KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse 8a (1943)

Klassencharakteristik

Die Hoffnungen, mit denen wir die Klasse 8 a – reduziert und „gesäubert“ in die Oberstufe eintreten ließen, haben sich nicht ganz erfüllt: wir führen nur eine Durchschnittsklasse in das Abitur. Zum Teil haben wir wohl damals Begabungen und auch Arbeitsbereitschaft überschätzt; im ganzen werden die Gründe allgemeinerer Art sein; die Klasse ist in der Mehrzahl noch recht jung (15 Schülerinnen sind 1926 geboren) und jetzt gerade in dem dumpfen „Puppenstand“, aus dem man dann früher die Unterprimanerinnen sich herausschälen sah. Zudem aber lastet auf sehr vielen von ihnen der Krieg besonders schwer. Fünf haben Heim und Besitz verloren, andere mußten und müssen in stark beschädigten Wohnungen hausen. Wieder andere sind – des Abiturs wegen – allein hier zurückgelassen worden, entbehren also nicht nur jeder Betreuung, sondern müssen auch noch neben der Schule die Wohnung instandhalten. In einem anderen Fall ist die Mutter in ihren früheren Beruf zurückgeholt und damit ein besonders pflegebedürftiges Kind zusätzlich belastet worden. Drei von den Mädchen haben täglich eine weite, anstrengende Anfahrt. Auch gesundheitliche Schädigungen durch Kriegsfolge (Schädelbruch durch Hauseinsturz, Herz- und Magenleiden durch Überanstrengung im Kriegseinsatz) haben gerade bei besonders hoffnungsvollen Schülerinnen zu schweren Rückschlägen in den Leistungen geführt. Die täglichen Störungen, unter denen wir alle leiden, brauche ich nicht zu erwähnen.

Ein Gutes hatten aber die Kriegswirkungen: die Klasse, die lange nur ein Nebeneinander von kleinen Grüppchen war, ist durch die gemeinsamen Nöte endlich zu einer guten Kameradschaft zusammengewachsen. Dass das so lange gedauert hat, ist umso merkwürdiger, als die Klasse bei allen individuellen Gegensätzen ein einheitliches Gesicht hat.

Die meisten dieser Mädchen hatten das Glück, in geordneten Verhältnissen, in der Geborgenheit eines harmonischen Familienlebens aufzuwachsen. So erscheinen sie uns auch heute noch im allgemeinen als unangefochtene Naturen. Das machte die Führung der Klasse leicht. Man fühlte sich in einer sauberen, gesunden Luft und hatte vielleicht Schuldummheiten zu ahnden, aber keine schwierigen Erziehungsprobleme zu lösen. Umgekehrt war auch für die Mädchen die Schule kein Problem; sie wurde als etwas Selbstverständliches, recht Anregendes mit dankbaren Gefühlen hingenommen. Aber bei dieser Hinnahme, bei der Rezeptivität ist es leider bei den meisten auch geblieben. Es fehlte diesen menschlich so sympathischen Kindern an dem erwünschten Maß von Aktivität, von geistiger Einsatzbereitschaft. Ehrgeiz oder brennender Wissens- und Schaffensdrang waren spärlich vertreten. Selbst wenn die anfangs genannten Behinderungen stark in Anschlag gebracht werden, bleibt der Eindruck bestehen, daß für den größeren Teil der Klasse ein rechtes Frauenschicksal mehr zu wünschen ist als ein wissenschaftlicher Beruf.

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1944

[Es ist offenbar keine Aufstellung der eingereichten Aufsatzthemen überliefert. Die folgenden Aufgabenstellungen wurde den Aufsätzen direkt entnommen.]

 

1.) Erinnerung an einen Menschen.

2.) Ehrgeiz, eine fragwürdige Eigenschaft.

3.) Warum kann man sagen, daß Größe und Nichtigkeit des Menschen nie so offenbar wurden wie in dieser Kriegszeit?


Beurteilung

Sie ist bei munterem, liebenswürdig-verbindlichem Wesen eine ausgesprochen weibliche Natur mit ihrer Neigung zu häuslich-praktischer Betätigung, bei der sie eine in der Schule weniger zu beobachtende Aktivität entwickelt und mit dem Überwiegen des Gefühlsurteils über das Verstandesurteil. Jedoch ist sie nicht ohne logische Begabung, durch die sie im Latein öfters hervortritt und nicht ohne gründliche Interessen für Gesichte, Kunstgeschichte und Biologie.

Lebenslauf

In Köln wurde ich am 31. Mai 1926 geboren. Meine Eltern, der Oberlandesgerichtsrat Hermann B. und seine Ehefrau Theda geb. W. bewohnten ein Haus in der Altstadt. Der kleine Garten, der sich an das Haus anschloss, liess ganz vergessen, dass man sich im Herzen der Großstadt befand. Er war mit Sandkasten, Schaukel und Turnreck der schönste Tummelplatz für mich, wie später auch für mein Brüderchen, das neun Jahre jünger ist als ich. Nachdem ich die Volksschule vier Jahre lang besucht hatte, sollte ich in die höhere Schule kommen. Die Wahl wurde meinen Eltern nicht schwer, denn die Kaiserin-Augusta-Schule lag nur drei Minuten von Hause entfernt. So trat ich, wie meine Mutter vor 27 Jahren, in diese Schule ein. Neben den Anforderungen der höheren Schule erwuchs mir 1936 im Jungmädeldienst ein neuer Pflichtenkreis. 1940 wurde ich zur Führerin ernannt und fand viel Freude an der sportlichen Erziehung der Mädel.

Als meine Eltern 1941 grössere Bombenangriffe auf Köln befürchteten, schickten sie mich im Mai nach Schlesien auf das Gut meiner Tante. Ich hatte mich sehr bald an die neuen Verhältnisse gewöhnt und verlebte frohe Zeiten dort. In Brieg besuchte ich zwei Monate lang die Oberschule hauswirtschaftlicher Form. Es war lehrreich für mich, an dem andersartigen Unterricht teilzunehmen, jedoch konnte ich die Versäumnisse dieser Zeit nur sehr schwer aufholen. Im Oktober kehrte ich nach Köln zurück. Am 31. Mai 1942 brannte unser Haus vollkommen aus. Diesen Geburtstag werde ich nie vergessen, an dem ich nach stundenlangen Rettungsversuchen schliesslich erschöpft auf einem Sessel den hell lodernden Flammen zuschaute. Anfangs war es mir unfassbar, dass alles, was wir so geliebt hatten, nicht mehr vorhanden war. Doch bald wurden die Gedanken von der Fülle der notwendigen Arbeit vertrieben. Bei den vielen Besorgungen, die ich zur Entlastung meiner Mutter machte, war ich immer aufs neue betroffen von der Zerstörung besonders der alten Kirchen, die früher das Bild meiner geliebten Heimatstadt so eindrucksvoll gestalteten. Gerne folgte ich einer Einladung meiner Tante, die mich aus den Trümmern in die unzerstörte Stadt Paderborn rief. Ich wohnte zehn Wochen bei ihr und machte im Soldatenheim Kriegseinsatz. Die Anforderungen, die dieser Dienst an mich stellte, waren gross, aber ich half gerne im Bewusstsein, zum ersten Mal in meinem Leben unmittelbar etwas für unsere Soldaten leisten zu können. Die Stadt Paderborn ist mir besonders ans Herz gewachsen wegen ihrer schönen, harmonischen Bauten, den beinah mittelalterlichen Gässchen, den unzähligen, malerischen Paderquellen und der herrlichen weiteren Umgebung. Als ich im September nach Köln zurückkehrte, waren meine Eltern gerade im Begriff ihre neue Wohnung zu beziehen. Nun musste ich viel mehr als früher meiner Mutter im Haushalt helfen.

Die grosse Wanderleidenschaft meiner Eltern hat sich auch auf mich vererbt. Neben dem Lesen war immer schon für mich die schönste Entspannung, an den Spaziergängen in die Umgebung Kölns, besonders in das Bergische Land und auch in die Eifel, teilzunehmen. Sie liessen mich den Vorgängen in der Natur nahe kommen und waren die Ursache zu meinen naturwissenschaftlichen Neigungen. Darum wurde Biologie mein Wahlfach.

Abituraufsatz

Erinnerung an einen Menschen.

Meine liebste A. ungeschickt u. unüberlegtErinnerung ist die Erinnerung an eine Gestalt aus Kindertagen. Diese Gestalt ist „unsere" Omi, die Mutter meines Vaters, die mit uns in einem Haus wohnte. Ich nannte sie nicht Grossmutter oder Oma wie die Mutter meiner Mutter, die ich lieblos die „andere" Oma betitelte, nein, sie war unsere Omi. So brachte ich den grossen Unterschied zwischen den beiden Grossmüttern zum Ausdruck.

Omi war eine kleine, zierliche Frau mit grossen, hellen Augen in feingeschnittenem Gesicht, das von weichen _ weissgrauen Haaren umrahmt war. Ihre schlanken, faltigen Hände, die so geschickt die schwierigsten Dinge wieder in Ordnung bringen konnten, zeigten sichtbar ihr hilfsbereites, gütiges Wesen. Behutsam sorgte sie für unser ganzes Haus, ordnete und half, wo es nötig war.

Ich erinnere mich, dass ich oft als ganz Kleine zur Omi geschickt wurde, wenn Mutti und die gute Maria das Untier los sein wollten. Omi setzte sich dann geduldig mit mir auf das weichste und gemütlichste Sofa, das ich je erlebt habe, knipste die Stehlampe an und liess mich Geschichten auswählen , Zur Debatte standen Grimms Märchen, bebilderte Fabeln und wieder unbedachtandere alte Märchen . Waren meine Wünsche noch so unbescheiden, was die Länge der Erzählungen Zeit.betrifft , Omi sagte niemals nein , und begann mit ihrer leisen Stimme vorzulesen. Meistens blieb uns bis zum Mittagessen soviel Zeit, dass Omi sich ans Klavier setzte und mir Kinderliedchen vorspielte. Und dann wusch sie mir die Hände, so sauber, dass es beinahe unnatürlich war. - Besonders schön und unübertroffen gemütlich waren die Stunden bei Omi in der Vorweihnachtszeit. Sie sang mit mir Weihnachtslieder und half mir kleine Dinge für die Eltern anzufertigen.

Omi A. (W)half und war den Eltern gegenüber verschwiegen. Das war sehr wichtig für mich, wenn ich abends nachdem Mutti mich ins Bett gebracht hatte, leise wieder aufstand und zu ihr eine Etage höher hinaufschlich. Sie machte sich dann gerade das Abendbrot fertig, kochte sich in winzigen Töpfchen und Pfännchen die köstlichsten Dinge, goss Tee auf und schnitt Weissbrot. Heute noch sehe ich sie in der kleinen Küche wirtschaften mit für mich ungeheuer verlockenden Dingen. Nun gingen wir in das Wohnzimmer, Omi voraus, um das Licht anzuknipsen _ und ich in Nachthemd und Pantöffelchen hinterher mit dem Brotkorb. Das zweite Abendessen begann für mich, denn Omi gab mir immer ein paar Häppchen mit; bis 7.45 Uhr durfte ich bei ihr bleiben, dann tat sie sehr streng und schickte mich in die Falle.

Oft kam ich auch mit grossen Wünschen zu ihr. Jedesmal, wenn mir etwas zerbrochen war, sagte ich beruhigt vor mich hin: „Omi leimt's!" Kurze Zeit später trug ich meine Tiere ohne Beine, Köpfe oder Schwänze zu ihr nach oben. Und Omi leimte sie wirklich! Ihr Bücherbrett war ein richtiges Tierlazarett, wo alles nach der Mühe des Klebens trocknen musste.

Immer wenn bei uns unten etwas nicht in Ordnung war, sei es, dass Vati sich erkältete, dass Muttis Kuchen nicht so wollte wie er sollte oder ich ein Kümmerchen hatte, Omi war die letzte Rettung und half in jedem Falle.

So war sie unser guter Hausgeist, doch eben nicht unsichtbar, wie Geister das sind, sondern sie war da, als ruhender Pol in dem sonst bewegten Leben und stand uns in allen Nöten bei. Durch sie wurde unser altes Haus gemütlich, nie gab es Einsamkeit. - Bald nach Ausbruch des Krieges starb unsere Omi. Damit hatte für mich die eigentliche Kinderzeit ein Ende gefunden, die harte Wirklichkeit verdrängte ihr Bild. In ruhigen und besinnlichen Stunden jedoch taucht die Erinnerung an sie wieder auf.

Von einigen Nachlässigkeiten abgesehen hat die Verf. frisch und anziehend dargestellt. Leider bleibt die Schilderung stark am Äußeren haften.

Bei besserem Ausdruck

Ausreichend.

31.1.44.