KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs B

1.) Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen)

2.) Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern. (Vorgelegt wird: 1.) Ein sibirisches Märchen: Das Fisch-Mädchen, 2.) ein deutsches Märchen: Die Sterntaler, 3) ein französisches Märchen: Cendrillon.

3.) Vergleich zweier Mutterbildnisse: (Christoph Amberger: Margarete Welser. Hans Thoma: Bildnis der Mutter des Künstlers)


Lebenslauf

Am 19.7.27 wurde ich in Berlin geboren. Meine ersten deutlichen Kindheitserinnerungen stammen aus dem Dorf Mecklenbeck in Westfalen, wohin meine Eltern zogen, als ich fünf Jahre alt war. Sehr einsam lag unser Haus, und von seinen Fenstern konnte der Blick weit über Wiesen und Busch schweifen. Im Anfang war ich zu scheu, um mit den Kindern der Umgebung zu spielen, und mein harmonisches Elternhaus ersetzte mir zuerst die Kameraden. In einer Welt voller Märchen und Träume lebte ich, und die Natur bevölkerte ich mit den Gestalten meiner Phantasie. Oft streifte ich mit meinem Vater durch Wald und Busch oder unternahm allein Streifzüge in die Umgebung und beschäftigte mich stundenlang an einsamen Wassertümpeln. Im Laufe der Zeit aber schloß ich mich mehr an die Kinder der Nachbarschaft an und wurde dadurch von meinen stillen Grübeleien abgelenkt. Unsere Spiele führten uns durch Hecken und Zäune, und auch als die Schulzeit anfing, waren diese ungebundenen Spiele die Hauptsache. In den großen Ferien fuhr ich nun regelmäßig mit meiner Mutter nach Stuttgart zu meinen Verwandten, und die weiten, rauschenden Wälder, die die Stadt umgaben, liebte ich besonders. -

Nach zwei Jahren wurde mein Vater, der inzwischen als aktiver Offizier wieder in die Wehrmacht eingetreten war, nach Aachen versetzt. In der Volksschule, die ich nun besuchte, brachte mich der schöne Religionsunterricht meinem Glauben näher, und als ich nach zwei Jahren auf das Lyzeum der Ursulinen kam, wurde ich auch hier religiös sehr stark beeinflußt. Kaum aber fühlte ich mich in dieser Schule etwas heimisch, so zogen meine Eltern nach Köln. Obwohl wir außerhalb der Stadt wohnten, gewöhnte ich mich sehr schwer an die neue Umgebung; denn ich vermißte die Wälder, die ich von Jugend auf gewöhnt war. In der neuen Schule sah ich bald, daß mir die naturwissenschaftlichen Fächer weniger lagen als die anderen Fächer, daß mir aber die Deutschstunden sehr viel bedeuteten. Als der Krieg ausbrach, überschatteten die vielen Bombenangriffe auch das Schulleben; aber ich war noch zu sehr in meine Träume versponnen, um die harte Wirklichkeit ganz zu erkennen und zu erleben. Die Welt der Bücher schloß sich mir immer mehr auf, und ich las den halben Tag lang. Meine Klasse hatte sich zu einer wirklichen Gemeinschaft zusammengeschlossen, und ich fühlte mich sehr glücklich in der Schule.

Da riß mich plötzlich ein grausames Ereignis aus diesem sorglosen Leben. Im Sommer 43 wurde unsere Wohnung durch einen Fliegerangriff vollständig zerstört, und wir zogen nach Godesberg. Der Abschied von meiner Kölner Schule, die mir bis jetzt alles bedeutet hatte, war für mich der erste große Schmerz. Ich gewöhnte mich nur sehr schlecht an die neue Schule und wurde noch hoffnungsloser, als ich spürte, daß diese rein naturwissenschaftlich eingestellte Schule mir keinen Ersatz für das Verlorene geben konnte. Ganz fremde Einflüsse bekamen Gewalt über mich, und ich mußte mich zum erstenmal selbst durch alle Schwierigkeiten hindurchkämpfen und begann nun mehr und mehr, in der Wirklichkeit zu leben. Nach einem halben Jahr sah ich ein, wie wenig diese Geistesrichtung meinem Wesen entsprach und entschloss mich deshalb, in die Kölner Schule zurückzukehren. Als ich nun wieder in meiner altgewohnten Umgebung lebte, sah ich erst, wie sehr ich mich in meiner Abwesenheit geändert hatte. Ich war reifer geworden und sah alle Dinge mit bewußteren Augen.

Mein Vater war inzwischen nach Wiesbaden versetzt worden, und da die Kriegsereignisse immer schwieriger wurden und die Schule nicht mehr begann, zogen meine Mutter und ich vorläufig ebenfalls dorthin. Der Feind rückte näher, und mein Vater mußte mit seiner Dienststelle Wiesbaden verlassen. Meine Mutter und ich reisten ebenfalls mit; ständig auf der Flucht vor Panzern oder Fliegern erlebten wir den deutschen Zusammenbruch. Jeder, auch der Hoffnungsvollste, mußte erkennen, daß Deutschland am Ende seiner Kraft stand. Ich konnte dieses alles nicht begreifen, ich wollte es einfach nicht glauben, daß nun alles das, woran ich von Jugend auf geglaubt hatte, untergehen sollte. Ich hoffte bis zuletzt, bis ich meinen Vater als Gefangenen in einem amerikanischen Wagen davonfahren sah. Da stürzte alles über mir zusammen. Es war wie ein wüster Traum. Nun war also fast alles verloren, was ich bis jetzt geliebt hatte. Ich gab zuerst alle meine Zukunftsträume auf, und es schien auch so, als habe uns unser Glück gänzlich verlassen. Von meinem Vater traf keine Nachricht ein. Und ich durfte in dieser schweren Zeit meinen Kummer nicht einmal zeigen, um meine Mutter nicht zu sehr niederzudrücken. Um endlich etwas anzufangen, ging ich in Wiesbaden, wohin wir nach unserer Irrfahrt zurückgekehrt waren, als Haustochter in eine Arztfamilie, um den Haushalt zu lernen. Nach drei Monaten kam mein Vater aus der Gefangenschaft zurück, und wir zogen wieder nach Godesberg. Ich war überglücklich, daß unser Umherwandern ein Ende gefunden hatte und ich die Schule wieder besuchen durfte.

Meine Kameradinnen traf ich wieder. Wir waren ernster und selbstständiger geworden.

Ich meldete mich im Januar 46 wieder in der Kaiser-Augusta-Schule an und wurde Ostern in den Sonderkurs aufgenommen. Die weiten und umständlichen Fahrten zwischen Godesberg und Köln haben mich im letzten Jahr sehr angestrengt. Im Unterricht interessierte mich besonders die deutsche Literatur, und ich habe deshalb vor, Bibliothekarin zu werden.

Abituraufsatz

Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen)

A. Einleitung.

B. Hauptteil.

I. Die Bedeutung der westfälischen Landschaft und ihrer Menschen für die erste Entwicklung.

II. Die Eindrücke in der Stadt. (...)Religiöse Einflüsse.

III. Das gesicherte Leben in einer Gemeinschaft.

IV. Durchbruch in die Wirklichkeit und die ersten Enttäuschungen.

V. Der erste Schmerz.

VI. Der Krieg.

C.VII. Schluß.

A. Wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke, so treten einzelne Erlebnisse hervor, die wie Stationen auf einem Weg sind, und deren Bedeutung ich erst nach Jahren allmählich begriff.

B. I. In der weiten, herben Landschaft Westfalens wuchs ich auf, und das Wesen dieser Landschaft prägte sich tief in mein Inneres ein und begleitete mich in allen späteren Jahren. Verhalten und ernst ist ihr Gesicht, und ihre verborgene Schönheit wird nur demjenigen sichtbar, der sich in Liebe zu ihr neigt. Weite Koppeln, dunkle Heiden und zerstreut liegende Waldinseln leben in meiner Erinnerung, und ein weiter, grauer Himmel, über den die Krähen mit flatterndem Flügelschlag dahinzogen. Ein weiter Horizont lockte in die Ferne und weckte die Sehnsucht nach dem Unbekannten. Leiser schienen in diesem Lande die Wipfel zu rauschen und die Bäche zu plätschern, und auch Freude und Schmerz der Menschen zeigte sich kaum in sichtbaren Regungen.

Meine Phantasie lebte ganz in einer Welt voller Märchengestalten, die aus meiner Umgebung herauswuchsen. - Diese Landschaft und ihre Menschen gaben mir Gein Teil ihres Wesens, das ich wohl nie ganz verlieren werde.

II. Als wir nach ein paar Jahren in eine große Stadt zogen, war für mich das laute Treiben ganz unbekannt und schreckte mich ab. Wie sehr sehnte ich mich nach meiner stillen Heimat zurück, die bis heute meine eigentliche Heimat geblieben ist und mir immer wieder Kraft gibt, wenn ich einmal Schweres zu überstehen habe. Ich lernte eine ganz neue Umgebung kennen. Ich war sehr scheu zuerst, denn es war mir ungewohnt, fremden Menschen meine Gedanken mitzuteilen, und ich wunderte mich oft, wie leicht das den anderen fiel. Ich mußte mich zum erstenmal fremden Menschen gegenüber durchsetzen und wurde dadurch aufgeschlossener und freier.

In dieser Zeit fand ich oft Trost in einer dämmrigen Kirche, die mir etwas von meiner alten Welt zu geben schien. Und bald erwachte nun auch der Wissensdurst, und ich begann über die religiösen Dinge nachzudenken. Schon damals tauchten so viele Probleme auf, die ich nicht beantworten konnte, und auf die mir auch bis heute kein anderer eine Auskunft zu geben vermochte.

III. Als ich abermals eine neue Stadt kennenlernte, kam ich in einen Gemeinschaft, die mir eine neue Welt aufschloß. Ganz langsam wuchs ich in die neue Umgebung hinein. In den kommenden Jahren lernte ich die Menschen, die mich umgaben, näher kennen und lieben und glaubte, auch die Welt dort draußen müßte so sein, wie diejenige, die mich unmittelbar umgab. Ich glaubte, daß jeder Mensch gut und hilfsbereit sein müsse.

IV. Aber dann geschah ein Ereignis, das mich plötzlich in die Wirklichkeit hinausstieß und mir zeigte, wie hart das Leben sein kann. Unser Haus wurde bei einem Fliegerangriff zerstört. Ich erwachte wie aus einem langen Traum und wollte es nicht fassen, daß ein Gott so grausam sein konnte, daß der Mensch so machtlos und ohnmächtig diesen Gewalten gegenübersteht. Eine Kinderwelt versank für mich, und ich stand vor ganz neuen Aufgaben und Pflichten, die ich nur mit wachen Augen vollbringen konnte. Als ich nun auch noch aus meiner geliebten Gemeinschaft gerissen wurde und die Menschen draußen im Alltag besser kennenlernte, da erlebte ich manche Enttäuschung. Ich erfuhr, wie sehr die meisten Menschen ihre Gunst nur demjenigen zuwenden, der äußeren Besitz sein eigen nennt, wie schnell sie ihn aber im Stich lassen, wenn der äußere Glanz verschwunden ist. Diese Menschen suchen nicht die Seele des anderen, sondern nur den Vorteil, den sie aus dem Besitz ziehen können.

V. Ich lebte nun von all denen getrennt, die mir lieb gewesen waren. Das Heimweh nach ihnen ließ mich lange nicht frei aufatmen. Nur die herrliche Umgebung entschädigte mich etwas für das Verlorene, und ich lernte in dieser Zeit, was es bedeutet I, einsam zu sein. Ich erkannte, daß der Mensch grade in seinem tiefsten Kummer und Schmerz ganz auf sich angewiesen ist, daß er im Grunde seines Wesens immer einsam bleibt und die größten Kämpfe in sich alleine austragen muß.

Nach diesem Erlebnis spürte ich zum erstenmal deutlich, daß ich innerlich ein anderer Mensch geworden war. Meine Erfahrungen waren gewachsen I_ und mein ganzer Gesichtskreis hatte sich geweitet. Bewußter war ich geworden und der Wirklichkeit gegenüber aufgeschlossener.

VI. Als nun der Krieg unmittelbarer an uns herantrat I_ erlebte ich alle Schrecken, die eine Flucht vor dem Feinde mit sich bringt. Wir verloren noch einmal all unser Hab und Gut, und ich sah ein, wie schnell die irdischen Dinge zerstört werden können und daß der echte Wert eines Menschen nur in seinem Innern zu finden ist.

CVII. Alle Erlebnisse, jede Freude und jeder Schmerz, bringen uns eine Erfahrung und lassen uns die Tiefe des GMenschenherzen ahnen. Jedes Erlebnis prägt sich in unser Inneres ein, form unseren Charakter und bringt uns in unserer seelischen Entwicklung ein Stück vorwärts. Wir lernen andere Menschen besser verstehen und können ihnen in ihren Nöten helfen.

Die Verfasserin hebt die wichtigsten Stationen ihres Lebensweges heraus und weist die Bedeutung für ihre Entwicklung auf; so hat sie das Thema gut durchgeführt. Der Aufsatz ist ein geschlossenes Ganzes, und die sprachliche Form ist gewandt. Die feine, zurückhaltende Eigenart der Schülerin hat sich gerade bei diesem „Bekenntnis-Thema" bewährt.

Sehr gut.

Die Jahresleistungen schwankten zwischen Gut, Befriedigend und Genügend.

22.II.47. T. Rolff.