KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1932

1.) Weshalb kann ich trotz Ung[.?.] der Verhältnisse aufrechten Hauptes der Zukunft entgegenschreiten?

2.) Die Blinden von Kagoll (Robert Neumann). Die Novelle ist zu lesen und zu besprechen. (Reclam 7013)

3.) Folgende Gedichte sollen auf ihren Gehalt und ihre Art geprüft werden:
An den Mond (Goethe), Sehnsucht (Eichendorff), Der Pavillon (Rilke), Im Frühjahr (Th. Däubler).

4.) Aus meinen Reisen (Wanderungen): Eine Landschaft oder eine Stadt mit Bauten, Plätzen u. vergl.


Beurteilung

R., Marie-Lise

Marie-Lise R. ist, wie sie in ihrem Äußeren eine feine, zarte Linie zeigt, ein feiner Mensch mit gutem Einfühlungsvermögen. Ihr liegen infolge dessen die Fächer mehr, in denen sie sich Formgefühl auswerten kann.

Im Nachempfinden und Auswerken der Dichtung leistet sie sehr Schönes, dann lebt sie sich mit ihrem lyrischen, sonnigen Innern ganz in die Dichtung ein und bringt, da sie auch im Ausdruck gewandt ist und gut denken kann, manchmal überraschend schöne Leistungen hervor.

Sie gehört zu den Schülerinnen, die immer in Bereitschaft sind, immer etwas zu geben oder zu fragen haben, um so den Unterricht und sich zu fördern. Gerade wenn es nicht auf Erlerntes, sondern auf selbst Geschautes oder eigene Beurteilung hinausläuft, tritt sie in wohlgesetzten Worten hervor. Besonders bei Leseproben und ähnlichen Anlässen hat sie sich durch gewandte Redeführung und gut gestellten Fragen hervorgetan und damit Geistesgegenwart bewiesen. Sie fühlt sich, wohl aus ihrer besonderen Art heraus, nicht zum Studium berufen, sondern will sich dem Hauswesen widmen.

Lebenslauf

Am 18. Oktober 1912 wurde ich in Koblenz geboren. In Boppard am Rhein verlebte ich meine ersten Kinderjahre und sollte dort Ostern 1918 in die Schule kommen. Auf besonderen Wunsch meiner Eltern und zu meiner grenzlosen Enttäuschung wurde ich ein Jahr zurückgestellt und kam ein Jahr später in Rheydt, wohin wir inzwischen verzogen waren, auf die Volksschule. Damals waren vier Volksschuljahre erforderlich, um auf die 7. Klasse des Lyzeums zu kommen. Die Lyzeumsvorklassen waren aufgehoben. Weil ich schon ein halbes Jahr zu spät auf die Schule gekommen war, und hauptsächlich, weil mir Schule und Lyzeum große Freude machten, übersprang ich die 4. Volksschulklasse und wurde nach besonderer Prüfung in die 7. Klasse des Rheydter Lyzeums aufgenommen.

1924 wurde mein Vater von der Besatzung aus dem Rheinland ausgewiesen, und wir mußten Rheydt Hals über Kopf verlassen. Ich war damals in der 5. Klasse. Hier tat mir der Abschied vom Altgewohnten eigentlich kaum[.:]. Nach Kinderart sah ich nur das Neue und Schöne, was kommen sollte und würde und vergaß darüber den Abschiedsschmerz.

In Kassel, meiner neuen Heimat, lebte ich mich schnell ein. Ich besuchte dort zuerst ein kath. Privatlyzeum. Am meisten gefiel mir an der neuen Stadt, daß ich in der Schule verhältnismäßig weit vor war. 1 ½ Jahre blieb ich in dieser Schule, dann kam ich Ostern 1926 auf mein eigenes Drängen hin auf die Untertertia der Kasseler Studienanstalt. Ich wollte das Abitur machen und Latein lernen, nicht etwa aus Lerneifer und Zielstreben, sondern eigentlich aus kindlichem Ehrgeiz. Aus Ehrgeiz lernte ich auch, und ich lernte nicht ungern, wenn ich auch viel lieber spielte. Deutsch war in all meinen Schuljahren mein liebstes Fach. Ich las gerne und schrieb gerne Aufsätze, besonders Aufsätze allgemeinen Inhalts und Naturaufsätze. In dieser Zeit erwachte ich mir eine große Liebe zur Natur. Ich las Eichendorff, Löns, war viel draußen und beobachtete Vögel, Tiere und Natur zu allen Jahreszeiten.

Da wurde mein Vater von Kassel nach Köln versetzt. Ich kam im Sommer 1929 auf die Obersekunda der Kaiserin-Augusta Schule zu Köln. Das Einleben fiel mir diesmal ungeheuer schwer. Ich konnte mich lange nicht mit dem nun einmal Unabänderlichen abfinden. Besonders die Natur fehlte mir, ich glaubte die Großstadt nicht ertragen zu können. Dazu kam, was für mich sehr niederdrückend war, daß ich in der Schule in Mathematik und in den neuen Sprachen viel nachzuholen hatte.

Erst in den oberen Klassen begann ich mich für manche Gebiete besonders zu interessieren. So nahm ich an der Arbeitsgemeinschaft für Kunstbetrachtung teil, die mir viel Anregung gab. - Obgleich ich früher nur für eine kurze Zeit Klavierstunde hatte, spiele ich sehr gerne und habe manche schöne Erholungsstunde am Klavier verbracht. Sehr viel Freude habe ich auch an sportlicher Betätigung.

Es ist noch nicht bestimmt, welchen Beruf ich ergreifen werde. Lange Zeit wünschte ich mir einen sozialen Beruf. Jetzt will ich mich erst einmal ein Jahr der Hauswirtschaft widmen, weil in jedem Beruf derartige praktische Kenntnisse von Wert sind.

Mein Prüfungsfach ist Latein. Außer den pflichtmäßigen Arbeiten wünsche ich eine schriftliche Arbeit in Latein zu machen. Ich bitte, mein Religionsbekenntnis auf dem Zeugnis zu vermerken.