KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs A

1.) Erinnerung an ...

2.) Wie verwirklicht Michael in Wiecherts „Hirtennovelle“ das Wort Carossas „Im engsten Kreise wag’s, dich reich zu leben“?

3.) Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dem Vater und Mutter gestorben,
sondern wer für Herz und Geist
keine Lieb’ und kein Wissen erworben.
(Rückert)


Lebenslauf

Am 4. August des Jahres 1927 wurde ich als fünftes Kind des Kaufmanns Otto F. und seiner Gattin, Luise, geb. W., in Rodenkirchen geboren. Zusammen mit drei älteren Schwestern und einem um zwei Jahre jüngeren Bruder verbrachte ich die ersten Jahre meiner Kindheit in Junkersdorf. Während dieser Zeit war ich, von der Mutter getrennt, oft den grösseren Schwestern anvertraut, weil unsere Wohnung nicht im gleichen Hause lag, wie das Textilwarengeschäft meiner Mutter, das sie betrieb, um die Lebensmöglichkeit der siebenköpfigen Familie zu verbessern. Als die Anzahl der Kinder noch um zwei gestiegen war, wurde im Jahre 1935 der Bau unseres eigenen Hauses fertiggestellt. Damit begann für uns Kinder ein neues Leben in dem grossen Haus mit dem wundervollen Garten. Wir waren glücklich, nun immer in der Nähe der Mutter zu sein. - 1934 wurde ich Schülerin der Volksschule in Junkersdorf. Nach vier Jahren wurde ich in die erste Klasse der Kaiserin-Augusta-Schule aufgenommen. Ein Jahr lang verlebte ich dort den Verlauf einer regelmässigen Schulzeit, bis 1939 der Krieg ausbrach, und dadurch unser Schulweg und später auch der Aufenthalt in der Schule gefährdet wurden. Bei Luftgefahr wurde der Unterricht nur in Bunkern und Luftschutzräumen erteilt, bis auch diese Räume mit zunehmender Heftigkeit des Krieges nicht mehr genügend Sicherheit boten, sodass der Unterricht ganz ausfallen musste. Wir Schülerinnen wurden zu Kriegseinsätzen herangezogen.

Vielerlei Einsatz musste ich leisten und konnte dabei erfahren, wie viel schwerer mancher Beruf für Frauen ist, als er zu sein scheint. - Als Helferin im Bahnhofsdienst schleppte ich Kinder und Kinderwagen, half kriegsversehrten Soldaten den rechten Bahnsteig finden oder labte die Kinder, die in andere Gebiete verschickt wurden, mit warmer Milch. - Als Briefträgerin fuhr ich mit einer schweren Brieftasche beladen mit vielen „Kolleginnen" in mein „Revier" und musste, meist mit Widerwillen, die Post bis zum fünften Stock der Häuser in engen Gassen befördern. Die Unlust wuchs vor allem aus dem Umgang mit Frauen, die aus einer mir völlig fremden Welt kamen und diese Welt laut und aufdringlich bekundeten. - Dagegen hat mir meine „Schaffnerinnenzeit" Freude gemacht. Die Menschen mit denen ich bei diesem Dienst zusammenarbeiten musste, standen mir in ihrer Lebensform näher als die bei der Post. Sie kamen mir freundlich entgegen, weil sie einsahen, dass bei mir nicht der gute Wille, sondern die Kraft fehlte, das von mir Verlangte so zu verrichten, wie es gut und richtig war. - Als gegen Ende des Jahres 1944 die Front unserer Heimatstadt immer näher rückte, wurde in dem Kloster unseres Dorfes ein Feldlazarett eingerichtet. Es fehlte an Pflegepersonal, sodass selbst wir jungen Mädchen zur Mithilfe herangezogen wurden. Ich erschrak heftig bei dem ersten Anblick so vieler Leidender; bald wurde mir der Sinn und damit auch das Schöne der Aufgabe klar, und ich darf sagen, dass mich noch keine Arbeit bisher so befriedigt hat, wie die im Lazarett, weil ich den Soldaten helfen und dadurch danken konnte für die Opfer, die sie für uns brachten. Ich durfte sie pflegen, Briefe an ihre Eltern schreiben, sogar manchem Toten die Augen zudrücken und ihm zum letztenmal die Hände auf der Brust falten. Ich glaube, dass ich damals viel Gutes getan habe; denn ich habe den Dienst mit ganzem Herzen verrichtet und in jedem Soldaten meinen Bruder gesehen, der zu derselben Zeit schwerverwundet in einem Lazarett im Osten lag. Der früh gehegte Wunsch, Medizin zu studieren, wurde während dieser Zeit zum festen Entschluss. Ich hatte nun erfahren, wie notwendig kranke Menschen Hilfe gebrauchen, und wie schön es ist, ihnen in ihren Leiden Erleichterung zu bringen oder sie zu trösten.

Im November 1945 wurde ich wieder Schülerin der Kaiserin-Augusta-Schule. Mit Freude und Begeisterung nahm ich am Unterricht teil und verfolgte mit besonderem Interesse die englischen Stunden, weil Englisch schon seit der ersten Klasse das Fach ist, das mir besonders liegt, und das ich sehr gerne habe. Nach kurzer Schulzeit musste ich den Unterricht durch einen Unfall einige Wochen versäumen, und ich hatte mich kaum erholt, als eine Herzkrankheit, deren Folgen ich heute noch trage, mich erneut ins Bett bannte. Das Versäumte holte ich, so gut es ging, bald nach und wurde Ostern in den Sonderkursus versetzt. Da ich immer das Ziel, die Reifeprüfung, vor Augen habe, macht mir die Arbeit in dieser Klasse, trotz manchem Misserfolg und Fehlschlag, grosse Freude. Ich hoffe mein Ziel zu erreichen um danach das Medizinstudium aufzunehmen. - Wenn mir auch viele Menschen von dieser Berufswahl abraten, entweder wegen der Aussichtslosigkeit oder wegen meiner vielleicht nicht ausreichenden Gesundheit, so möchte ich dennoch nicht davon ablassen, weil ich glaube, dazu berufen zu sein, besonders jetzt, nachdem ich selbst in einem Krankenhaus Hilfe in Anspruch nahm und in den Tagen meiner Genesung die Hilfsbedürftigkeit und Not der Kranken sah.