KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs A

1.) Erinnerung an ...

2.) Wie verwirklicht Michael in Wiecherts „Hirtennovelle“ das Wort Carossas „Im engsten Kreise wag’s, dich reich zu leben“?

3.) Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dem Vater und Mutter gestorben,
sondern wer für Herz und Geist
keine Lieb’ und kein Wissen erworben.
(Rückert)


Lebenslauf

Man schrieb das Jahr 1928, als ich, Christa M., Tochter des Pfarrers Friedrich M. und seiner Gattin Paula M., geborene H., am 14. Dezember in Wesermünde geboren wurde. Als drittes Kind gesellte ich mich zu meinen beiden Brüdern Horst und Gerhard. Zwei Jahre nach meiner Geburt liess sich mein Vater nach Köln versetzen, da meine Mutter das Seeklima nicht vertrug. Sie erholte sich sehr langsam hier in Köln und konnte sich kaum der Erziehung ihrer Kinder widmen. Deshalb lag von meiner frühesten Kindheit an mein Wohl und Wehe in den Händen einer fremden Frau. Ihr gilt meine Liebe und Verehrung, als der Hüterin unserer glücklichen Kinderjahre, die mir heute, aus der Erinnerung gesehen, fast unwirklich schön und unbeschwert vorkommen. Als Spielkameraden hatte ich stets nur meine Brüder, und so ist es wohl nicht zu verwundern, dass ich mich, als ich 1935 in die Volksschule kam, dort sehr unbehaglich fühlte. In den Ferien meiner vierjährigen Volksschulzeit habe ich durch viele, weite Reisen die Schönheiten unseres Vaterlandes erleben dürfen, deren Eindrücke ich oft und gerne niederschrieb. Auch heute noch lebt in mir ein starker Drang, durch Reisen fremdes Land und seine Menschen kennenzulernen. -

1939 trat ich voll erwartender Freude in die Sexta der höheren Mädchenschule Köln - Georgsplatz - ein. Die folgenden fünf Schuljahre verflogen schnell und unruhig durch die dunklen Kriegsgeschehnisse. Ich bin in diesen Jahren oft von Krankheiten heimgesucht worden und erholte mich nur sehr schwer davon. In dieser Zeit begann ich, mich für den medizinischen Beruf zu interessieren, worin ich von meinen Eltern und unserem Hausarzt stark unterstützt wurde. -

1943, ein Jahr nach meiner Konfirmation, wurde die Stätte meiner Kindheit zerstört, meine beiden Brüder wurden zum Heer eingezogen, und ein völlig neues Leben in fremder Umgebung verlangte von mir grosse seelische, aber auch äusserliche Umstellungen. Nur ein Jahr durften wir uns eines neuen Heimes erfreuen, dann fiel auch dies einem Angriff zum Opfer. Mein Vater wurde damals sehr krank, und wir mussten so schnell wie möglich Köln verlassen. Ein gastliches Krankenhaus Kölns beherbergte uns einstweilen, und dort kam ich mit der Front in nahe Berührung. Mit wieviel Liebe und Aufopferung die Tag und Nacht einlaufenden Verwundetentransporte dort versorgt wurden, werde ich nie vergessen. Der Wunsch, auch mitzuhelfen in diesem masslosen Elend, wurde glühend in mir wach und fand in meinem späteren Lazarettdienst in Sachsen seine Erfüllung. - Herrliche Winterwochen der Entspannung und Erholung verbrachten wir in einem kleinen Rheindorf, das in seiner Stille und tiefen Geborgenheit mich ganz gefangennahm. Unendlich wohltuend legte sich die ruhige Hand der freien Natur über vergangene Schreckensbilder, und ich begann hier langsam wieder das Leben schön zu finden. -

Diese kleine ruhige Lebensstrecke war wirklich eine Atempause. Mutter und ich mussten bald weiter nach Sachsen wandern. Eine reizende Kleinstadt empfing uns freundlich. Hier beschrieb ich die bunteste, schönste, aber auch schwerste Seite meines Lebensbuches. Monate einer reichen Schulzeit wurden von Wochen eines Lazaretteinsatzes, der Leib und Seele voll beanspruchte, abgelöst. Geduld und Aufopferung lernte ich, starke Konzentration wurde von mir gefordert, und durch meine Hingabe an den Dienst erwarb ich mir Menschenkenntnis. Trotz der schweren Anforderungen war es für mich beglückend, zu spüren „du darfst helfen". -

Unerwartet und schnell überflutete im Frühjahr 1945 die russische Armee unser Städtchen. Es bedeutete auch für mich eine grosse Umstellung. Aus dem pulsierenden Leben wurde ich plötzlich herausgerissen und in die strenge Einsamkeit des Hauses verbannt. In den Wochen der Abgesperrtheit vom Leben war ich nahezu verzweifelt, und die Stunden und Tage verliefen mir nutzlos und leer. Bücher, in die ich mich allmählich mehr und mehr vertiefte, haben es mir erst wieder deutlich werden lassen, dass die grössten Ereignisse unsere stillsten Stunden sind. Viele Mussestunden habe ich der Musik und Schriftstellerei gewidmet, die mir nicht nur Freude bereiteten, sondern zum täglichen Bedürfnis wurden. - Der Abschied von meiner „eroberten kleinen Welt" fiel mir nicht leicht, trotzdem ich mich unbeschreiblich freute, als wir im Januar 1946 nach Köln zurückkehren konnten. - Familie und Heim fanden sich wieder zusammen, und nur mein jüngster Bruder fehlt noch in unserem Kreis. Seit Februar 1946 arbeite ich mit grosser Freude in der Kaiserin-Augusta-Schule, in der ich im Juni zum Sonderkursus zugelassen worden bin. Jetzt trennen mich nur noch wenige Wochen von dem grossen Ereignis, dem Abitur. - Überschaue ich nun noch einmal meine ganze Schulzeit und besonders das letzte Jahr, so fühle ich mich der Schule zu tiefem Dank verpflichtet für das, was sie mir an bleibenden Werten für das Leben mitgegeben hat. Unvergesslich werden mir die Deutsch- und Geschichtsstunden bleiben, die, ausser Englisch, die Fächer meiner besonderen Hingabe waren. In diesen Stunden hat man uns jungen Menschen die Augen geöffnet für das Leben mit seinen Rätseln und Schwierigkeiten, in das wir jetzt eintreten wollen. - Es wird mir auch nicht leicht fallen, mich aus der Gemeinschaft der Schule zu lösen, deren Streben es doch allezeit war, uns einen Platz der Geborgenheit und Sicherheit zu bieten.

Nun stehe ich vor der grossen Frage der Berufswahl. Mein Bruder wird in wenigen Monaten aus England zurückkehren, und da er den Wunsch äusserte, Medizin zu studieren, habe ich ihm die Möglichkeit des langen Studiums abgetreten. Froh und dankbar bin ich, dass mir meine Eltern ein anderes Studium ermöglichen können. Ich möchte Deutsch, Geschichte, Erdkunde und Englisch studieren, um dadurch zunächst einmal meine Kenntnisse auf meinen Interessengebieten zu vergrössern. Welchen Beruf ich ergreifen werde, weiss ich noch nicht genau. -

Ich stehe an einem neuen Lebensabschnitt, und darüber will ich vertrauensvoll Goethes Worte schreiben:

„Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes werden, als dienendes Glied schliess an ein Ganzes dich an."

Abituraufsatz

Erinnerung an einen Gefallenen!

Noch vor einigen Tagen habe ich ein Bild in Händen gehalten, das ein Ehrendenkmal für die Gefallenen des Weltkrieges darstellte. Ein Soldat lag ausgestreckt, das Schwert auf der Brust mit den Händen darüber gefaltet und den Helm auf dem Haupt, und schlief. Aber (eine) unheimliche Starre und Kälte lieg(t)en über dem Gesicht, die die Gestalt in A: hoheitsvolles Fern- und Abgeschiedensein(einen) bedrückenden Zauber hüllen.

Ein Schaudern geht durch meine Seele; sollte in diesem Bild auch all das ausgedrückt sein, was mich mit einem Gefallenen verbindet? Nein und tausendmal nein, schreit es in mir auf, so bist du, mein stiller Wächter, in russischer Erde ruhend, nie gewesen! Dein Denkmal sieht (auch so ganz) anders aus. Es ist ein aufgebrochenes Herz, und darin brennt eine Flamme, die dein Bild umstrahlt und dich leben lässt, als wärest du nie unter die Toten gegangen. Nimm mich wieder an deine Hand.

Dunkle Schatten kommen, und es ist mir, als müsste ich in der Tonflut versinken. Die Kerze ist herabgebrannt. Ihr letzter Schein gleitet zitternd über seine Gestalt. Noch schmäler als sonst erscheint mir sein Gesicht, und das schwarze lockige Haar (lässt) fällt weich in die blass leuchtende Stirn. Seine Augen sind geschlossen; es ist, als ob er in sich hineinhöre und seine ganze Seelenkraft in das Spiel gleiten lasse. Die letzten Töne sind wie ausläutende Glocken verklungen. Die Kerze verlöscht, und die Nacht legt ihre Hände über uns. -

Noch einmal ringt der Winter mit dem neuen Werden der Natur. Und er siegt. Die Erde liegt unter ein weisses Tuch gebannt. Wir sitzen in seinem Zimmer - das letzte Mal. Im Kamin prasselt das helle Feuer und wirft seinen flackernden Schein über uns. Die Unruhe der Flammen verwirrt mich. Ich spüre, wie etwas Unheimliches unsichtbar auf mich zukommt. Fliehen möchte ich, aber ich weiss nicht, wohin. Ich wende meine Augen von dem Feuer ab, und sie finden als einzigen Halt nur die Entw. richtig: seinenSeinen . Wir schauen uns lange an, bis plötzlich ein Lächeln über seinen Mund huscht, aber es zerspringt. Ich möchte fragen, was geschehen ist, da kommt er mir mit seinen Worten zuvor: „Begleite mich". Eisig umweht uns die Winterluft. Auf einen Hügel sind wir gewandert besser: .Zuund vor unseren Füssen ruht das Bild der kleinen Stadt.

Ich spüre die Schwere der schneebeladenen Tannen über uns. In das grosse winterliche Schweigen sind seine Worte: „Morgen muss ich in den Kampf", verhallt. In der Ferne rollt Geschützdonner. Ich T. kannkonnte es einfach nicht fassen, dass er (nun) noch in den Kampf mussmusste . Nur zwei Sätze: Ich komme wieder und spiele jeden Abend, wenn es dunkel wird, um dich und in dir das Largo von Händel, dann werden wir beisammen sein, und unsere Herzen spotten der Entfernung. Dort unten geht er den kleinen schneeigen Pfad zur Stadt. Ich möchte schreien, aber kein Ton dringt aus meinem Mund. Ich bin allein. -

Zwanzig Tage lang tönte beim Einbruch der Dunkelheit aus meinem Zimmer ein gleiches Wehen und Singen. Und ein Glück durchzog mich, stärker und immer stärker werdend bis... am einundzwanzigsten Tage dieeine Nachricht kam: Gefallen für Deutschlands Ehre. - Wellen der Verzweiflung schlugen über A. mirmich zusammen, und Tage (habe) lebte ich ohne ... zu wissen,gewusst zu haben , dass ich lebte. Als besser: danneines Tages wieder ein Brief kam, habe ich Stunden davor gesessen, ehe ich es wagte, ihn zu öffnen. Es war ein letzter Gruss von ihm, geschrieben im Gedanken an seinen Tod. Seine Worte des Trostes kann ich nicht besser: wiederholenschreiben , sie haben mich (wieder) geweckt aus Verzweiflung und Not. Dankbar habe ich dem Frieden des Toten Raum auch in mir gegeben. Wird meine Sehnsucht (nach dir) zu gross, dann lasse ich das Largo, unsere Seelenmelodie, ertönen, und ich finde ihndich .

Mein Herz bleibt seindein Denkmal, die Flamme darin brennt hell, und erdu , mein Wächter, ruhst im warmen Leben. -

x begreifebegriff ich.

Eine reife Arbeit, aus tiefem Erleben geschrieben.

In gut gewählten Bildern und sprachlich selbständiger Form hat die Verfasserin ihre Erinnerung packend gestaltet.

Sehr gut.

20.II.47. Kl.

Jahresleistung: vollauf gut.