KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs B

1.) Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen)

2.) Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern. (Vorgelegt wird: 1.) Ein sibirisches Märchen: Das Fisch-Mädchen, 2.) ein deutsches Märchen: Die Sterntaler, 3) ein französisches Märchen: Cendrillon.

3.) Vergleich zweier Mutterbildnisse: (Christoph Amberger: Margarete Welser. Hans Thoma: Bildnis der Mutter des Künstlers)


Lebenslauf

Mein Vater, der aus einem brandenburgischen Bauerngeschlecht stammt, und meine Mutter, eine lebhafte, fröhliche Rheinländerin, lebten gerade ein Jahr in dem Kölner Vorort Riehl, als ich dort am 27. Februar 1927 geboren wurde. - Unser Haus stand am Anfang einer breiten Allee; am Ende war das Gebäude der evangelischen Volksschule, die ich dann seit meinem sechsten Jahr besuchte. Auf dieser Allee, zwischen Elternhaus und Schule, verbrachte ich den größten Teil meiner Kindheit. Hier spielte ich mit meinem Bruder und den Nachbarskindern fast den ganzen Tag. In der Schule zeigte ich weder besondere Neigung noch Begabung zu irgendeinem Fach. -

Als ich zehn Jahre alt war, schickte mich mein Vater, der als Telegrapheninspektor beschäftigt war, in die Mittelschule. Ich lernte Fremdsprachen, und Mathematik, Physik und Chemie wurden mir nun zu klaren Begriffen, während ich die Bezeichnungen früher nur von meinem Bruder einmal gehört hatte. - In der fünften und sechsten Klasse erwachte in mir ein besonderes Interesse für Deutsch und Geschichte. Sehr gerne las ich zu dieser Zeit die historischen Novellen von C.F. Meyer. - Mit zwölf Jahren erhielt ich Klavier- und Geigenunterricht, und allmählich bedeutete mir die Musik sehr viel. - In meinen Ferien verreiste ich mit meinen Eltern oder auch alleine. Am liebsten fuhr ich zur Nordsee oder in die Heide. Stundenlang konnte ich alleine durch das Heideland streifen oder am Nordseestrand entlang wandern. Die eigenartige und mannigfaltige Schönheit der Natur zog mich immer wieder an, und ich wurde nicht müde, sie zu bewundern.

Mit sechzehn Jahren verließ ich die Mittelschule. Meine Eltern hielten es für das beste, daß ich Volksschullehrerin würde. Bald brachten sie mich auch zu dieser Überzeugung. So kam ich auf die „Lehrerinnenbildungsanstalt" in Honnef am Rhein. Damit begann für mich ein ernsteres Leben als bisher. Zum ersten Mal lernte ich, mich ganz auf ein Ziel zu konzentrieren. Fast der ganze Tag war mit Lernen ausgefüllt. Nach einem halben Jahr befiel mich eine ernste, langwierige Krankheit. Ich verließ die Anstalt und kehrte nach Köln zurück, um mich vollständig zu erholen. - Wenn sich auch mein Wesen gegen die strenge, ja fast männlich-rauhe Zucht gesträubt hatte, so habe ich doch gelernt, mich zu fügen und anzupassen.

Da der Krieg inzwischen immer furchtbarere Ausmaße angenommen hatte, reiste ich im Oktober 1944 nach Bansin auf der Insel Usedom. Hier kam ich in die 7. Klasse der Oberschule Machabäerstr., die von Köln aus nach dort evakuiert worden war. Nach einem halben Jahr zog die ganze Schule wegen der näherrückenden russischen Front nach Lübeck, wo wir bis zum Ende des Krieges blieben. - Diese Zeit des Grauens, der Verwirrung, der Ungewißheit um das Schicksal der nächsten Menschen hat in mir einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen, wie wohl in jedem Menschen. Ich war ernster und nachdenklicher geworden.

Als ich dann endlich nach einem Jahr in die Heimat zurückkehrte, war nur mein Vater zu Hause. So mußte ich ihm den Haushalt führen. Bisher hatte ich mich nie um diese Dinge gekümmert. Allmählich aber ging alles besser, und ich tat die Arbeit auch gerne. - Nebenbei besuchte ich eine Privatschule. Aber schon nach acht Wochen, im November 1945, begannen die Kölner Oberschulen. Seitdem besuche ich die Kaiserin-Augusta-Schule. Meine Lieblingsfächer wurden Deutsch und Religion. - In meiner freien Zeit widme ich mich der Musik und der Literatur. Auf beiden Gebieten ist es die Romantik, die mein Wesen besonders anspricht.

Das Interesse für Literatur hat in mir den Wunsch erweckt, Bibliothekarin zu werden. Hoffentlich wird es mir möglich sein, den Beruf, der meiner Neigung ganz entspricht, später so auszufüllen, daß meine Tätigkeit auch anderen Freude am Buch schenkt oder ihnen bei der Arbeit hilft und mich selbst befriedigt.

Abituraufsatz

„Alles, was uns Obegenet , läßt Spuren in uns zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei." (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen.)

Gedankengang i. E. letzte Seite_

Des Menschen Leben ist Adurchwebt mit Begegnungen. Wir sehen etwas auf uns zukommen, Aes spricht mit uns und reicht uns vielleicht noch die Hand . Manchmal blickt es uns auch nur schweigend an und geht vorüber. Die meisten Menschen nennen diese Begegnung Zufall, manche nennen sie Schicksal. Das Wort „begegnet" wird in dies. Einl. krampfhaft wörtlich ausgelegt.Bei einigen Menschen scheint es, als ob sie nicht sähen, was ihnen entgegenkommt, als ob sie nicht hörten, was ihnen gesagt wird, als ob sie die Hand nicht fühlten, noch den Blick spürten. Doch wer kann sagen, daß er einen anderen Menschen erkannt hat? Vielleicht hat doch die Begegnung in ihrem Innern eine Spur zurückgelassen . Einl. führt nicht zum Thema.Sie erkennen nur noch nicht den Sinn der Begegnung und spüren noch nicht ihre Wirkung .

Schon in der Kindheit wird die Seele des Kindes durch Oirgend ein außergewöhnliches Erlebnis A Ibeeindruckt. Sei es durch den Besuch eines vielgereisten Onkels, der dem wißbegierigen Kinde von fremden Ländern erzählt und ihm bunte, seltsame Dinge zeigt, sei es durch einen Ausflug auf das Land: Der Gesichtskreis des Kindes hat sich erweitert. Dem Kinde völlig unbewußt und unbemerkt vollzieht sich diese Änderung. - Ich selbst habe erfahren, wie tief sich ein seltsames Erlebnis, das ich mit fünf Jahren hatte, in mir eingeprägt hat und auch jetzt noch in mir lebt. Es war die Begegnung mit einem wunderschönen Knaben, der ein Jahr älter sein mochte als ich. Wir trafen uns plötzlich im Wald. Er hatte einen Blumenkranz auf seinem langen blonden Haar. Ich glaubte, er sei ein Märchenprinz und wagte nicht zu sprechen. Er aber nahm mich bei der Hand und drückte mir lächelnd den Kranz auf mein Haar. Plötzlich ließ er mich los und lief weinend davon. Nie sah ich diesen Knaben wieder. Mich befiel damals ein seltsames Gefühl von Trauer und Schmerz, das mir sowohl wie meinen Eltern unerklärlich war. Je älter ich werde, desto öfter muß ich an diese Begegnung denken. Jedesmal glaube ich dann, ihrem Geheimnis näher zu sein.

Das Kind und auch der junge Mensch empfinden die Freude als Gegensatz zum Leid. Das Häßliche und Böse scheint ihnen sinn- und zwecklos. Besonders die jungen Menschen glauben, daß die Sorgen des Alltags ihnen die innere Kraft nähme, durch die sie ihr Ideal zu erreichen trachten. Grausam empfinden sie es, wenn sie plötzlich aus ihren Schwärmereien durch die Berührung mit einer häßlichen Seite des Lebens, wieder in die rauhe Wirklichkeit versetzt werden. Erst viel später erfahren sie, daß diese scheinbar grausame Lehre nur ihnen zum Heil und Nutzen diente. Allmählich lernten sie, sich über die Alltäglichkeit des Lebens zu erheben, ohne dabei den Sinn für die Wirklichkeit zu verlieren.

Durch das Erleben von Freud und Leid reift in dem zum Bewußtsein erwachenden Menschen die Erkenntnis, daß man zwischen Überirdischem und Irdischem, zwischen Gut und Böse, zwischen Freud und Leid keinen Trennungsstrich ziehen kann. Keines kann ohne das andere zur Reife beitragen. Was für die Pflanze Sonne und Regen sind, ist für den Menschen das Erleben von Freud und Leid. - Wäre es dem Menschen möglich, weiter zu sehen, als sein Wissen reicht, und noch ein wenig über die Vorwerke seines Ahnens hinaus, dann würde er gewiß gerade das Leid mit größerem Vertrauen ertragen als die Freude. Begegnet ihm von außen ein tiefer Schmerz, so ist es, als trete etwas Unbekanntes in ihn hinein. In ihm entsteht eine Stille, und das Neue steht mitten darin und schweigt. Wir erfahren nicht, was es war, und doch haben wir uns verwandelt. Noch wissen wir nicht, was in uns umgeformt wurde, wir ahnen es nur.

Auch das Erleben einer tiefen Freude soll nicht wie ein Rausch an uns vorübergehen, sondern uns formen. Es ist ja auch so, daß gerade durch die Freude, die wir beim Anblick des Schönen empfinden, in uns unmerklich eine Sehnsucht nach dem Edlen wach wird. - Ich selbst habe erlebt, wie eng Freud und Leid miteinander verbunden sind.

Ich erhielt eines Tages die Nachricht, daß mein einziger Bruder gefallen sei. Ein stiller tiefer Gram schien alle Gefühle in mir zu verschütten. Lange änderte sich nichts. Aber an einem wunderbaren Frühlingstage wurde mein Herz durch den Anblick der wiedererwachenden Natur überwältigt. Es schien sich etwas in mir zu lösen, und ich glaubte, endlich den Sinn meines Leidens begriffen zu haben. Mit aufgeschlossenen Sinnen genoß ich die Natur und kehrte neu belebt nach Hause zurück... Hier stand ich plötzlich meinem totgeglaubten Bruder gegenüber. Es war mir, als käme etwas Großes, Unbegreifliches auf mich zu, das mich zu erdrücken drohte. - Jetzt ahne ich, daß damals ein Korn göttlicher Offenbarung in meine Seele fiel, das langsam in mir wächst und reift.

Das Wort Goethes zeigt uns deutlich, daß alles, was uns begegnet, kein willkürliches, sinnloses und zufälliges Geschehen ist. Göttliches und Alltägliches, Gutes und Böses, Freud und Leid vereinen sich in einem gemeinsamen Ziel: den Menschen zu einer Persönlichkeit zu formen.

Die Begegnungen sind also kein Zufall, sondern erfüllen ein notwendiges Gesetz. Dieses Gesetz können wir Menschen zwar nicht erkennen, aber wir spüren ganz leise Aden Hauch einer göttlichen Hand, die sich sachte bewegt, um Faden an Faden zusammenzuknüpfen.

In diesem Aufsatz wird Goethes Wort, in zwei Teile zerlegt, nur theoretisch umschrieben: Ganz so unmöglich ist der Gedankengang also nicht, wie ihn die Verfasserin formuliert hat. Zwei Erlebnisse dienen als Erläuterung, bleiben aber entweder in ihrer Wirkung dunkel oder sind gedanklich nicht durchgeformt. Trotz der allgemein gehaltenen Ausführungen ist der Aufsatz frei von Phrasen; denn sein Inhalt überschreitet nicht den Erfahrungskreis junger Menschen, und die Sprache zeigt alle erfreulichen und alle merkwürdigen Eigenheiten der Verfasserin:

Genügend.

Der Aufsatz entspricht den Jahresleistungen.

22.II.47 T. Rolff


Der Gedankengang hat kein Ziel und ist dadurch unsystematisch und unverständlichGedankengang

Einleitung

1.) Der Mensch und die Begegnung.

2.) Das Kind und die Begegnung (mit Erlebnis)

3.) Der junge Mensch

4.) Freud und Leid (mit Erlebnis)

5.) Die Begegnung = notwendig