KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs B

1.) Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen)

2.) Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern. (Vorgelegt wird: 1.) Ein sibirisches Märchen: Das Fisch-Mädchen, 2.) ein deutsches Märchen: Die Sterntaler, 3) ein französisches Märchen: Cendrillon.

3.) Vergleich zweier Mutterbildnisse: (Christoph Amberger: Margarete Welser. Hans Thoma: Bildnis der Mutter des Künstlers)


Lebenslauf

Mein Lebenslauf.

Am 29. Oktober 1928 bin ich in Köln geboren. Doch Köln ist nicht die Heimat, mit der ich meine ersten Erinnerungen verbinden kann. In dem hübschen und ruhigen Troisdorf, wo mein Vater Lehrer war, verbrachte ich, wohlbehütet und als einziges Kind, meine erste Kinderzeit. Herrlich war es für mich, in dem nahen Wald und der Heide umherzustreifen. Früh erwachte in mir die Liebe zur Natur. Meine Phantasie wurde auch durch meinen Vater angeregt, der mir sehr anschaulich Märchen und Fabeln erzählen konnte. Als ich sieben Jahre alt war, verzogen wir nach Köln-Nippes. Hier spürte ich erst recht den Wert meiner Heimat fern der Großstadt. Immerfort sehnte ich mich nach Wald und Heide. Damals hatte ich den festen Vorsatz, später einmal aufs Land zu ziehen, um auf immer mit der Natur verbunden zu bleiben. Freude machte mir auch das Zeichnen. Stundenlang konnte ich beobachten und vermochte dann zu malen, was ich geschaut hatte.

Mit zehn Jahren kam ich nach dem Besuch der Volksschule auf die „Oberschule für Mädchen am Georgsplatz" in Köln. Bald danach brach der Krieg aus, dessen Bedeutung ich als Kind noch nicht erfaßte. Lebhaft und voll Eifer nahm ich die Worte meiner Lehrerin in mich auf, die anschaulich und lebendig unterrichtete. Außer dem Zeichnen liebte ich sehr die Deutschstunden; denn ich dachte gern über alle Dinge nach, und es reizte mich, ihnen auf den Grund zu gehen. Wurde der Unterricht lebendig gegeben, so begeisterte ich mich für jedes Fach. Doch trockene Wissensvermittlung konnte mir jede Stunde versauen.

Als ich zwölf Jahre alt war, bekam ich ein Schwesterchen. Es war eigenartig und beseligend für mich, daß ich plötzlich eine lebendige Puppe erhielt, und ich betrachtete das kleine Wesen wie ein großes Wunder.

In der Schule war ich allmählich ehrgeizig geworden. Ich setzte meine ganze Energie daran, den Aufgaben gewachsen zu sein. So war mir die Schule eine Freude, und ich konnte das Ende der Ferien kaum erwarten. Meine Mutter sorgte dafür, daß neben meiner geistigen Bildung auch die praktische nicht vernachlässigt wurde.

Die Zeit ging hin, und allmählich wurden die Bombenangriffe schwerer. Um ihnen auszuweichen, zogen wir nach dem Westerwald zu meiner Großtante. Ich ging nun in Neuwied zur Schule. Durch die dauernden Angriffe waren wir in Köln fast ein Jahr in den Fächern zurückgeblieben, und ich mußte mit viel Fleiß alles nachholen. Englisch beizuarbeiten, fiel mir leicht dank meiner guten Kölner Schule. In Deutsch wurde damals noch nicht viel verlangt.

Mein Vater war mittlerweile mit Kölner Kindern in ein Lager nach Stramberg im Ostsudetenland verschickt worden. Wir folgten ihm dorthin. Die Bevölkerung dieses Städtchens war zu 99 % tschechich[!]. Es mutete mich eigenartig an, als ich nur tschechische Laute um mich herum vernahm: Am Fuße der Beskiden verlebte ich einen herrlichen Sommer. In der Kreisstadt Neutitsehein besuchte ich die Oberschule, aber nur für kurze Zeit. Am 1. Oktober 1944 starb mein liebes dreijähriges Schwesterchen an Diphterie. Durch die vielen neuen Eindrücke und durch die Hast, mit der sich die nun folgenden Erlebnisse überstürzten, habe ich erst viel später den großen Verlust ganz begriffen.

Denn bald zogen wir von Stramberg fort an die Eger, da die Front immer näher rückte. Wir fuhren durch tschechisches Gebiet und übernachteten in Prag. Als wir am nächsten Morgen weiter fuhren, sahen wir den Hradschin, die herrliche Prager Burg, in der Morgensonne glänzen. Noch heute sehe ich das Bild vor mir. Jetzt ließen wir uns an der Eger nieder. Nun fuhr ich nach Eger in die Schule. Oft genug bin ich an dem Hause am Marktplatz vorbeigegangen, wo Wallenstein ermordet wurde. Von der Eger zogen wir ins Erzgebirge nach dem 1000 m hoch gelegenen Bergstadt-Platten. Ich ging nun überhaupt nicht mehr zur Schule wegen des schwierigen Schulweges und wegen der Tiefflieger, die ihren Weg auch hierhin fanden.

Am Tag des Waffenstillstands sind wir mit nur wenig Gepäck zu Fuß losgezogen. Ich bin mit meinen Eltern quer durch Deutschland gewandert und habe viele Menschen und Sitten kennengelernt. Überall, wohin ich auch gekommen bin, war ich überrascht von der Schönheit Deutschlands, ob es nun im Erzgebirge, „an der Saale hellem Strande" oder im Thüringer Wald war. Doch habe ich auf der anderen Seite auch wieder unbeschreibliches Elend gesehen, das die Folgen des verlorenen Krieges ausgelöst haben. Und ich spürte so recht, daß das Leben grausam und rücksichtslos sein kann. Leben fordert Kampf und Selbstüberwindung. Als ich in Weimar vor dem Hause stand, in dem Goethe gewohnt, dachte ich mit Wehmut daran, daß das schöne und einfache Haus einst nicht so verlassen zwischen den zerstörten und beschädigten Häusern gestanden hatte. Dadurch, daß ich so viel gesehen und erlebt habe, ist mein Blick weiter und sind meine Ansichten fester geworden.

Im November 1945 fingen die Schulen in Köln nach langer Zeit wieder an. Meine alte Schule war aufgelöst worden, und so meldete ich mich bei der Kaiserin Augusta-Schule an. Hier kam ich in die Klasse 6 R b. Aber mich quälte der Gedanke, wie lange es noch dauern sollte, bis ich das Abitur erreichte. Darum versuchte ich, in die 7. Klasse zu springen. Im Frühjahr 1946 erhielt ich die Bestätigung von Düsseldorf, daß ich in die 7. Klasse aufgenommen sei, und Ostern kam ich in den Sonderkursus.

Eigentlich hatte ich nie einen bestimmten Beruf vor Augen. Wohl habe ich etwas Begabung zum Zeichnen, doch meine Eltern sagten, ein Beruf, der auf dieser Fähigkeit aufbaue, sei eine brotlose Kunst. So habe ich meinen Beruf sehr spät, erst in letzter Zeit, gewählt. Ich möchte nämlich Volksschullehrerin werden. Denn die Universitäten sind überfüllt, und in der Volksschule kann ich wahrscheinlich mein Zeichentalent verwerten. Und ich hoffe, Geschick zur Pädagogik zu haben; jedenfalls bringe ich Freude an der Kindererziehung mit.

Abituraufsatz

Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen).

Gliederung.

A) Einleitung: Der Mensch wird nur gebildet, wenn er wahrhaft erlebt.

B) Hauptteil: Durch meine Erlebnisse bin ich reicher geworden.

I In Sonne und Geborgenheit konnte sich meine Phantasie entfalten.

II Die dunklen Seiten des Lebens haben mich nachdenklich gemacht.

III Die Schule hat mit zu meinem Glauben an das Gute beigetragen.

C) Schluß: Freude und Leid gehören zur Bildung des Menschen

A Alles, was uns im Leben begegnet, sei es Leid und Enttäuschung oder Freude und Glück, geht nicht spurlos an uns vorüber. Die Erlebnisse prägen sich unmerklich unserem Charakter ein. Sehen wir ein schönes Bild, so müssen wir noch lange nachher darüber nachdenken, was wir gesehen haben. Und das Geschaute vereint sich unwillkürlich mit unserer inneren Schau und bildet uns. Das aber geschieht nur, wenn wir recht erlebt haben. So wird ein Mensch nur durch seine Erlebnisse geformt, wenn er sie völlig in sich aufnimmt. Denn es gibt Menschen, die mit uns durch dieselben A.Verhältnisse hindurchgehen und doch keine wahren A.Erlebnisse mitmachen . So muß unser Erleben in die Tiefe unserer Seele gehen, wenn wir Die Vf. setzt, nicht ganz mit Recht „bereichert" u. „gebildet" gleichbereichert sein wollen.

B I Als ich ein kleines Mädchen war, wuchs ich nicht weit von Wald und Heide auf. Ich konnte in der Natur nach Herzenslust umherstreifen. Meistens begleitete mich mein Vater in den Wald und erzählte mir dabei geheimnisvolle Märchen. Wenn wir uns ganz still verhielten, konnten wir die Tiere des Waldes sehen. Ein Erlebnis ist mir unvergeßlich. Als wir einst aus dem Gesträuch traten, erblickten wir vor uns zwei Rehe, die uns mit scheuen, wilden Waldaugen ansahen. Dieser Anblick erregte meine Phantasie ganz besonders. Schon früh versuchte ich, 1. Bezsie durch Malen oder erdachte Geschichten A.auszudrücken .

So bin ich sorglos und behütet aufgewachsen. Ich litt keine Not, sondern meine Eltern taten ihrem einzigen Kinde alles zu Liebe. WSo wußte ich auch nichts von dem unruhvollen und oft grausamen Leben da draußen in der Welt. Ich glaubte, alle Menschen seien gut und wollten mein Bestes.

II Doch dieser Kinderglaube ist in den letzten Kriegsjahren merklich getrübt worden. Um den Bombenangriffen auszuweichen, sind meine Eltern mit mir ins Ostsudetenland gereist.

Zuerst erlebte ich die Fremde A.als Anreiz . Ich sah täglich Neues. Andere Städte mit anderen Menschen und Sitten nahmen mich gefangen. Und die Welt, die mir bisher fern und unerreichbar erschienen war, wurde mir vertrauter, und meine bisherige Schüchternheit schwand auch allmählich, ich wurde gefestigter.

Doch eines Tages geschah es, daß mein liebes Schwesterchen, ein kleiner Nachkömmling, an Diphterie[!] erkrankte und starb. Zuerst überwältigte mich dieser Schicksalsschlag so, daß ich ihn gar nicht recht begriff. Doch später, als mir in Mußestunden meine vergangenen Erlebnisse vor die Seele traten, da erlebte ich den großen Verlust noch einmal, aber viel stärker und schmerzhafter. Und ganz unmerklich schlich sich bei mir ein A.leises Zweifeln an allem Guten und Schönen in der Welt ein. Ich sah jetzt deutlicher die elende Hilflosigkeit des Menschen. Ich sah mein Schwesterchen als junges, blühendes Menschenkind vor mir. Sie war das Leben selber in seiner schönsten Form. Alte, elende Leute, die den Tod herbeisehnen, müssen leben I._ und mein Schwesterchen mußte sterben. Ich hörte von Otausenden von_ Menschen, die durch Bombenangriffe einen oft qualvollen Tod fanden. Gute, edle Menschen blieben auf dem Schlachtfelde, während gemeine Menschen die Ehrlichkeit der anderen ausnützten und Stellungin der Heimat sich bereicherten. Da dachte ich bei mir, daß das Leben ungerecht ist und das Schicksal grausam und hart waltet. Von Natur aus bin ich etwas nachdenklich veranlagt und beobachte alles um mich her genau. Wie ich älter und A.schauender wurde, sah ich die vielen kleinen Fehler des Menschen im grellsten Licht. Ich wurde mißtrauisch und empfindsam und habe oft bittere Stunden durchgemacht.

III Allmählich aber wurde mein Leben in ruhigere Bahnen geleitet. Ich besuchte nach langer Zeit wieder die Schule. Hier hörte ich von großen und edlen Menschen in den Deutschstunden. Diese Menschen waren mir ein Vorbild, und ich A.schöpfte wieder Glauben an das Gute im Menschen, das mir durch den Egoismus, der durch Not und Krieg entstanden ist, fast A.unglaublich geworden war.

Die Unterrichtsstunden machten einen tiefen Eindruck auf mich, und in stillen W.Stunden ging ich mit mir zu Rate. Auch jetzt, in der Nachkriegszeit, isst die Not und Hilflosigkeit des Menschen groß. Er ist dem Leben ausgeliefert wie lange nicht mehr. Es mangelt uns an Nahrung, Kleidung und Wohngelegenheiten. Der Mensch ist ganz auf sich gestellt, und nur seine Kraft im Ausharren kann ihm helfen. So bin ich allmählich zu der Ansicht gekommen, daß das Leben wohl grausam und ungerecht ist, daß aber ein Mensch mit dem festen Willen, durchzuhalten und seine Pflicht zu tun, das Schicksal besiegen wird, auch, wenn er ihm wehrlos preisgegeben ist.

Vorläufig sehe ich noch viel Schweres vor mir, doch ich habe den festen Glauben an eine bessere Zeit. Denn das Leben besteht ja nicht nur aus Not und Leid, sondern hat auch seine schönen Seiten.

C Durch den Schmerz erst lernen wir die Freude schätzen und kosten sie in ihrer Tiefe. Denn wahre Freude ist nur dem beschert, der auch wahren Schmerz empfunden hat. Flaches Glück macht den Menschen nicht reich, sondern geht an ihm so leicht vorüber I_ wie es auch gekommen ist. Die Erde braucht das Gewitter, auch wenn es zerstört. Denn nur aus Sterben und Geburt besteht das Leben. Es ist eine fortwährende Umwandlung. Der Schluß hat keine Verbindg mit dem Th., obgleich sie nahe lag._

Renate Naaf ist noch sehr jung, und wenn ein großes Kind auf seinen Lebensweg zurückblickt, so kann es nicht viele Spuren finden, die für die Bildung der Persönlichkeit entscheidend waren. Immer in Gedanken an das Thema verfolgt die Verfasserin ihren Weg, holt den Zielgedanken aber oft nicht scharf genug hervor. Auffassung und Ausdruck sind wohltuend jugendlich:

Befriedigend.

Die Jahresleistungen waren Befriedigend und Genügend.

22.II.47 T. Rolff.