KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs A

1.) Erinnerung an ...

2.) Wie verwirklicht Michael in Wiecherts „Hirtennovelle“ das Wort Carossas „Im engsten Kreise wag’s, dich reich zu leben“?

3.) Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dem Vater und Mutter gestorben,
sondern wer für Herz und Geist
keine Lieb’ und kein Wissen erworben.
(Rückert)


Lebenslauf

Am 12. Januar 1926 wurde ich in Berlin-Charlottenburg als erstes Kind des Fabrikdirektors Dr. Gustav K. und seiner Ehefrau Lisa, geborene K., geboren. 1929 verlegten meine Eltern ihren Wohnsitz nach Andernach und 3 Jahre später nach Rodenkirchen am Rhein. Unter der liebevollen Obhut meiner Eltern verbrachten meine um 2 Jahre jüngere Schwester und ich eine unbeschwerte und behütete Kindheit.

Seit Ostern 1933 besuchte ich die Montessori-Privatschule. Hier lernte ich mich in eine Gemeinschaft einordnen und fügen, was mir anfangs sehr schwer fiel, weil ich bisher nur mit meiner Schwester zusammen gewesen war. Im Januar 1938 trat ich in die Sexta der Kaiserin Augusta-Schule ein.

Auf Fahrten durch meine rheinische Heimat und auf Reisen lernte ich manche Gegend Deutschlands kennen. Mit großer Liebe und Geduld öffnete mein Vater mir die Augen für die Schönheiten der Natur. Dadurch wurde mein späteres Interesse für Naturwissenschaft geweckt.

Lesen war von jeher meine Leidenschaft. Ich vergaß darüber meine Umwelt und wohl auch meine Schularbeiten. Ich lebte mit den Gestalten in meinen Geschichten und Märchen. Aus dieser ersten Lesefreude ist eine Vorliebe für erzählende Bücher geworden. Besonders gerne lese ich Storm, Stifter und Freytag.

Die Liebe meiner Eltern und die Schönheit meines Zuhauses erfüllte mich vollkommen, und ich mochte garnicht woanders hingehen. In meiner kleinen Welt fühlte ich mich wohl, aber vor andern Menschen empfand ich Furcht. Diese Angst prägte sich noch lange in meinem Benehmen fremden Leuten gegenüber aus. Ich bemühte mich redlich meine Schüchternheit abzulegen. Aber ich mußte manches Unangenehme hinunterschlucken, bis ich endlich sicher auftreten konnte.

Bei Ausbruch des Krieges war ich noch ein Kind und verstand nicht im geringsten die Bedeutung dieses Geschehens. In einer Nacht stürzte die Stätte meiner glücklichen Kindheit zusammen: 1943 brannte unser Haus aus. Schweren Herzens zog ich mit meinen Eltern in ein neues Heim in Bonn. Um der alten Schule treu zu bleiben, fuhr ich anfangs täglich nach Köln; bald machten die Fliegerangriffe die Fahrten unmöglich. Bis zu den großen Ferien 1944 besuchte ich eine Bonner Schule.

Im Arbeitsdienst, zu dem ich im Oktober 1944 einberufen wurde, war ich bei kinderreichen Familien eingesetzt. Diese Beschäftigung bedeutete für mich eine große Umstellung. Ich mußte meine Arbeit nach den Anweisungen der Hausfrauen machen und mich ihnen fügen. Mit den Kindern war ich gern zusammen. Als ich Weihnachten 1944 auf Urlaub nach Hause kam, stand ich wieder vor einem Trümmerhaufen. Ich durchlebte qualvolle Stunden, bis ich meine Mutter und meine Schwester endlich wiederfand. Zusammen mit ihnen fuhr ich dann nach Narsdorf in Sachsen.

Wir wohnten bei einem Bauern in winzigen Kammern über dem Pferdestall. Das Leben auf dem Hofe war für mich Stadtkind neu, und voller Eifer half ich auf dem Felde und im Stall. Hier lernte ich die schwere Arbeit der Bauern verstehen. Diese ganz anders gearteten Menschen lebten nur für ihr Vieh und ihren Boden, und meine Arbeit in der Schule verachteten sie.

In der Fremde ergriff mich eine Starke Sehnsucht nach Köln. Im Dezember 1945 brachte meine Mutter meine Schwester und mich zu der Frau eines Meisters unseres früheren Betriebes in Rodenkirchen, und ich besuchte wieder die Kaiserin Augusta-Schule. Die Frau hatte wenig Verständnis für uns, und wir waren froh, als wir im April in unsere stark zerstörte Wohnung einziehen konnten. Wir waren ganz auf uns gestellt und hatten mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden. Neben der Besorgung des Haushalts mußten wir uns um die Instandsetzung unseres neuen Heimes bemühen. Über diesen täglichen Sorgen durfte ich meine eigentliche Aufgabe, die Schule, nicht vergessen. Im Winter konnten wir es oft vor Kälte in der zerstörten Wohnung nicht aushalten und gingen zu Bekannten, um unsere Schularbeiten zu machen. Bisher hatten meine Eltern mir alles Unbequeme und Harte ferngehalten. Nun mußte ich selbst den Kampf mit dem Leben aufnehmen. Oft war ich nahezu verzweifelt. In diesen Stunden der Ratlosigkeit flüchtete ich zu meinen Büchern und zur Natur, und sie gaben mir Trost und Halt. Seit Januar sind meine Eltern bei uns in Rodenkirchen, und das Leben ist wieder leichter für mich.

Ich habe vor, mich mit Naturwissenschaften zu beschäftigen. Aber genau weiß ich noch nicht, wie meine Ausbildung sich gestalten soll, weil ich noch kein bestimmtes Betätigungsfeld vor Augen habe.

Abituraufsatz

Erinnerung an eine alte Bäuerin.

Wir hatten nach der Flucht aus Bonn in dem Seitengebäude eines sächsischen Bauernhofes eine Wohnung gefunden. Hier lernte ich die alte Bäuerin, die in der Auszugswohnung desselben Hofes lebte, kennen. Sie war anders als die übrigen Menschen, die mir dort begegneten. Vom ersten Augenblick an gefiel mir diese alte Frau. Ich kann nicht sagen, ob es die Ruhe und Sicherheit ihrer Bewegungen Gr. warenwar , die mich zu ihr hinzogen, oder die Güte, die von ihr ausstrahlte.

Das rundliche Gesicht der Bäuerin war von unzähligen Fältchen durchfurcht. In wundervoller Klarheit und Güte blickten die blauen Augen in die Welt. Um den Mund hatte sie einen entschlossenen Zug. Das spärliche Haar trug sie straff zurückgekämmt in einem Nackenknoten. Die Gestalt dieser Sächsin war klein und dick. Dabei war sie in ihren Bewegungen nicht schwerfällig oder Z. unbeholfen, sondernunbeholfen sondern geschickt und behende. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals untätig gesehen zu haben. Unermüdlich und ausdauernd schaffte sie von früh bis spät in gleichbleibender Ruhe. Niemals arbeitete sie hastig oder übereilt. Ihre Kleidung war sehr einfach und gediegen.

Mit ihrem Heimatboden, ihrem Hof und der Natur ist sie aufs engste verbunden. Oft durfte ich sie beim Beeren- und Kräutersuchen begleiten. Auf diesen Gängen zeigte sie mir viel Schönes in der Natur. Sie erklärte mir, wie sich die Menschen die heilenden Kräfte der Pflanzen zunutze machen. Sie sagte alles mit so einfachen Z. Worten undWorten, und doch so anschaulich, daß es sich mir tief einprägte.

Diese Frau hat ein hartes und arbeitsreiches Leben hinter sich. Ihre schwieligen Hände erzählen von mancher Ernte, die sie eingebracht hat. Schon als zwölfjähriges Mädchen mußte sie die Stelle ihrer verstorbenen Mutter vertreten und ihrem Vater und ihren fünf jüngeren Geschwistern den Haushalt führen. Sie erzählte mir, wie schwer es für sie Z. war, nebenwar neben der Sorge für ihre Verwandten, auch noch auf dem Felde und im Stall zu helfen. Als sie älter wurde, stellte sich ihr eine neue Schwierigkeit entgegen; sie mußte um ihr Lebensglück ringen. Ihr Vater verweigerte seine Einwilligung zu der Heirat mit einem armen Bauern. Sie stand zwischen Vater und Geliebten. Schließlich gelang es Z. ihr, denihr den Vater zu überreden, und sie heiratete doch. Mit unermüdlicher Arbeit waren sie und ihr Mann bestrebt, den Hof zu vergrößern, und ihr Fleiß wurde belohnt. Heute ist ihr Gut das reichste und größte im Dorf.

Anfangs des Krieges traf sie ein neuer Schlag: ihr Mann starb ganz unerwartet. Nun mußte die Bäuerin, deren Sohn Soldat Z. war, denwar den Hof allein verwalten. Diese Aufgabe stellte große Anforderungen an sie. Alle jungen Leute waren zum Militär einberufen, und sie hatte Mühe, die nötigsten Arbeitskräfte zu bekommen. Nur mit dem Einsatz aller Kräfte und mit zäher Verbissenheit gelang es ihr, ihren Hof und ihre Felder in Ordnung zu halten.

Ihren Kindern ist sie eine gute Mutter. Für sie opfert sie ihre Freizeit und ihre Bequemlichkeit. Oft ist sie tagelang auf dem Gute ihrer Tochter, um diese zu entlasten.

Jetzt hat ihr Sohn den Hof übernommen, und für sie ist der Lebensabend angebrochen. Aber sie will nichts von Ruhe wissen und hilft weiterhin im Stall und auf dem Felde. Für sie bedeutet dieses Schaffen Segen und Lebenszweck. Ich wunderte mich oft, welche Kraft in der fast Siebzigjährigen steckte.

Bei aller Härte des Lebens hat sie sich ein weiches und warmempfindendes Herz bewahrt. Ihr eigenes schweres Leben hat ihr die Augen für die Not anderer geöffnet. Im Dorfe wird sie nur „Oma" genannt. Und dieser Name ist wie geschaffen für sie. Für die Rat- und Hilflosen ist sie stets zu sprechen. Als die Ströme der Flüchtlinge das kleine Dorf überfluteten, war sie Tag und Nacht auf den Beinen, um zu helfen und zu trösten.

Für eine Bäuerin ist sie sehr taktvoll und feinfühlig. Zu uns Heimatlosen war sie geradezu mütterlich. Oft, wenn ich mich in der Fremde einsam und verlassen fühlte, brachte sie mich auf andere Gedanken. In solchen Stunden erzählte sie mir humorvolle kleine Geschichten mit solcher Lebendigkeit, daß ich mein Leid vergaß. Sie sann stets auf neue Gelegenheiten, um mir eine Freude zu machen. Oft brachte sie mir einen Blumenstrauß oder ein paar Früchte. Und sie verstand Z. es, mires mir diese kleinen Geschenke mit so viel Anmut und Selbstverständlichkeit zu überreichen, daß sie mich erfreuten und beglückten.

An diese alte Bäuerin werde ich noch oft zurückdenken. Für mich war sie damals der ruhige und gütige Pol, um den sich mein Leben drehte.

Die Arbeit zeichnet das Bild einer Frau, die der Verfasserin zur Zeit ihrer Evakuierung mütterlich u. liebevoll begegnet ist und deren Bild sie in dankbarer Erinnerung bewahrt. Die Ausführungen sind gedanklich wohl geordnet, aber die sprachliche Form der Arbeit ist recht ungelenk. Die Verfasserin ist unsicher im Gebrauch der Zeitform.

Vollauf Genügend.

19.II.47. Kl.

Jahresleistung: genügend.