KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse OI G

Gesamturteil Klasse OI G

Will man die Leistungen der Klasse gerecht beurteilen, so muss man berücksichtigen, dass sie zu den Jahrgängen gehört, die gar keinen oder nur ungeregelten Unterricht in der Mittelstufe hatten. Ein schlechtes Gedächtnis, auf jahrelangem Eiweissmangel beruhend, erschwerte das Erlernen der lateinischen und griechischen Sprache in 5, bezw. 4 Jahren sehr.

Ernsten Fleiss und unermüdliche Gewissenhaftigkeit hat die Klasse genug aufgebracht; fast alle Schülerinnen lernten mit lebhaftem Ehrgeiz, um möglichst bald alles Versäumte nachzuholen. Die Fähigkeit, das erlernte Wissen in eigenen lebendigen Besitz zu verwandeln, hielt mit dem Ehrgeiz nicht immer ganz Schritt. Korrektes Arbeiten, korrektes Verhalten erleichterte zwar die Disciplin, nicht aber den unmittelbaren und lebendigen Austausch. Die Discussion kam meist nur langsam in Fluss, umso mehr als die Klasse mit eigenen Ideen und mit Phantasie nicht reich gesegnet ist. Darum kann sie auch in Aufsätzen und in altsprachlichen Übersetzungen, die mit korrektem Wissen allein nicht gemeistert werden können, enttäuschen.

Dass die humanistische Ausbildung heute so schwer ist, hat die Klasse oft bedrückt, vielleicht auch ihre Schwungkraft gelähmt. Das stille Verhalten im Unterricht lässt wenig erkennen, wie zugewandt sie allein geistigen Dingen ist, wie sie alles Schöne geniesst und geniessen möchte, das diese Erde noch zu bieten hat. Auch schwierige geistige Probleme greift sie mit Eifer und Interesse an.

Ausserhalb der Schule entdeckt man erst ganz, wie sehr diese Mädchen noch auf die Schule eingestellt sind; die jungen Menschen in ihnen sind noch sehr zaghaft und in manchen noch gar nicht wach. Da alle neun Individuen noch stark mit sich selbst beschäftigt sind, ist es begreiflich, dass die Erziehung zum Leben miteinander besonders schwierig war. Sie verstehen sich erst seit dem gemeinsamen Ausflug im Herbst dieses Jahres. Selbst in diesen äusserlich ungetrübten Ferientagen lag über der Gemeinschaft ein eigentümlicher Ernst, der für diese Mädchen so selbstverständlich ist, dass sie sich seiner nicht einmal bewusst sind. Der Krieg und die Schatten eines harten Daseinskampfes spiegeln sich wahrscheinlich in dem Charakter der Klasse wider.


Beurteilung

Sie ist in Wahrheit nicht ganz so ausgeglichen und unbeschwert wie sie selbst meint. Sie ist vielmehr leicht zu erschüttern und wird durch ihre innere Nervosität unsicher. So kommt sie, trotz guter Begabung, in schriftlichen Arbeiten manchmal zu Dummheiten; denn auch ihr Gedächtnis kann sich, beunruhigt, in eine tabula rasa verwandeln. Der Kern ihrer Natur ist aber gesund, sie ist frohsinnig und heiter, hat viel Interesse auch für praktische Tätigkeit: Sie liebt Turnen und Gymnastik und bastelt gern und mit viel Geschmack. In der Kriegszeit war sie öfter in Loheland, und da wurde sie wohl auch zu einem Menschen geformt, der, seiner Eigenart bewusst, dennoch die Gemeinschaft Gleichgesinnter sucht. Ihre Eltern, besonders ihre Mutter, haben die Entfaltung des Kindes mit Güte und Verständnis gefördert, und so erklärt sich auch Renates Wunsch, Ärztin zu werden wie ihre Mutter.

Lebenslauf

Am 28. Oktober 1930

geboren als Tochter des Hans-Jürgen S. und seiner Frau Hanna, geb. S., in Frankfurt am Main.

Dezember 1933

Übersiedlung nach Lemgo in Lippe.

Dezember 1936

Übersiedlung nach Köln.

1. April 1937

Aufnahme in die evangelische Volksschule Lindenthal.

Ostern 1939

Umschulung in die Gemeinschaftsschule Braunsfeld.

seit August 1941

Besuch der Kaiserin-Augusta-Schule Köln.

Juni bis Oktober 1943

Aufenthalt in der Gymnastikschule Loheland.

Oktober 1943 bis September 1944

Besuch der Kaiserin-Augusta-Schule.

September 1944 bis November 1945

kein Unterricht.

20. November 1945

Wiederbeginn des Unterrichts in der Kaiserin-Augusta-Schule.

Am 28. Oktober 1930 wurde ich in Frankfurt am Main als Tochter des damaligen Universitätsassistenten Dr. jur. Hans-Jürgen Schlochauer und seiner Frau Dr. med. Hanna, geb. Schulz, geboren. Meine Mutter war damals Ärztin an den städtischen Kliniken in Frankfurt. Heute ist mein Vater Professor des öffentlichen Rechts an der Universität Köln und Oberregierungsrat im Bundesjustizministerium. Durch die Ereignisse des Jahres 1933 mußten meine Eltern ihren Beruf aufgeben. Im Dezember 1933 verließen wir Frankfurt. Ohne eigene Wohnung haben wir drei Jahre bei Groß- und Urgroßeltern in Lemgo, Koblenz und Glücksburg gelebt.

Im alten „Hexennest" Lemgo wuchs ich in zwangloser Freiheit auf. Hinter dem Haus war ein großer Garten, in dem ich meine ersten Entdeckungsfahrten machte; gerne half ich meiner Großmutter. Im Sommer war ich immer bei den Urgroßeltern in Schleswig-Holstein an der Ostsee. Sie wohnten in Glücksburg in einem kleinen, stillen Haus am Waldrand. Meine Urgroßmutter war gelähmt. Ihr Stuhl am Fenster war so etwas wie ein ruhender Pol. Mein Urgroßvater, der früher ein Gut hatte, arbeitete meistens im Garten. Ich sehe ihn noch immer vor mir, wie er zwischen den hohen Phlosestauden steht, mitten in der Sonne. Das sommerliche Leben an der See hörte auf, als die Urgroßeltern 1937 starben.

Im Dezember 1936 zogen wir nach Köln in eine eigene Wohnung. Ostern kam ich in die düstere evangelische Volksschule nach Lindenthal. 1939 wurden evangelische und katholische Schulen zusammengelegt, und ich kam in die nähere Stadtwaldschule. Wir wohnten in Köln immer in der Nähe des Stadtwaldes. Außerdem boten Gärten und stille Straßen herrliche Plätze zum Spielen. Im August 1941 kam ich in die Kaiserin-Augusta-Schule. Wegen der vielen Angriffe im Sommer 1943 schickten meine Eltern mich in die Gymnastikschule nach Loheland in die Rhön. Die Schule besteht aus vielen, kleinen Häusern, die verstreut im Wald und am Rand der Heide liegen. Ich war vor dem Krieg schon einmal dagewesen und habe seitdem mehrere Ferien dort verlebt. Die schlichte, natürliche Lebensweise, die enge Verbindung mit der Natur und das selbstverständliche Leben in der Gemeinschaft haben mich immer sehr glücklich gemacht. In dieser Gemeinschaft leben völlig verschiedene Menschen mit eigenen Ansichten und Eigenarten. Aber jeder weiß, daß der, der anders ist als er, ebenso wichtig für das Ganze ist. Damals hatte ich auch Schulunterricht. Aber neben den wissenschaftlichen Fächern hatten wir den schönen Ausgleich in der Gymnastik. Es wurde viel musiziert und Theater gespielt. Und dann konnten wir weit hinein wandern in die Rhön. Für mich ist Loheland wie eine Heimat, in die man, wenn auch nur in Gedanken, zu jeder Zeit zurückkehren kann. Ich habe die Gewißheit, daß es noch einen Ort gibt, wo es nicht um Gewinn, um persönlichen Nutzen und Sicherheit geht. Neben der Pflege handwerklicher Arbeit ist das Hauptziel der Loheländer, Menschen zu erziehen und auszubilden. Sie tun dies nicht, indem sie nur den Verstand schulen, sondern indem sie die künstlerischen und seelischen Kräfte im Menschen zu wecken suchen.

Als im September 1944 die Schulen in Köln geschlossen wurden, begann das Abschiednehmen. Es war nicht nur ein vorübergehender Abschied von Freunden. Im Grunde war es der Abschied von der Kindheit. Am 30. Oktober brannte unsere Wohnung ab. Es verschwanden auch die Plätze und Winkel, an denen wir früher gehangen hatten. Wir bleiben aber in Köln. Der Winter 1944/45 war sehr öde und einsam. Die Stadt war wie ausgestorben. Aber unter den Menschen, die geblieben waren, bestand ein besonderes Verhältnis. Man gehörte fester zusammen als sonst. Das Leben war sehr materialistisch geworden. Den Tag über mußte man für Essen, Wärme und Wasser sorgen. Und abends war der Schein der Petroleumlampe und der selbstgegossenen Kerzen meist zu dunkel, sodaß wir nicht lesen konnten. Aber dieser Winter hat mich fester an Köln gebunden, als es eine normale Zeit hätte tun können. Am 5. März marschierten die Amerikaner ein. Das Leben begann allmählich wieder um uns herum. Ich habe wohl nie einen Frühling fröhlicher und bewußter erlebt als in diesem Jahr. Nach Ostern wurde ich als einzige in der Sakristei einer katholischen Kirche konfirmiert.

Bald kamen die Menschen nach Köln zurück. Es gab wieder Konzerte. Im Herbst begannen die Bühnen wieder mit ihrer Arbeit. In dieser Zeit hatten wir zu dritt bei der Schwester meiner Freundin, einer Studentin, Privatunterricht. Wir arbeiteten mit viel Freude und waren beinahe enttäuscht, als im November die richtige Schule wieder begann. Bis Pfingsten 1947 besuchte ich die realgymnasiale Studienanstalt der Kaiserin-Augusta-Schule. Ich wechselte in den gymnasialen Zweig, weil ich gerne Griechisch lernen wollte. Außerdem lockte mich der Unterricht in einer kleinen Klassengemeinschaft. Ich bin sehr froh und dankbar, daß meine Schulzeit mit einer humanistischen Ausbildung abschließt.

Schon früh hatte ich den Wunsch, einmal Ärztin zu sein. Darum möchte ich Medizin studieren.