KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs A

1.) Erinnerung an ...

2.) Wie verwirklicht Michael in Wiecherts „Hirtennovelle“ das Wort Carossas „Im engsten Kreise wag’s, dich reich zu leben“?

3.) Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dem Vater und Mutter gestorben,
sondern wer für Herz und Geist
keine Lieb’ und kein Wissen erworben.
(Rückert)


Lebenslauf

Am 21. Oktober 1927 wurde ich, Christiane S., in Köln geboren, als Tochter des Kaufmanns Hans-Carl S. und seiner Ehefrau Lotte geb. M.. Ein halbes Jahr später wurde ich in Monschau evangelisch getauft.

Mit meinen Brüdern, die fünf und sieben Jahre älter sind als ich, verbrachte ich eine frohe Kindheit. Der große Altersunterschied zwischen meinen Geschwistern und mir hatte zur Folge, dass ich schon früh von meinen Eltern hierhin und dorthin mitgenommen wurde und manches in mich aufnahm, was ich noch nicht verarbeiten konnte. Wir fuhren oft heraus und lernten die Umgebung unserer Heimat kennen. Besonders gerne blieben wir Kinder in unserem schönen Garten, wo ich immer auf Entdeckungsreisen ausging und für mich ein Stückchen Erde hatte, das ich selbst bebauen durfte. Ich fühlte mich mit der Natur sehr verbunden und war ein Leben im Freien gewöhnt. Das Einleben in die Schule fiel mir daher nicht leicht. Eingesperrt zu sein und stillsitzen zu müssen war mir schrecklich, und ich habe meine ganze Schulzeit hindurch innerlich damit zu kämpfen gehabt. Trotzdem gehörte die Schule bald zu meinen täglichen Freuden. Das Lernen fiel mir nicht sonderlich schwer, und ich war sehr gerne mit vielen Kameradinnen zusammen. Die Sommerferien verbrachten wir Kinder oft am Meer, das einen starken Eindruck auf mich machte in seiner unendlichen Weite. Besonders gerne sah ich abends, wie die Sonne unterging und „ins Wasser fiel". Ganz anders nahm ich die hohen Berge auf. Ich war garnicht neugierig zu wissen, was hinter ihnen war, so sehr bewunderte ich ihre Größe. Am Schönsten fand ich aber die Hin- und Rückreise, wenn ich am Fenster sass, und mir in meiner Phantasie ausmalte, was die Leute in den kleinen Häusern und Dörfern gerade taten, an denen wir vorüberfuhren.

Aufgeregt sah ich dem Übergang von der Grundschule auf die Kaiserin Augusta-Schule entgegen. Ich war stolz, nun mit der Strassenbahn fahren zu dürfen und erwartete viel Neues zu lernen. Als 1939 der Krieg ausbrach, wurden mein Vater und mein älterer Bruder eingezogen. Wir anderen blieben alleine zurück, nun um so fester verbunden durch die Sorge um die beiden im Felde Stehenden. Es wurde mir allmählich klar, dass „Krieg" gleichbedeutend ist mit Leid, Angst und Elend. 1942 traf unsere Familie ein schwerer Schlag. Mein jüngerer Bruder, der inzwischen auch eingezogen war, fiel im Osten.

Damit mein Unterricht nicht gestört werden sollte durch die häufigen Fliegerangriffe, gaben meine Eltern mich in die Obhut einer Heimschule in Bayern. Dort verlebte ich eine glückliche Zeit. Die Schule lag fern ab vom Krieg in herrlicher Landschaft. In dieser Zeit wurde durch schöne Konzerte meine Freude an Musik geweckt. Ich hatte auch Musse zum Lesen und las vor allem Werke von Storm und Stifter. Ich habe auch in dieser Zeit eine Freundin gefunden. All das bereicherte und beglückte mich, und ich nahm ungern Abschied von dem liebgewonnenen Platz.

Enttäuschung brachte mir ein späterer Aufenthalt in Westfalen. Ich konnte mich in die dortige Schule nicht einleben und noch viel weniger mich an die Menschen meiner Umgebung gewöhnen. Sie waren vom Krieg fast unberührt geblieben und brachten wenig Verständnis auf für die Not der Bewohner unserer rheinischen Heimat.

Ich war glücklich, als ich nach Köln zurückkehren konnte und wartete voll Sehnsucht auf den Schulbeginn. Als im November 1945 die Schule wieder anfing und ich all die bekannten Gesichter der Lehrerinnen und Kameradinnen wieder sah, fühlte ich, wie schön es ist, mit bekannten Menschen zusammen zu arbeiten.

Wenn ich auf meine Schulzeit zurückblicke, so kann ich nur sagen, dass es eine wunderschöne Zeit war, denn ich fühlte mich geborgen und hatte ein Ziel, auf das ich hinarbeitete. Unsere Lehrerinnen haben nicht nur versucht, uns geistig zu bilden, sondern waren auch mit liebevollem Verstehen bemüht, unsere Seele aufzuschliessen für alles menschlich Gute, für alles Wissenswerte und Schöne im Leben, und haben dadurch in uns eine feste Grundlage geschaffen, von der aus wir den Sprung ins Leben wagen können.

Nach dem Abitur möchte ich sehr gerne Goldschmiedin werden. An schönem Schmuck hatte ich immer schon besondere Freude. Früher hatte ich vor zu studieren, aber die finanziellen Schwierigkeiten und die Unsicherheit der heutigen Zeit zwingen mich zu einer Betätigung, die mich bald auf eigene Füsse stellt.

Abituraufsatz

Erinnerung an meinen gefallenen Bruder.

Es war so heiter wie ein Frühlingstag nur sein kann, die Sonne erwärmte die Luft und schickte ihre Strahlen auf unruhige Menschen, die kein Auge für die Natur hatten, sondern aufgescheucht und ängstlich hin und her liefen. Sie hatten kein Ziel Geschütze donnertenmehr, überall donnerten Geschütze , Munition wurde gesprengt, Pferde zusammengetrieben (...)und auf einer Weide eingezäunt . Mir war ganz wirr im Kopf, so hatte ich mir den Endkampfdie Auflösung unserer Wehrmacht nicht vorgestellt. Unwillkürlich dachte ich: „War denn alles umsonst?" Tief in mir fühlte ich noch A. eine ... Frage ..., dieetwas anderes brennen, das mich schon lange quälte, ich versuchte mit aller Gewalt siees zurückzudrängen, aber es ging nicht mehr, meine Kraft versagte. Plötzlich schrie es in mir: „Dann bist auch Du umsonst gefallen!"

Ich A. war völlig verwirrtkonnte nicht lange denken und weiß auch (...)gar nicht mehr, was geschah; plötzlich stöhnte neben mirich fand mich plötzlich wieder, neben mir stöhnte ein Soldat und sah mich mit (...)seinen weitaufgerissenen, erschrockenen Kinderaugen hilflos (...)und traurig an. Wie im (...)in einem Traum raffte ich mich zusammenauf und sah um mich herum ein Bild, wie ich (...)es mir (...)immer früher mit dem Wort „Kriegsschauplatz" A. vorgestellterklärt hatte.

Hier konnte ich helfen, durch_ tröstende Worte (...)finden , beruhigen und (...)mit ruhiger Hand Verbände anlegen. Ich fühlte eine A. Tatkraft in mir, die ich mir kaum zugetraut hätte.Kraft in mir, so unbeschreiblich und wunderbar, wie man sie sich sonst nur erträumt und erwünscht .

Ein kalter Schauer rieselte mir über den Rücken, zum ersten Mal in meinem Leben sah ich einen Toten. Mit einem friedlichen Lächeln war er hinübergegangen in ein (...)neues fremdes Reich. Aber ich war sicher, dass er auf Erden weiter lebt, in irgendeiner Menschenseele, die ihn lieb hat und ihn_ nicht vergessen kann. Kann der Tod uns einen geliebten Menschen rauben?

besser: Ich glaube, dieEs ist mir später klar geworden, dass die Kraft, die ich damals in mir fühlte, kam von Dirvon Dir kam , denn Dein Rat hilft mirbegleitet mich noch heute, wenn Schweres von mir verlangt wird oder ich in Not bin.

Mein Liebstes war es immer, ganz still mit Dir im Garten zu sitzen; Du gabst mir dann ein schönes Buch, hattest selbst einen Zeichenblock vor Dir und warst in Deine Arbeit so vertieft, dass ich Dich gut beobachten konnte. Deine große, schlanke Gestalt neigte sich über das Papier, und Deine langen etwas grobknochigen Finger führten den Bleistift mit großer Geschicklichkeit. Ich konnte oft nicht weiter lesen, ich mußte Dich unentwegt ansehen.unentwegt auf Dich sehen . Manchmal begegnete mir Dein Blick, Du lächeltest mir zu, und Deine Augen glänzten. Sie waren wie_ ein Stück des Himmels, blau und klar. Wenn man von den Menschen sagt, ihre Seele spiegele sich in den Augen wieder, so traf es bei Dir zu.

Du konntest Dich so innig und von Herzen freuen. Wenn Du einen Erfolg beim Sport oder in der Schule hattest, strahlten Deine Augen, man hörte Dich dann fröhlich pfeifend nach Hause kommen. DeineIch teilte die Freude (...)gerne mit Dir, denn sie war so groß und reich, dass A. sie auch mich mitrissfür mich immer noch etwas abfiel .

Unsere Sonntagswanderungen sind mir noch gut in Erinnerung. Schon ganz früh morgens zogen wir los, da Du immer gerne den Sonnenaufgang sahst. Wir redeten nicht viel miteinander und doch verstanden wir uns. Deine Augen waren überall, Du übersahst das kleinste Blümchen nicht. Ich ging immer gerne schnell weiter und sah über vieles hinweg, aber Du lehrtest mich, die großen Dinge in den kleinen erkennen und begreifen.

Gerade im Freien, in der Natur, kam mir immer wieder die Frage: „Wer hat das alles gemacht, wer ist so mächtig, dass er große und kleine Dinge schaffen kann, alles mit der gleichen Sorgfalt: die Sonne und das feine Mückchen, den Sternenhimmel und den Bienenschwarm?"

Du musstest meine Gedanken erraten haben, denn mit ruhiger, tiefer (...), wohlklingender Stimme antwortetest Du mir: „Wir sind alle von (...)einem Gott geschaffen, und Du weißt auch, dass er uns gemacht hat, damit wir ihn erfreuen und ihm gehorchen. Die Natur dankt ihrem Gott, indem sie ihm gehorcht, der Mensch aber muß Gott danken, indem er ihn liebt und seine Pflicht erfüllt." Diese einfachen und klaren WorteIch fand diese Worte einfach und klar, sie sind mir bis heute in Erinnerung geblieben.

Als Du auszogst um in Russland zu kämpfen, warst Du noch sehr jung. Es fiel Dir schwer, die Heimat zu verlassen, Du fühltest Dich unglücklich und A. ungewohntneu in der Uniform. Ich las das alles aus Deinen Augen, denn du sprachst es nicht aus. Du A. strichststreicheltest mir nur über den Kopf, umarmtest mich und flüstertest leise: „Sei tapfer." Wie oft hattest Du das wohl schon vorher zu Dir gesagt, und nun, in der Stunde des Abschieds, galt es für uns beide.

Lange sah ich Dir nach; als ich langsam die Türe zumachte, fiel sie mit einem leisen Schlag ins Schloß. Im selben A. AugenblickMoment fühlte ich auch in mir eine Tür zufallen, eine kleine Tür in meinem Herzen, hinter der ich Dich eingefangen hatte und festhielt.

Zwei Monate später erhielten wir die Nachricht von Deinem Tod. Auf der Insel Krim hat man Dich, fern ab von der Heimat, begraben.

„Tue deine Pflicht", sagtest Du zu mir und gabst mir ein Beispiel, indem Du Dein Höchstes, Dein Leben besser: in treuer Pflichterfüllung, mit ernstem aber freudigem Herzen hingegeben hast.

Diese „Erinnerung an den gefallenen Bruder" ist aus warmer, innerer Anteilnahme der Verfasserin geschrieben. Leider sind die Ausführungen nicht fest geformt, die Einleitung ist zu lang im Verhältnis zum Umfang des Hauptteils. Der Ausdruck ist stellenweise recht ungeschickt. - Immerhin lebt das Bild des Gefallenen in der Arbeit, sowie das, was die Verfasserin in Bruderliebe mit ihm verbindet.

Noch befriedigend.

19.II.47. Kl.

Jahresleistung: befriedigend.