KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs B

1.) Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen)

2.) Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern. (Vorgelegt wird: 1.) Ein sibirisches Märchen: Das Fisch-Mädchen, 2.) ein deutsches Märchen: Die Sterntaler, 3) ein französisches Märchen: Cendrillon.

3.) Vergleich zweier Mutterbildnisse: (Christoph Amberger: Margarete Welser. Hans Thoma: Bildnis der Mutter des Künstlers)


Lebenslauf

Am 22. Februar 1928 wurde ich in Duisburg-Hamborn als Tochter von Dr. Heinrich K. und seiner Frau Dorothea, geb. E., geboren. In der Ursulinenschule in Düsseldorf begann meine Schulzeit. Schon bald darauf zogen meine Eltern nach Hamborn zurück, und ich besuchte dort die Volksschule, bis ich 1938 zur Staatlichen Oberschule für Mädchen überging. 1943 vertrieb uns der Krieg aus dem Ruhrgebiet und verschlug uns in ein kleines Dorf zwischen Neuß und Köln. Seitdem bin ich in der Kaiserin-Augusta-Schule in Köln. Die letzten Jahre wurden allerdings durch den nahen Krieg unterbrochen.

Ich bin die Jüngste. Meine beiden Schwestern sind viel älter. So umgab mich von Kind an eine geschlossene Welt, die meine Entwicklung entscheidend beeinflußte.

An meine frühe Kindheit erinnere ich mich nur dunkel. Erst der Tod meiner fröhlichen und wilden Schwester weckte mein Bewußtsein. Auf einmal war ich die einzige, die lärmte, und die geistige Arbeit meiner Eltern forderte Ruhe. Meine große Schwester, neun Jahre älter als ich, suchte mich zu bändigen. Sie erzählte mir Märchen, gab mir Bilderbücher, die ich immer wieder durchsah, und zeichnete mit mir. Wenn ich auch ihr lästig fiel, verkroch ich mich in die dämmrige Ofenecke und spielte mit meiner Puppe oder telephonierte mit meiner Freundin Gisela, die nur in meiner Phantasiewelt lebte.

Als ich älter wurde, weckten die vielen Bilder- und Kinderbücher meine Wißbegier. Ich las und las, daß ich darüber alles andere vergaß. Oft hörte ich den Gesprächen der Großen zu, die mich immer wieder reizten, weiter zu lesen. Und wir durften lesen, was wir wollten. Mein Vater versuchte meinen Lesehunger leise in rechte Bahnen zu lenken, und so erschloß sich mir bald die deutsche Dichtung.

Ich schaute meiner Schwester gerne zu, wenn sie zeichnete und bewunderte die schönen, bunten Bilder in den Märchenbüchern. Das wollte ich auch lernen. Ich begann nachzuzeichnen, am liebsten schnitt ich Figuren aus schwarzem Papier aus. Aber bald genügten mir die Vorlagen nicht mehr. Ich versuchte, selbst zu gestalten.

Meine Mutter liebte das Geigenspiel sehr. Ihr ausdrucksvolles Spiel weckte in mir das Verlangen, auch die Geige spielen zu lernen. Aber bald mußte der Unterricht abgebrochen werden, weil der Krieg die Heimat zu verwüsten begann.

Auch die Schule beeinflußte meine geistige Entwicklung entscheidend. Weil ich so viel allein war, war ich unter den vielen, lebhaften Kindern scheu und ängstlich. Aber ich ging gerne zur Schule, denn die lebhafte Umgebung regte mich an. Ehe ich mich eingelebt hatte, warf mich der Schulwechsel wieder in eine fremde Welt. Mir war es gleich. Nur ängstete mich die große Klasse und machte mich so scheu, daß ich gar nichts mehr zu sagen wagte. Zu Hause und in unserem schönen Garten spielte ich um so wilder. Erst im dritten Schuljahr, als ich auf den Wunsch meines Vaters in eine kleinere Klassengemeinschaft übertrat, überwand ich meine Eigenheit. Ich erkannte plötzlich, daß ich lernen müsse. Schnell überwand ich die Lücken, die durch den häufigen Wechsel entstanden waren. Mit meinen Mitschülerinnen verkehrte ich außerhalb der Schule wenig, weil meine Mutter es nicht liebte, daß ich in die dunklen Häuser der Kolonie ging, zu Menschen, die sie nicht kannte. Aber oft lief ich hinüber zu der etwas älteren Tochter des Schul-Hausmeisters. Mit ihr jagte ich durch die langen Gänge der Schule, wir schlüpften in die Turnhalle, kletterten auf den Leitern herum und schaukelten in den Ringen.

Weil ich so gerne lernte und so wißbegierig war, war ich überglücklich, zur höheren Schule gehen zu dürfen. Alle Fächer hatte ich gleich gern. Erst allmählich bildeten sich besondere Interessen heraus. Ich zeichnete gern, strickte und stickte so viel, daß Vater mir manchmal die Nadeln wegnahm. Freudig lernte ich Englisch. Aber am liebsten hatte ich Deutsch.

Als der Krieg mich aufs Land verschlug, war ich eigentlich froh, einmal etwas Neues zu erleben. Und ich staunte über das Leben auf dem Lande, über die neue Welt, die mir in Köln entgegentrat. Manchmal regte sich doch das Heimweh nach Hamborn, nach der alten Schule. Denn der Unterschied war groß. In Köln war alles viel freier, nicht so starr und streng wie in der Hamborner Schule. Auch im Lernen mußte ich mich umstellen. Als ich schließlich die Schwierigkeiten überwunden hatte, wurden die Schulen geschlossen. So blieb ich zu Hause, half im Haushalt, versorgte den Geflügelhof und lernte graben und säen. Die körperliche Arbeit gefiel mir. Aber manchmal sehnte ich mich doch nach der Schule. Alles Lesen nährte das Verlangen noch mehr, denn ich wollte doch weiterlernen.

Endlich durfte ich wieder nach Köln fahren. Nur langsam gewöhnte ich mich wieder an das regelmäßige Lernen, fand ich mich in die veränderte Klassengemeinschaft. Ich stand der Schule jetzt anders gegenüber. Früher lernte ich, weil es mir Freude machte. Aber in der langen Wartezeit erkannte ich die Bedeutung der Schule. Williger nahm ich jede Anregung in mich auf. Ich war dankbarer für die Erschließung der Welt des Geistes.

Die Umgebung, in der ich aufwuchs, weckte und nährte in mir die Vorliebe für deutsche Dichtung. Und nach der Schule möchte ich auf der Universität Germanistik studieren.

Abituraufsatz

Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern. (vorgelegt wird: Ein sibirisches Märchen - „das Fisch-Mädchen", ein deutsches Märchen - „Die Sterntaler" und ein französisches Märchen - „Cendrillon".)

Gliederung:

A Einleitung: Ursprung und Entstehung des Märchens.

B Hauptteil: Volksmärchen können zu einer Brücke zwischen den Völkern werden:

I. durch gemeinsame Züge, die jedem das Verständnis ermöglichen:

a) arme, einfältige, gute Menschen stehen in schroffem Gegensatz zu den bösen.

b) die Natur ist belebt und greift in das Leben des Menschen ein.

c) alle enthalten O. (verschrieben)unbeabsichtig Lebensweisheit.

d) alles geschieht in einem begrenzten Erlebniskreis.

II. Form! s. I.weil ihre Betrachtung uns das Wesen des Volkes erschließt und so ein Verständnis ermöglicht:

a) A. die Eigenart.das Eigenartige des sibirischen Volkes

b) das Eigenartige des deutschen Volkes

c) das Eigenartige des französischen Volkes

C Schluß: Inhaltsangabe fehlt._

A Wie jede Dichtung aus dem Innern, aus der Seele des Menschen entspringt, so gründet das Volksmärchen im Herzen eines Volkes, im Innern vieler Menschen, die es gemeinsam gestalteten. Es entstand in frühen Zeiten, da das Volk selbst noch unentwickelt, noch jung, gesund und unverbildet war, als alle seine natürlichen Anlagen sich ungehemmt entfalten konnten. So spiegeln die Märchen das Wesen des Volkes unmittelbar wieder. Die Völker der Welt entwickelten sich zwar getrennt, jedes für sich eine natürliche Einheit, und jedes Volk hat seine Märchen, so wie es seine eigene Sprache hat. Gerade die Sprache betont am deutlichsten den Unterschied der Völker, sie erschwert den Verkehr der Völker untereinander und scheint sie zu trennen. Doch auch sie hat gemeinsame Urworte, die wir bei vielen!allen Völkern finden. Wenn wir nun die Märchen vergleichen, finden wir noch mehr Gemeinsames.

B I. Wir betrachten drei Märchen, deren Schöpfer ein Volk des Ostens, eines der Mitte und eins des Westens sind. Geographisch liegen sie weit auseinander, in ihrer völkischen Zusammensetzung unterscheiden sie sich, ihre Sprache ist vollends ganz verschieden. Dennoch erkennen wir in allen gemeinsame Züge.

Wir erleben arme, einfältige Menschen, wie den einsamen Fischer, das verlassene, herzensgute Kind, ein verachtetes Mägdlein. Hilflos stehen sie in der Welt, kennen weder Trug noch Falsch. Schroff stehen ihnen böse, berechnende Menschen gegenüber, fast A.gleichzeitig mit dem Gegensatz schön und häßlich. Die gewandteren, eigensüchtigen Menschen gewinnen manchmal die Überhand und triumphieren über die arme Einfalt. Aber sie siegen nie. Ihre eigene Bosheit schadet ihnen, ungewollt helfen sie, wo sie hindern wollen (z. B. beim verspotteten Cendrillon). Das Gute siegt immer. Frevel wird bestraft: (Sibirisches Märchen)_

Wunderbare Dinge geschehen. Die Natur belebt sich mit Nixen und Feen, die in das Leben des Bedrängten eingreifen und es schützen. Das Böse stürzen und verderben sie, dem Guten verhelfen sie zum Sieg. Die Natur öffnet ihre Schätze dem armen Kind, das alles anderen dahingab, und macht es reich auf immer. Sie gibt sich sogar in die Gewalt des Menschen, der sie nicht gesucht hat und wirkt für ihn.

Ungewollt und natürlich bergen die Märchen Lebensweisheit in sich. Dem Menschen kommt oft eine unbekannte Macht zur Hilfe, die er nicht begreift, deren Wirken er nicht sieht, sondern nur an sich erfährt. Will erEr will die Ursache erkennen, und so zerstörtzerstört so selbst sein Glück. Er wird zurückgestoßen in sein früheres Elend, wie es der Fischer erleben mußte. Im Sternenmärchen wird die Selbstlosigkeit und Aufopferung belohnt. Das Kind war arm, gab sein Letztes noch ärmeren Menschen. Als er gar nichts Irdisches mehr Tbesaß , wird es von übernatürlichen Mächten beglückt. Und Cendrillon, das allen Spott, alle Qual demütig ertrug, das Gebot der Fee beobachtete und Gehalt geschmälertsich nicht durch die Freude des Festes verführen ließ, wird -so eine Königstochter.

Alle diese Erlebnisse geschehen in einem begrenzten Kreis, der sich nicht über Kinder, einfältige Menschen, böse Schwestern, Könige und Prinzen hinaus ausdehnt, weil der Erlebniskreis junger Völker noch begrenzt ist. Sie leben in ihrer Familie, ein König ist ihr Oglänzenster Vorbild. Sie erleben die Macht der Schönheit in dieser engen Welt noch tiefer und identifizieren sie unbewußt mit dem Guten. Und gewaltige Dinge der Natur, die sie nicht erklären können, denken sie sich als geheimnisvolle Wesen.

Da die Märchen so viele gemeinsame Züge enthalten, erschließen sie sich jedem, der sich hineindenkt, denn nichts Fremdes stößt ihn ab oder verwehrt ihm den Zugang.

II. Doch trotz der gemeinsamen Motive, trägt jedes Volksmärchen seine eigene Prägung, denn da sie aus dem Volk entstanden sind, verkörpern sie seine Eigenarten.

Im sibirischen Märchen begegnet der Mensch der personifizierten Natur unmittelbar, denn dort hatten die Menschen mit den Naturgewalten mehr zu kämpfen, waren ihnen oft hilflos ausgeliefert. Gleichzeitig durchdringt das Märchen eine leise Tragik. Die Natur hilft zwar dem Menschen, aber in dem Augenblick, in dem er sie zu halten, zu beherrschen versucht, stößt sie ihn zurück. So wie sie ungesucht, gleich einem glücklichen Schicksal über ihn kam, verläßt sie ihn (-)als Schicksal . Den gleichen Zug beobachtete ich bei den russischen Volksliedern mit ihren schweren und traurigen, aber wohltönenden Melodien. Auffallend ist auch, daß die Wirkung der Natur sich auf die alltägliche Arbeit erstreckt, aufs Essen und Sorgen, vielleicht, weil Bez.sie mehr kämpfen mußten um ihr Leben. In dem Kampf mit den Elementen erlebten sie ihre Großartigkeit, so wie der Fischer im Augenblick des Verlustes die verborgene Schönheit des Fisch-Mädchens erkennt. Themagedanke müßte abschließend wiederholt werden._

Das deutsche Märchen offenbart ebenso eine deutsche Eigentümlichkeit, alles für andere Menschen hinzugeben, selbst nichts zu halten. Diese Rücksicht wurde dem Deutschen oft zum Verhängnis. Es zeigt den naiven Glauben, das kindliche Vertrauen auf sein Glück, das ihn belohnen soll. Sie sehnten sich unaussprechlich nach der Erfüllung ihres großen Ideals. Das Märchen erfüllt diese Sehnsucht auf die herrlichste Weise und verherrlicht so den Glauben an das Gute. sachlich nicht ganz einwandfrei: derselbe Zug kehrt bei vielen, nicht nur bei den deutschen Märchen wiederDas Märchen spielt sich nur um eine Person ab. Auch dieses mag in der Eigenart des Deutschen begründet sein, der sich gerne abschließt und für sich allein lebt. Wieder fehlt der Themaged._

Dagegen umfaßt das französische Märchen einen bunten Personenkreis, einen Prinzen, eine böse, häßliche Stiefmutter mit ebenso häßlichen Töchtern, ein schönes Mägdlein, eine Fee. Die ganze Lebensfreude des westlichen Volkes kommt darin zum Ausdruck. Die Fee verwandelt Cendrillon in eine schöne Prinzessin mit reichen Kleidern, sie findet ihr Glück auf einem prächtigen Hofball. Frankreich mit seinem natürlichen Reichtum, seiner frühen Kultur spiegelt sich darin. Ihre ganze Phantasie dreht sich um Schönheit und Pracht. Der Charakter des Märchens ist leichter. Die Gegensätze führen zu keinem ernsten Zusammenstoß, werden zum Schluß sogar aufgegeben. Die angeborene Höflichkeit, die geschmeidig alle Gegensätze überbrückt, scheint durch. Die Sprache ist bewegter durch Frage und Antwort, und der Aufbau steigert sich fast dramatisch zu einem Höhepunkt hin, so wie das Wesen des Franzosen lebendiger und feuriger ist.

Die Märchen führen so zu einem Verständnis der Völker, die wir sonst nur zu leicht nach ihren politischen Taten, ihrer Zivilisation beurteilen, sie zu einseitig von uns aus sehen, ihr wahres Wesen oft darüber verkennen. Wenn wir sie zu verstehen suchen aus ihren Märchen, wirken die Gegensätze nicht mehr störend. Man fragt immer noch: Warum nicht?_ Herabsehen und verurteilen kann man dann kein Volk. Jede Besonderheit wird geachtet. Und so A.bilden die Märchen eine vermittelndes Glied zwischen den Völkern.

Aus klarem Plan entwickeln sich die Gedanken zwanglos; im II. Teil wird das Thema allerdings blasser, erscheint dann aber, zusammenfassend, im Schluß. Die Verfasserin hat also ihre Aufgabe gut erkannt und in schlichter, fast zu einfacher Sprache durchgeführt:

Gut.

Die Jahresleistungen waren meist Gut.

22.II.47. T. Rolff.