KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse 8b (1944)

Klassencharakteristik

Die Klasse 8 b macht zunächst einen ziemlich einheitlichen Eindruck. Sie gibt das Bild von höflichen, hilfsbereiten und zuverlässigen Mädels. Jede hat Angst, aufzufallen. - Im Verkehr unter sich haben die Mädels einen offenen, geraden Ton, der vor gelegentlichen freundschaftlichen Rügen nicht zurückschreckt. Die Kameradschaft wird dadurch jedoch nie gestört.

Im Unterricht teilt sich die Klasse in Gruppen, in eine ausgesprochen naturwissenschaftlich und in eine sprachlich begabte. Das Interesse für deutschkundliche Fächer ist bei allen Schülerinnen vorhanden, doch fehlen hier teils die zur selbständigen Arbeit notwendigen Bücher, teils fehlt es an der Reife, da einige der Schülerinnen zu den sich spät entwickelnden Typen gehören. Der Ausfall des Unterrichts vom Mai bis November 1943, beim Übergang von der 6. zur 7. Klasse, hat die geistige Entwicklung der Klasse unterbrochen. Alle Schülerinnen fanden den Anschluß nur schwer - der Gesundheitszustand der Klasse kann nicht als gut bezeichnet werden. Ein Drittel derselben hat Turnattest, manche Schülerin ist sehr anfällig für Halsentzündung. Häufiges Fehlen im Unterricht ist deshalb leider ein Charakteristikum der Klasse. Die Schülerinnen arbeiten sehr langsam, immer mit Bedacht. Fleiß und Pflichtbewußtsein ließen die Klasse - allen Schwierigkeiten zum Trotz - doch das bestimmte Ziel erreichen.


Beurteilung

Gisela B. ist mittelmäßig begabt. Auf naturwissenschaftlichem Gebiet ist ihre Begabung besser. Ihr Interesse ist vielseitig und ausdauernd. Gisela ist sehr fleißig, doch arbeitet sie langsam und umständlich, sie will den Dingen auf den Grund gehen. Dazu reicht ihre Begabung leider nicht immer aus - und so kommen manchmal doch recht eigenartige „Gedanken" zum Ausdruck. Gisela ist schon sehr selbständig, sie ist gewissenhaft und verantwortungsbewußt, aber auch eigensinnig und eigenwillig. Von Hause aus zu sozialer Betätigung erzogen, ist sie hilfsbereit auch aus Veranlagung.

Durch den Fliegerangriff vom Juni 43 total geschädigt, wurde die Familie getrennt. Gisela fand in einem Dorf (Sprendlingen) bei Bingen Unterkunft. Sie besuchte von August an als Gastschülerin die städt. Oberschule f. Mädchen in Bingen. Am 12. November kehrte sie in die Klasse 8 b hierher zurück. Sie wohnt allein im BDM-Heim in Deutz. Bücher und Hilfsmittel für die Schule fehlen ihr fast gänzlich.

Lebenslauf

Am 7.1.26. kam ich, Gisela B., als zweite Tochter der Eheleute Dr. Ing. Wilhelm B. und seiner Ehefrau Edith, geb. M. zu Dortmund auf die Welt. Doch sollte Dortmund nicht meine Heimat werden, denn bald siedelten wir nach Heisingen, an das ich mich nur noch schwach erinnern kann, und kurz darauf nach Essen über. Hier ging ich in den Kindergarten, in dem ich zum ersten Mal bewußt Nikolaus und Weihnachten erlebte. Ostern 1932 kam ich in die Volksschule. Dieser Tag war von einer zweiten Bedeutung in meinem Leben. Ich unternahm meinen ersten selbständigen Schritt. Ohne meine Eltern vorher zu fragen, ließ ich mich fotographieren. Einen Unterschied zwischen Schule und Kindergarten empfand ich damals nicht. Für mich bedeutete Schule dasselbe wie Spielstunde; denn wir formten Knetgummi, legten bunte Stäbchen zu Häusern und Gittern und steckten Buchstaben in unsere Lesetaschen. Meine Mutter merkte dieses bald und zeigte mir, daß die Schule keine Spielerei war. Mutter ist wohl in meinem Leben für mich in allem bestimmend geworden. Von klein auf erzog sie uns mit Güte, lenkte unsere Schritte, ohne daß wir es als Belehrung empfanden, auf richtigere Bahnen. Unermüdlich erfand sie neue Geschichten, in denen wir uns mit unseren Unarten wiedersahen. Später - wir waren inzwischen nach Aachen verzogen - fand ich Schneewittchen und all die guten und bösen Gestalten in Hauffs und Grimms Märchenbüchern wieder. Das alles regte meine Phantasie sehr an. Vor allem aber war es der katholische Glaube, der mich in Aachen ganz gefangen nahm und meine Phantasie in weite Fernen schweifen ließ. Immer wieder ging meine Mutter mit uns zu den Kirchenkrippen, und ich gewann das Jesuskind lieb. Die Engel und der Herr unter dem Thron, der über Blumen ging und vor dem sich alle beugte, schien mir aus einer anderen Welt zu kommen. Ich spürte, daß es etwas Größeres, Erhabenes geben müsse: „Gott!" Aachen, das mir fast zu Heimat geworden war, mußte ich nur viel zu früh verlassen. Wir zogen nach Köln, und ich kam, nachdem ich noch kurze Zeit die Volksschule besucht hatte, auf die Oberschule für Mädchen in Köln-Weyerthal. Meines Bruders Gefährten waren meine Gefährten, und je mehr wir anstellten, um so lieber war's mir. Ich wurde ein halber Junge und hieß bald nur noch „Hans in allen Gassen!" Die Märchenbücher verschwanden, und ich las Karl May, Robinson Crusoe und Onkel Toms Hütte mit wahrer Jungenbegeisterung. Wenn ich auch nach außen ein Junge geworden war, so konnte mich doch eine traurige Tiergeschichte zu Tränen rühren. Eines Tages aber gefiel mir das Spiel nicht mehr, und selbst Winnetou wirkte nicht mehr seine alte Kraft auf mich aus. Die Jungmädchenbücher gefielen mir plötzlich viel besser, und es dauerte nicht sehr lange, da hieß ich nicht mehr „Hans in allen Gassen", sondern „Leseratte". Nach Abschluß der 5. Klasse trat ich in die 6. Klasse der Kaiserin-Augusta-Schule in Köln über. Damit begann eine Wandlung in mir. Der Unterricht war nicht mehr ein lästiger Zwang, sondern er gab mir etwas, womit ich mich innerlich beschäftigen konnte, er stieß mich auf Fragen und Probleme. Nur langsam fand ich den Weg von den Jungmädchenbüchern zu unseren großen Dichtern, und das wohl durch unseren 3 monatlichen Kriegseinsatz im Kindergarten. Ich sah, daß ich nun Kinder erziehen sollte, und ich kam mir erwachsen vor. Ich lehnte die bisherigen Bücher ab. Doch fand ich, weil mir keiner das Verstehen für unsere Dichter gab, nicht den rechten Weg zu ihren Büchern. Mir fehlte die innerliche Reife. Langsam erkannte ich durch den Deutschunterricht die Schönheit und Tiefe der Bücher. Besonders liebe Freunde sind mir heute Stifters „Nachsommer" und „Brigitta", Walter Flex' „Wanderer zwischen beiden Welten" und „Kamerad und Kameradin" von Rudolf Kinau.

Neben Elternhaus und Schule hatte der B.D.M. einen großen Einfluß auf meine Entwicklung. Mit 10 Jahren trat ich in die Reihen der J.M.B. ein und wurde mit 14 Jahren in den B.D.M. überwiesen. 1939 trat ich in die Rundfunksingschar über. Dort bildeten wir durch unser Singen und Erleben eine geschlossene Kameradschaft. 1940 machten wir eine Einsatzfahrt nach Paris. Später wurde ich Ringmusikleiterin und J.M. Gruppenführerin. Diese Zeit hat mir persönlich sehr viel gegeben. Ich wurde selbständiger, zielbewußter und freier im Auftreten und Sprechen. Durch den Terrorangriff am 28. Juni 1943 wurde ich ganz aus meinem ruhigen Leben herausgerissen und nach Sprendlingen in Rheinhessen verschlagen. Hier besuchte ich fast ¼ Jahr als Gastschülerin die Oberschule für Mädchen in Bingen. Am 10. November 1943 kehrte ich auf die Oberschule für Mädchen, Kaiserin-Augusta, zurück, um hier mein Abitur zu machen. Da ich besondere Freude an allen naturwissenschaftlichen Fächern finde, habe ich mir Physik als Wahlfach ausgesucht und bitte, mich in diesem Fach zu prüfen. In einem naturwissenschaftlich ausgerichteten Beruf glaube ich später einmal volle Befriedigung zu finden.