KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs B

1.) Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen)

2.) Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern. (Vorgelegt wird: 1.) Ein sibirisches Märchen: Das Fisch-Mädchen, 2.) ein deutsches Märchen: Die Sterntaler, 3) ein französisches Märchen: Cendrillon.

3.) Vergleich zweier Mutterbildnisse: (Christoph Amberger: Margarete Welser. Hans Thoma: Bildnis der Mutter des Künstlers)


Lebenslauf

Meine Eltern sind Dr. Friedrich B. und seine Frau Edeltrud, geb. L., heute Dr. Edeltrud S.. Geboren wurde ich am 16. Dezember 1928 in Köln.

Meine Kindheit verbrachte ich an meinem Geburtsort Köln. In Thielenbruch kam ich 1935 auf die Volksschule. Ich lernte schnell lesen und las dann bald auch schon „klassische" Kinderbücher wie Robinson, hauptsächlich aber Märchen. Lesen wurde fortan meine Lieblingsbeschäftigung.

Das zweite und dritte Volksschuljahr brachte ich auf der Sülzer Volksschule zu, da wir von Thielenbruch fortgezogen waren. An meine Mitschülerinnen schloss ich mich nie enger an, da ich mit meinen Geschwistern, zwei älteren Brüdern und einer jüngeren Schwester, spielte. Das Lernen fiel mir leicht. Ich war nie besonders fleissig, aber immer eine ganz gute Schülerin. Mein Lieblingsfach war Deutsch, denn ich schrieb die besten Aufsätze und Diktate. In Schönschrift und Rechnen waren meine Leistungen schlecht.

Nach drei Volksschuljahren kam ich auf die Kaiserin-Augusta-Schule. Ich besuchte sie bis zum Mai 1940. Wegen der einsetzenden Fliegerangriffe wurden meine Schwester und ich zum ersten Mal auf längere Zeit von Köln getrennt. Wir kamen in das katholische Franziskanerinneninstitut Dingelstädt im Eichsfeld. Hier lernte ich das erste Latein, und meine besondere Vorliebe für diese Sprache hat sich bis heute erhalten. Da ich für meine Schwester zu sorgen hatte - ich tat es auch gern übrigens - wurde ich mit elf Jahren schon ein verhältnismäßig selbsständiges Persönchen.

Als wir im Winter 1940 wieder in Köln wohnten, kehrte ich auf die Kaiserin-Augusta-Schule zurück, die ich im ganzen neunmal verliess, um ihr dennoch die Treue zu halten. Nach wenigen Monaten musste ich mit meiner Schwester wieder Köln verlassen. Ein Vierteljahr lang fuhr ich nun jeden Tag von Waldeck aus zur Oberschule für Jungen nach Bad Wildungen. Ich lernte wieder Latein und nunmehr auch mein erstes Französisch, die zweite Sprache, der ich besonders zugetan bin. Wir wohnten bei einem alten Lehrer. Er lieh mir Bücher, und nun machte ich meine erste Bekanntschaft mit Schiller. Mit Feuereifer las ich „Die Räuber", „Fiesco", „Maria Stuart" und vergoss viele Tränen. Gegen die Jungen in der Klasse konnte ich mich ganz gut durchsetzen, da ich ja auch zwei Brüder habe. Ausserdem war ich das einzige Mädchen, das Karl May las und Indianer spielen konnte. Ich glaube übrigens, dass durch die Karl-May-Lektüre der Wunsch in mir geweckt wurde, fremde Sprachen zu lernen, um viel reisen zu können; dann wollte ich Missionarin bei den Indianern werden und setzte deshalb schon lange Reden an meine „roten Brüder" auf. In einem kleinen roten Buch notierte ich indianische Redensarten und konnte sie auswendig.

Von Herbst 1941 bis zum Herbst 1942 lebte ich wieder in Köln. Da die Angriffe jedoch zunahmen, fuhr ich mit meiner Schwester ein Jahr in das Landerziehungsheim Marquartstein in Oberbayern. Ich war nicht sehr glücklich dort, denn ich sehnte mich nach Köln. Ausserdem war meine Mutter krank, und mein zweiter Vater war als Kriegsgefangener nach Amerika gekommen.

Schon acht Jahre Schulzeit hatte ich hinter mir, als wir 1943 nach Hause zurückkehrten. Bis zum Herbst 1944 ging ich wieder auf die Kaiserin-Augusta-Schule. Bei den Oktoberangriffen 1944 wurde unser Haus soweit zerstört, dass wir fortziehen mussten. Acht Monate lebten wir in Kausen bei Walscheidt in drückenden Verhältnissen. Mein ältester Bruder wurde eingezogen, der zweitälteste lag lange Zeit mit einem Schädelbruch, meine Mutter war seit dem Oktoberangriff dauernd krank. So musste ich mit meiner vierzehnjährigen Schwester den Haushalt führen, in einer winzigen Wohnung ohne Licht, Wasser und Heizung. Dazu kamen fortwährende Tieffliegerangriffe und die Verständnislosigkeit der Bauern. Diese letzte Zeit des Krieges war sehr hart. Ihr habe ich aber auch ein gewisses Selbstbewußtsein zu verdanken. Ich merkte, dass ich Verantwortung tragen konnte und schon eine kleine Rolle in unserem Familienleben spielte. Ausserdem gewann ich Einblick in fremde Leiden und hatte die Möglichkeit, sie zu lindern.

Im April 1945 besetzten die Amerikaner unser Gebiet, und im Mai war ich wieder in Köln. Vor Glück über unsere Rückkehr nach Hause merkte ich die Mühseligkeiten kaum, die uns erwarteten. Nach einigen Monaten waren sie auch, soweit es ging, überwunden. Die Schule begann wieder. Ich las viel, besuchte oft das Theater, öfter noch Konzerte und Ausstellungen.

Besonders gross ist mein Interesse für deutsche, französische und englische Literatur und für Geschichte.

Nach abgeschlossener Schulzeit möchte ich auf der Grundlage von Latein und Griechisch Romanistik studieren mit dem Endziel der vergleichenden Sprachwissenschaft.

Abituraufsatz

Das Volksmärchen - eine Brücke zwischen den Völkern. (Vorgelegt wird: Ein sibirisches Märchen: „Das Fischermädchen", ein deutsches Märchen: „Die Sterntaler", ein französisches Märchen: „Cendrillon".

Gliederung:

A. Einleitung: Das Märchen wurzelt in der Seele der Völker.

B. Hauptteil: Das Märchen kann ein Weg zur Völkerverständigung sein durch:

[I. bis Schluss =] Der Plan ist nicht durchformuliert; Vf. hat sich das Ziel ihrer Aufgabe nicht klargemacht.I. Inhalt: a) Szenerie

b) Personenkreis

c) Handlungskreis

d) das völkisch Bedingte

II. Form: a) Sprache

b) Aufbau

III läßt sich so nicht teilenIII. Gehalt: a) das Böse

b) die Strafe

c) das Gute

d) Lebensregel

C. Schluss: Das Märchen - eine Brücke zu den Menschenherzen.

A Ein Mensch wird geboren. Vom Kinde wächst er auf zu einer Persönlichkeit. Viel wird er erleben, manches vergessen, doch die Kindheitseindrücke begleiten ihn sein ganzes Leben hindurch. Frohe und traurige Erinnerungen hat er - später strahlen fast alle einen milden Glanz aus. - Logische Verbindung?_ Die Märchen eines Volkes sind sein Schatz. Er wurde in der Zeit des erwachsenden Volksbewusstseins angesammelt. Die Strahlen, die von ihm ausgehen, umweben und durchdringen das Volk. A.So hat es einen gemeinsamen Boden, auf dem es steht , ein Band, das alle umfängt. Denn welcher Mensch ist ohne Märchen aufgewachsen? Es hat an fast jede Seele gerührt. Den AMärchenfaden , den der Erzählende Adurch die Seele des Lauschenden A (Bild verfehlt.)wob, klingt bei einer Berührung an wie eine Harfenseite, die der Wind streichelt , und löst eine wehmütig-freudige Stimmung aus.

Der Inhalt ist verworren u. läßt die Aufg. nur ahnen.B I a Welchem Stand auch immer der Zuhörer angehören mag, das Märchen hinterliess eine Wirkung auf ihn. Der Schauplatz ist die Welt, die Menschheit belebt ihn. Der Schauplatz ist die Welt - die quellende Phantasie hat alle Plätze belebt, die des Menschen doch nur in philos. Sinn.Vorstellungskraft schuf. Feld und Wald, Hütte und Palast, Wasser und Luft sind bevölkert. Pflanzen, Blumen, Blätter, Bäume, Tiere, ja die Gestirne scheinen ein schlagendes Herz zu haben, denn sie greifen in die Handlung ein. Die drei Märchen, deren Betrachtung zugrundeliegt, haben jeder eins Bez. unklardieser Themen berührt, obgleich sie getrennt durch Zeit und Raum entstanden. Dies bleibt nicht länger verwunderlich, wenn man sich daran erinnert, dass alle jungen Völker innig mit der Natur verbunden sind, und nur eine Natur regiert die Welt. Logische Verbindg?_ Vielseitigkeit ist allen Märchen zueigen, sei es in der reichen Mannigfaltigkeit der Schauplätze oder in der bunten Vielgestaltigkeit der handelnden Personen. I b Vertreter der ganzen Menschheit erscheinen in Rollen, in die sie entweder hineingeboren wurden, hineingeraten oder die sie gerne ausfüllen möchten. Das arme Kind, der Fischer, der Königssohn, die verstossene Tochter, die Stiefmutter, Eheleute und Geschwister, aber auch mit dem Verstande nicht erklärbare Personen treten auf, wie Nixen, Feen, Kobolde, Riesen und Zwerge. auch der gegebene Stoff ist nicht verwandt.I c Alle bewegen sich in einem bestimmten Kreis, der ihnen gemäss ist. Manche betteln, manche verrichten alltägliche Arbeiten wie fischen oder putzen und kochen, manche sind reich und feiern. sachlich falsch und Logik!Der Kreis, der um die Personen gezogen ist, bedeutet die Grenze des ihnen Erreichbaren, birgt ?alle Möglichkeiten von Aufstieg und Fall in sich - wir sehen das menschliche Leben. Alle Situationen empfinden wir als möglich, denn sie entstanden aus einer Phantasie, die wahrhaftig das sah und erlebte, wovon wir nun hören.

Der neue Gedanke ist zum Thema nicht in Bez. gesetzt.I d Das, was wir heute als das „Typische" des betreffenden Volkes bezeichnen, tritt uns in den Märchen nicht aufdringlich entgegen. Wir empfinden beim Lesen oder Hören gewissermassen Geinen „Lokalkolorit": das russische Märchen erzählt von der Ausdauer und Genügsamkeit des Fischers; das Sterntalerkind hat unter all dem Leid ein fühlendes Herz bewahrt und den Glauben an den lieben Gott; das französische Märchen klingelt und rauscht geradezu aus Freude am Leben und seinen Vergnügungen. Ungeachtet dieser Färbung wirken die Märchen auf alle Naturen, denn sie sind, wie wir eben schon merkten, lebensnah durch die Wahrhaftigkeit, mit der sie der am Leben entzündeten Phantasie entsprangen.

Der Stoff ist wieder fort, ebenso das ThemaII a Doch nicht alle Schöpfungen, wenn sie auch „wahr das Leben" schildern, berühren uns so wie die Märchen. Deren einfache Sprache übt einen grossen Zauber aus. In kindlicher Weise reihen sich fast ausschliesslich Hauptsätze aneinander, manchmal wird auch eine direkte Frage oder Antwort ausgesprochen. II b Die Handlung rollt klar ab, denn es gibt keinen komplizierten Aufbau nach Kunstregeln. ?Das Leben bestimmt die Handlung der Märchen, seien sie deutsch, französisch oder russisch. So wie die Seele des Volkes es begreift, so wird das Leben mit seinen verwunderlichen Zwischenfällen dargestellt in klarer Einfachheit. Logik?Darum wirkt das Märchen auch so ?lieblich, selbst wenn das Schicksal eingreift in Gestalt von Riesen, oder das Unglück in Koboldsgestalt.

III a Ja, auch das Märchen erfasst das Böse und Gute in der Welt. Glück und Unglück, Vergehen und Strafe sind hier so gut die Ereignisse, die das Menschenleben gestalten I_ wie im wirklichen Leben. Th.III b Das Böse ist etwas Unheimliches, das man meiden soll, denn für schlechte Handlungen, die begangen wurden, gibt es drückende Strafen, selbst wenn das Vergehen (Fischer) nicht sehr schwer war. III c Die Macht des Bösen und des Unglücks ist gross, doch das Gute siegt zuletzt nicht im sibir. Märchen._ (Cendrillon, Sterntaler). In dieser Anschauung erkennen wir den Optimismus, der allen jungen Völkern ohne Rücksicht auf Landesgrenzen eigen ist. III d Sie haben auch gleicherweise die Grund-Lebensregel erkannt, und sie spiegelt sich in ihren Märchen: „Sei ein guter Mensch, dann bist Du gesegnet." Das Wunderbare ist, dass diese Weisung im Märchen begründet liegt, also keine moralisierende Tendenz sich aufdrängt und abstossend wirkt.

C Wir haben nun die Märchen dreier verschiedener Völker betrachtet. Sind sie nicht wie ein heiligendes Feuer, das aus der Tiefe der Volkskraft glüht, reinigt und belebt? Märchen üben eine besänftigende Wirkung aus - Nationalstolz und Völkerhass, nicht aber Nationaleigenschaften - gehen in ihnen unter. Märchen sind wie eine sanfte, aber starke Melodie, die über dem Volk Nschweben und die Menschen ins Leben Nbegleiten . Warum können die Völker nicht ihren Märchen lauschen. Die gleiche Wirkung entstände dann, als wenn Musik die Erde durchklänge. Das Märchen baut eine Brücke von den Herzen der einen zu den Herzen der anderen Völker. Dass sie die Macht, die ihnen gegeben ward, nicht zur Geltung bringen können, liegt an dem Gesetz, das über der Erde waltet: „Friede und Ordnung aber sind nur im Himmel".

Während des Aufsatzes machte die Verfasserin einen ebenso sicheren Eindruck, wie ihn die Arbeit hervorrufen möchte: Die Gleichartigkeit aller Märchen - die vorgelegten werden nur einmal benutzt - wird behauptet, - und damit soll das Thema bewiesen sein. Das Wesen des Märchens wird abstrakt und unanschaulich dargelegt, z. T. in undurchsichtigem Gedankengang, in dem das Thema nur ab und zu auftaucht.

Die Sprache ist seltsam überhöht, eine ganz neue Gewohnheit der Schülerin; der Ausdruck wirkt dadurch öfters unecht.

Nur mit starker Einschränkung:

Genügend.

Die Jahresleistungen waren meistens Befriedigend.

22.II.47. T. Rolff.