KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs B

1.) Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen)

2.) Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern. (Vorgelegt wird: 1.) Ein sibirisches Märchen: Das Fisch-Mädchen, 2.) ein deutsches Märchen: Die Sterntaler, 3) ein französisches Märchen: Cendrillon.

3.) Vergleich zweier Mutterbildnisse: (Christoph Amberger: Margarete Welser. Hans Thoma: Bildnis der Mutter des Künstlers)


Lebenslauf

Gewiß haben bei dem Werden eines Menschen die äußeren Umstände, die Umwelt, erschütternde Ereignisse eine große Bedeutung, aber der Mensch muß versuchen, durch seine Willensstärke und durch eigene, freie Entscheidung zum Guten sein Schicksal formen zu helfen. -

Auch zu meiner charakterlichen und geistigen Entwicklung haben äußere Umstände beigetragen. - Jedoch verdanke ich mein heutiges „Ich" nicht nur wichtigen Einflüssen, die von der Umwelt auf mich ausgingen, sondern auch meinen Eltern, die Eigenart und Eigenschaften auf mich vererbten. -

Am 14. August 1927 wurde ich als Tochter des Chemikers Dr. Rudolf P. und seiner Ehefrau Margarete, geb. S. in Köln geboren. - Mein Vater stammt aus einer Beamtenfamilie, und der Großvater mütterlicherseits war Apotheker. - Diese letztere Tatsache sollte für meine Berufswahl von entscheidender Wichtigkeit sein. - So war also für die Wahl meines Berufes, zu der ich mich später äußern werde, das mütterliche Erbe ausschlaggebend. - Meinen Charakter aber, das Sinnende und den Wunsch zu lernen, erbte ich von meinem Vater. - Er war als Leiter des Wissenschaftlichen Laboratoriums in Knapsack tätig. -

Durch die unermüdliche Fürsorge des Vaters und die Liebe der Mutter zu ihren vier Kindern wurde mir eine sonnige, wohlbehütete Jugend geschenkt. - Als Älteste wuchs ich im Kreise meiner drei Geschwister, einem Bruder und zwei Schwestern heran. Daß ich die Älteste bin, will auch etwas bedeuten, denn ich mußte früh lernen, mit „gutem Beispiel" voranzugehen; d. h. ich wurde zur Folgsamkeit meinen Eltern und zur Nachgiebigkeit meinen Geschwistern gegenüber erzogen. -

Für manchen Menschen ist es von größter Bedeutung, wo er geboren wurde und welcher Winkel der großen Erde seine Heimat ist, jedoch konnte das landschaftlich wenig reizvolle Knapsack keinen nachhaltigen Einfluß auf mich haben. -

Auch seine Bewohner, eine aus vielen Ländern und aus allen Teilen Deutschlands bunt zusammengewürfelte Bevölkerung, konnte mir nicht das Erlebnis heimischer Menschen schenken. - Bis zu meinem ersten Schulgang in ich kaum mit den Menschen meines Heimatdorfes zusammengekommen. - Ostern 1934 trat für mich deshalb eine große Änderung ein: zum ersten Mal begab ich mich aus dem sicheren Schutz meines Elternhauses und kam mit Kindern aller Stände zusammen. - Wohl hatte ich eine Freundin aus meiner nächsten Umgebung, - sie wohnte in der selben Straße wie ich - trotzdem fühlte ich mich in der großen und lauten Schar einsam und kam mir von allen guten Menschen verlassen vor. - Doch durfte ich bald durch den Verkehr mit einem einfachen, netten Mädchen erfahren, daß es auch unter der Dorfbevölkerung stille und feine Menschen gab. -

In der Dorfschule wurde gründlich gearbeitet, und so gelang es mir, Ostern 1938 nach abgelegter Prüfung in die Sexta der Kaiserin-Augusta-Schule aufgenommen zu werden. -

Zuerst kam mir der Unterschied in dieser Schule neuartig vor. Aber bald hatte ich mich an die neue Unterrichtsweise gewöhnt, und gerade die neuen Fächer fesselten meine Aufmerksamkeit. Besonders die Biologie, die Lehre vom Leben, entsprach meinen Interessen und regte mich ungemein an. - Die Liebe zu allen Tieren und Pflanzen, die die Natur den Menschen schenkt, wurde in mir geweckt. -

Auf meine Charakterbildung wirkte damals stark religiöses Erleben ein; ein Tag, an den ich immer gerne zurückdenken werde und der noch lange in mir nachklingen wird, war der Tag meiner Konfirmation: Palmsonntag 1942 wurde ich in der Pfarrkirche zu Knapsack eingesegnet. - Der Pfarrer bereitete uns junge Menschen auf den Ernst des Lebens vor, und bald sollte ich die tiefe Wahrheit, die seine Worte enthielten erkennen. -

Da der zweite Weltkrieg, der 1939 begann, immer grausamere Formen annahm und die Fliegerangriffe auf Köln und Umgebung immer heftiger wurden, zogen meine Mutter mit meinen Geschwistern und mir nach Bad Oeynhausen, das vom Kriege noch verschont worden war. - Doch auch hier wurde die aus der Not des Volkes geborene Forderung: „Frauen, geht in die Fabriken!" laut verkündet. - Da ich damals schon über vierzehn Jahre alt war, wurde auch ich zum Arbeitseinsatz in einer Schuhfabrik herangezogen und als Hilfskraft in der Registratur beschäftigt. Ich verlebte frohe Arbeitsstunden, und mein Erfahrungskreis wurde erweitert: Zum ersten Mal lernte ich eine ganz andere Umwelt kennen, als ich bisher gewöhnt war, und ich beobachtete die Lebensbedingungen einer einfachen Arbeiterin aus der Nähe. - Mein Vater, der bis zuletzt auf seinem Posten in Knapsack gestanden hatte, war inzwischen als Oberleutnant und Führer eines Volkssturmbataillons zur Wehrmacht eingezogen worden. - Wir konnten ihn im März 1945 noch einmal kurz sprechen, erhielten dann erst nach einer langen, sorgenvollen Wartezeit von fünf Monaten die Nachricht, daß er kurz vor Beendigung des Krieges gefallen sei. - Diese Nachricht erschütterte mich. - Etwas, was ich als Teil meiner Seele empfand, war in mir zerbrochen. Ich kam mir verwaist und einsam vor. - Doch zugleich fühlte ich auch, wie sich ein Stück Verantwortung für meine Geschwister, die bisher mein Vater und meine Mutter getragen hatten, auf meine Schultern legte. Ich wollte darum mein sehr schweres Schicksal mit innerer Festigkeit und Geduld ertragen und fortfahren, in der Kaiserin-Augusta-Schule zu lernen, um mir das nötige Wissen anzueignen, das ich in meinem späteren Leben nötig haben werde. -

Im Oktober 1945, ein halbes Jahr nach dem Zusammenbruch, fing der Unterricht an den Kölner höheren Schulen wieder an, und im Frühjahr 1946 wurde ich in den Sonderkursus 1946/47 versetzt. Augenblicklich habe ich Freude am lateinischen Unterricht, obwohl ich nur genügende Leistungen erreicht habe. - Daneben aber gehört meine Vorliebe wie früher der Biologie, und ich bedauere, daß dieses Fach im Sonderkursus nicht mehr gelehrt wird. - Gern wäre ich Ärztin geworden, da aber gerade das medizinische Studium überfüllt ist, werde ich Pharmazie studieren, obwohl ich mir bewußt bin, daß auch die Apothekerlaufbahn im Augenblick für Frauen geschlossen ist. Ich hoffe aber, daß dieser Zustand nicht von Dauer sein wird und bin überzeugt, daß mich der Beruf der Apothekerin befriedigen wird.