hätte. Ich lernte die Not anderer vor die eigene Sache stellen und das fordernde „Ich" in den Hintergrund drängen. Ich bin froh, durch diese harte Schule gegangen zu sein, denn dadurch wurde ich befähigt, mir zu helfen, als ich später selbst in Not war.

Trotz dieses drängenden Beschehens waren meine Interessen auch auf andere Dinge gelenkt. Ich betätigte mich gerne sportlich. - Mit 14 Jahren durfte ich zum ersten Male die Oper besuchen, und seitdem beschäftigte ich mich viel mit Musik. Die Wahl meiner Lektüre wurde durch dieses Interesse stark beeinflusst. Ich beschäftigte mich mit Künstlerbiographien, Musikgeschichte und Künstlerromanen.

Als im Sommer 1944 die Schulen geschlossen wurden, arbeitete ich im Strassenbahneinsatz bis zum November 1944. Kurze Zeit darauf musste ich mit meiner Mutter aus Köln fliehen, und es begann eine schwere Zeit für mich. Mein Vater war aus beruflichen Gründen nicht mehr in Köln, und die Hauptlast der Sorge und Arbeit lag auf mir. Ich wurde ausserdem noch zur Organisation Todt dienstverpflichtet und blieb bis zum Einmarsch der Amerikaner im Einsatz. Durch diesen Einsatz lernte ich die Freuden und Leiden des Berufslebens kennen.

Der schwerste Augenblick in meinem bisherigen Leben war der Tag des Waffenstillstandes. Für mich brach eine Welt zusammen, die bisher meinem Leben Inhalt gegeben hatte. Mein Deutschtum steht mir über allem, und nun schien das Vaterland dem Untergang geweiht zu sein. Überdies musste ich erkennen, wie wenig manche Menschen dem Idealbild glichen, das ich mir von ihnen gemacht hatte. Ich erlebte eine Enttäuschung nach der anderen und versuchte dennoch, aus den Trümmern meiner zerschlagenen Ideale zu retten, was möglich war, um nicht zu verzweifeln. - Ich begann den Wiederaufbau unseres Heimes und konnte bald meine Mutter nach Köln zurückholen. Als kurze Zeit darauf mein Vater zurückkehrte, nahm das Leben wieder seinen gewohnten Verlauf.

Im Herbst 1945 entschloss ich mich, wieder die Schule zu besuchen. Ich erkannte, dass heute nur der Mensch sich im Leben behaupten kann, der etwas leistet, und deshalb wollte ich tüchtig lernen. Ich habe mich redlich bemüht, den Anforderungen des Sonderkursus gerecht zu werden trotz aller Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden waren, wovon vielleicht der Büchermangel und der weite Schulweg die härtesten waren. Die Schule hat mir viel an Wissen vermittelt, aber noch mehr an inneren Werten gegeben. Mein Hauptinteresse galt dem Deutsch- und Geschichtsunterricht.

Jetzt vor der Abschlussprüfung mache ich mir viel Gedanken über die weitere Gestaltung meines Lebens. Mein Wunsch ist, eine Stellung am Rundfunk ausfüllen zu dürfen. Ich möchte bei der Planung und Gestaltung von Sendungen mitwirken und auch als Sprecherin tätig sein. Um diese Pläne verwirklichen zu können, hoffe ich meine Abschlussprüfung mit Erfolg zu bestehen.

Abituraufsatz

Erinnerung an die Schwalm.

Oft, wenn ich eine tiefe Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Schönheit in mir verspüre, taucht in meiner Seele die Erinnerung an ein kleines Ländchen auf, das mir zum Inbegriff dieser Dinge wurde.

Ich wandere in Gedanken an einem leuchtenden Sommertag zum ersten Male den Weg, der mich zu einem kleinen Dörfchen in der Schwalm führen soll.

Vom Bahnhof aus zieht sich die Strasse durch reifende Kornfelder zum nahen Waldrande hin und läuft in sanften Windungen längs des Waldes einen Hügel hinan. Plötzlich unmöglich; die Strasse zieht sich am Waldrande hin!öffnet sich der Wald wie ein Tor vor mir, und trete ichich trete in einen grünen, lichten Dom. Vereinzelte Sonnenstrahlen A. brechen durchdurchbrechen das dichte Laub der Bäume und malen seltsame Arabesken auf das weiche Moos. Das Summen der sommertrunkenen Käfer und das Singen der Vögel sind die einzigen wahrnehmbaren Geräusche. Ich empfinde diese Ruhe wie ein Geschenk, denn ich komme aus einer Welt voll Unruhe, Krieg, Sorgen und Not.

Nach kurzer Wanderung erreiche ich das Ende des Waldes und vor mir liegt, in warmen Sonnenschein getaucht das weite hügelige Land. Hier und dort schmiegen sich bunte Dörflein zwischen Wiesen und Hügel. Sattgrüne Flächen, goldgelbe reifende Kornfelder werden von einzelnen Waldflecken unterbrochen, und alles fügt sich zu einem unbeschreiblich schönen Bilde.

In blauer Ferne schliesst sich der Ring zwischen Himmel und Erde. Ruhe und Frieden beherrschen die Welt und teilen sich mir mit. Mein Herz ist übervoll der Freude über die Herrlichkeit der Natur, dass ich mit Eichendorff ausrufen möchte: „O Täler weil, o Höhen, o schöner grüner Wald!" Ich muss mich mit Gewalt von dem wundervollen Anblick losreissen um meinen Weg fortzusetzen.

Je tiefer ich in das Land eindringe, desto mehr fühle ich, dass der Wald, den ich durchwanderte, gleichsam eine Scheide ist zwischen zwei Welten, zwischen einer lauten Welt und einer stillen Märchenwelt.

Ich nähere mich einem Dörflein. Am Dorfeingang schnattert mir ein Chor schneeweisser Gänse entgegen. Auf der Dorfstrasse zwischen den malerischen, sauberen Fachwerkhäusern herrscht ein reges, buntes Leben. Ja, bunt ist alles hier, vor allem die altüberlieferte Tracht der Bauern. Wie Märchenfiguren muten sie mich an. Die Frauen tragen mehrere kurze Röcke übereinander, die sich wie eine Glocke bauschen. Ein buntes, reichgesticktes Mieder umschliesst eine weisse Leinenbluse. Die Haare sind zu einem seltsamen Kopfputz verflochten, der von einem kleinen Häubchen gehalten wird. Die Männer tragen mit Stickerei verzierte Leinenkittel. Je nach Alter und Stand sind die Farben der Kleidung verschieden, und so bildet die Kleidung der Bauern ein farbenprächtiges Bild.

Hier im Dorfe erlebe ich, wie in der Natur, Ruhe und Zufriedenheit. Weit entfernt vom Krieg und seinen Nöten nimmt das Leben seinen geregelten Verlauf. Jeder geht ruhig und ungehindert seiner Arbeit nach.

Ich verweile in diesem kleinen Orte und lerne sein Leben und seine Menschen kennen. Es ist ein besonderer Menschenschlag, der hier lebt, im Wesen ganz seiner Umgebung entsprechend. Auf den ersten Blick scheinen die Menschen verschlossen, wie auch ihr Ländchen vor der Welt verschlossen liegt, aber bald erkenne ich ein heiteres und freundliches Wesen und ein Herz voller Güte und Menschenliebe. Sie nehmen mich, die Fremde, liebevoll auf und helfen mir, die traurige Welt, aus der ich gekommen bin_ , zu vergessen. Sie machen nicht viele Worte, aber ich spüre deutlich ihre Liebe und Sorgfalt. Diese Menschen kann man nicht durch einen kurzen Besuch kennenlernen, man muss sie erleben inmitten ihres Wirkungskreises. Pflichterfüllung steht ihnen über allem. Früh bis spät gehen sie ihrer Arbeit nach und schöpfen aus ihr Freude und Zufriedenheit. Nach getaner Arbeit geniessen sie den Feierabend wie ein Geschenk. Sie geben sich wenig den lauten Freuden hin, sondern geniessen die stillen. Ein Spaziergang durch die Felder oder zu ihrem Garten, ein ruhiges Plauderstündchen auf der Bank vor dem Hause, eine besinnliche Lesestunde geben ihnen Kraft und Aufschwung. Ihr Wirkungskreis ist klein, denn es sind meist nur Kleinbauern, aber jeder fühlt sich als Herr und lebt demgemäss.

Das Leben mit diesen Menschen hat mich auf viele Dinge des Lebens aufmerksam gemacht, die ich bisher wenig beachtet hatte, und ich erlebte zum ersten Male Menschen und Natur in engster Verbindung miteinander. Ich war mit einem Herzen voll Not, Unruhe und Verzweiflung aus der Nähe des Krieges geflohen und fand Ruhe, Zufriedenheit und Vertrauen durch das Erlebnis dieser Landschaft und ihrer Menschen.

Eine geschickte und geschlossene Darstellung. - Die Verfasserin verfügt über einen guten Wortschatz und flüssigen Stil, die sie befähigen, die liebevoll beobachteten Einzelzüge in einem anschaulichen Bild des freundlichen Ländchens und seiner Bewohner aus ihrer Erinnerung aufleben zu lassen.

Gut.

19.II.47. Kl.

Jahresleistung: voll befriedigend.