KAS (Köln)

Vorbemerkung

Leider ist für beide Sonderlehrgänge des Jahres 1946 im Schularchiv nur ein einziger Lebenslauf einer Abiturientin überliefert.

Gesamtbeurteilung des Sonderlehrgangs B

Charakteristiken für den Sonderlehrgang b.

Beim Beginn des Lehrganges b waren für die Klasse 25 Schülerinnen angemeldet. Während der Vorbereitungszeit traten 8 aus verschiedenen Gründen zurück; gleich nach den Weihnachtsferien kamen noch 2 hinzu, sodass die Klasse jetzt 19 Schülerinnen aufweist. Die jüngste zählt 17, die älteste 23 Jahre, das Durchschnittsalter beträgt jetzt 19 Jahre.

Den Reifevermerk bzw. die Versetzung nach Klasse 8 erhielten 6 an der Kaiserin-Augusta-Schule, 6 an der Oberschule in der Machabäerstr., 5 an verschiedenen auswärtigen Schulen, 1 bereitete sich nach einer nicht bestandenen Reifeprüfung als Externe privat vor (s. Anlage).

Etwa die Hälfte der Schülerinnen zeigte gute Begabung, über dem Durchschnitt liegende Sonderbegabungen traten in den erteilten Unterrichtsfächern nicht hervor.

Von Anfang an erfreute die Klasse durch gutes Streben und anerkennenswerten Fleiss. Wenn nicht alle entsprechende Leistungen erzielten, so liegt der Grund zur Hauptsache an den bekannten Ursachen: beschränkte Wohnverhältnisse; weiter, oft sehr beschwerlicher Schulweg; schlechte Ernährung; Belastung durch ausserschulische Arbeiten. Zu einem argen Hemmnis gestaltete sich auch der Mangel an Büchern und Papier.

Die aus mancherlei Schulen hergekommenen Mädchen haben sich zu einer guten Klassenkameradschaft zusammen geschlossen. Ihr Verhalten zu den Lehrern war höflich und voller Vertrauen.

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs B

1.) Verlorene Kostbarkeiten.

2.) Abschied von ... (einem Ort oder einem Menschen, die uns lieb waren)

3.) Viele Blumen tun sich der Sonne auf, doch nur eine folgt ihr immerfort. Herz, sei die Sonnenblume; nicht bloß offen sei dem Gott, sondern gehorche ihm auch.   Raabe.

4.) Der Drang nach einem Stern adelt und hebt über sich hinaus. Wehe dem armseligen Herzen, das nicht von ihm erfüllt ist; es geht blind durch die Strassen der Welt und mit verschlossenen Ohren.   Finckh.


Beurteilung

Sie lebt augenblicklich unter schwierigen Verhältnissen. Da ihre Eltern noch nicht nach Köln zurückkehrten, muss sie meist selbst für sich sorgen. Das fällt ihr bei ihrer stillen, fast scheuen Art schwer, und ihre Gesundheit leidet darunter. Hilde ist sehr gut begabt, besonders für Mathematik und Naturwissenschaft. - Im Deutschen merkt man die sinnige Art ihres Wesens und ihre grosse Gemütstiefe. Im mündlichen Ausdruck ist sie gewandter als im schriftlichen. Trotz gedanklicher Tiefe wirkt dieser oft etwas unbeholfen. Mit guter Veranlagung verbindet Hilde Zielstrebigkeit und fast übersteigerten Ehrgeiz. Im Kreise der Kameradinnen ist sie zwar zurückhaltend, doch hilfsbereit.

Abituraufsatz

Verlorene Kostbarkeiten.

Kostbarkeiten! In der Morgenfrühe wandere ich durch die Stadt. Die ersten Sonnenstrahlen breiten einen rötlichen Schimmer über Giebel und Dächer meiner Heimat. Ich liebe gerade diese Stunde, wenn alles noch in sanftem Schlummer liegt, die Vögel ihr Morgenlied in die Luft hinausträllern. Vielleicht klingt ein verlorenes Hupen eines besonders frühen Autos, vielleicht das Bellen eines früherwachten Hundes, doch sonst liegt noch Frieden und Stille rings ausgebreitet. Ja Frieden, verlorene Kostbarkeit! Die Sonne geht auf über Trümmern, toten Ruinen, die kein Leben und häusliches Glück mehr bergen. In das freudige Erwachen mischt sich eine wehmütige Stimmung. Ja verloren, für immer dahin. Das Schicksal der ganzen Stadt, es schlug dem einzelnen Menschen nimmer zu heilende Wunden.

Ich biege um die Ecke, und die Ruine einer roten Sandsteinmauer starrt mir entgegen. Ihr Lieben, denen dieser Ort ein Heim, wo seid ihr geblieben? Ihr musstet fliehen. Doch vergessen will ich das Leid. Die Sonne erquickt mich mit ihrer Wärme. Ich sinke auf einen Stein am Bord nieder und versinke, versinke in die Vergangenheit. Die Vorübergehenden mögen staunen über mich, der ich am Wege sitze. Eine Welt steigt in mir auf, sind es wirklich verlorene Kostbarkeiten?

Schon von meiner frühesten Jugend an verband ich mit dem Hause der Grosseltern eine bestimmte Vorstellung. Allein von aussen mutete mich das alte Patrizierhaus an, als stamme es aus ferner, vergangener Zeit. Der Messingknopf an der Eingangstür glänzte immer besonders hell, so hatte man ihn mit dem Putzlappen bearbeitet. Rechts ein Griff zur Schelle, und die schwere, alte Tür tat sich auf, um bald wieder schallend ins Schloss zu fallen. Der Weg führte mich über Steinfliesen hinein in das Haus, in diese verhaltene Stimmung aus Altvätertagen. Es wollte zu weit führen, hier das ganze Haus, so wie es vor meinem geistigen Auge ersteht, zu beschreiben. Die Worte würden nicht ausreichen, meine Empfindungen zu schildern. Darum hinein und zu den Dingen, die für mich eine besondere Kostbarkeit bedeuteten.

Ein altes Haus verbirgt meist besonders reizvolle Ecken und Winkel. Eine sog. Dunkelkammer auf dem obersten Stockwerk, unter dem Dache, war immer das besondere Ziel unserer Wünsche. Tripp, trapp lief die Bande fröhlich Runde um Runde, bis sie auf dem Olymp angekommen war. Ein rostiger Schlüssel drehte sich knarrend im Schloss. Zunächst konnte man im Finstern nur ein wüstes Durcheinander von Kisten und Kasten entdecken. Altes Gerümpel und Gerät stand umher und verbreitete einen moderigen Geruch. Hierhin waren die vielen Spielsachen all der Onkel und Tanten gewandert. Gerade weil das meiste aus alten Zeiten stammte, wurde unser kindliches Interesse geregt: Eine alte Eisenbahn, eine Burg, Zinnsoldaten, bunt bemalt und ein Schaukelpferd ohne Schwanz. Eine Schaukel und ein paar Ringe, die im Flur vor der Dunkelkammer angebracht werden konnten, reizten uns zu turnerischer Betätigung. Da dieser Sport meist viel Krach und Spektakel verursachte, wurde zum Schaukeln nur selten die Erlaubnis erteilt. Doch an besonderen Festen, bereits durch viele Versprechungen hingehalten, gelang uns die Erfüllung dieses heissesten Wunsches. Hei, wie das Röckchen flog, und die kleinen Beine sich bemühten, möglichst mit den Fusspitzen die Decke zu erreichen. Sind dies Kostbarkeiten? Das Materielle ist leicht zu ersetzen, doch gib mir eine Eisenbahn oder eine Schaukel wie diese, sie wird mir nichts bedeuten. Viele Dinge erhalten eben erst durch unser eigenstes Erleben ihren Wert. Könnte ich noch einmal auf dich blicken, du altes Gerät; die Tage, da wir fröhlich in dir herumstöberten, würden mir wieder neu erstehen. Zwar die Erinnerung bleibt, vergessen kann ich dich nicht; aber streicheln möchte ich euch, ihr Spielsachen, die für mich die Freude so mancher Kindertage bedeuteten. Doch es soll mir eine Ermahnung sein, dass es nicht immer möglich ist. Dieser Kinderfrieden ist und bleibt zerstört. Niemals werden die, die nach mir kommen, Gleiches empfinden können. Diese Kostbarkeiten scheinen wirklich für immer verloren.

Andere Erinnerungen an die zerstörte Umgebung meiner Kindertage steigen in mir auf. Dieses Haus, mitten im Herzen der Stadt an der Ringstrasse, besass einen Garten und eine r. TerrasseTerasse . Zwar war das kleine Fleckchen Rasen von hohen, weissgekälkten Mauern umgeben, doch bedeutete es für uns ein Stück Natur. Ein Fischbecken, Efeuranken, ein paar einsame Blumen, einige Küchengewürze vor dem Flurfenster, den Tannenbaum von der vorigen Weihnacht, mehr enthielt der Garten nicht. Eine Teppichstange veranlasste uns zu turnerischen Übungen. Wie schön war es doch, bei einem leckeren Kaffee im Sonnenschein auf der Veranda zu sitzen. Die liebe Grossmutter zur Seite suchte den kleinen Enkelchen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Auch dies ist vergangen! Vorbei sind Garten und Veranda, die ein grosser Steinhaufen überdeckt. Ja, ihr seid verloren. Möge trotzdem unser Mut nicht sinken, denn Trauern mag die ältere Generation. Wie sind die Jugend und wollen neu beginnen. Wir können das Alte nicht wiederherstellen, wie es war, nein diese Kostbarkeiten sind für immer verloren. Wir müssen etwas anderes schaffen, Neues an seine Stelle setzen und uns wieder Kostbarkeiten aufbauen.

Anderes ging dahin, hat aber seinen über alle Zeiten währenden Wert behalten. Das Haus besass sehr viele Räume. Was mag wohl in ihnen verborgen gewesen sein? Eine Tür mit einem weissen Schild und der schwarzen Aufschrift „Bureau", unter der ich mir anfangs nicht viel vorstellen konnte, nahm mich auf. Die bunten Fensterscheiben breiteten ein feierlich ernstes Licht über den Raum aus, an dessen hohen Wänden entlang ich die Decke kaum zu entdecken vermochte. Auch sie war geschmückt mit unendlich vielen kleinen Figuren, Engelsköpfchen und Blumenzierat. An den Wänden entlang liefen grosse Stellagen mit Akten und Büchern. Hier war meine Welt. Die Bände waren in alphabetischer Reihenfolge schön geordnet. An erster Stelle standen die kleinen, blauen Bändchen von Tschudi, die uns das Wirken der Grossen lebensnah zu schildern wissen. Da hatte ich ein Buch entdeckt, das gerade meiner gegenwärtigen Stimmung zu entsprechen schien. Ich verkrümelte mich in eine finstere Ecke, um nur möglichst allein zu sein, und Luftschloss auf Luftschloss erstand vor mir. Die Katze streifte mit ihrem flaumigen Fell an meinen Beinen entlang und erhöhte die aufkommende Stimmung des Behagens. Das Feuer knisterte im Ofen. Hier wurde mir der Winter nicht lange. Wenn der Wind um das Haus pfiff, es dazu ordentlich schneite und die Leute vermummt einhereilten, war es recht gemütlich. Ein Blick zum Fenster, und mit erneuter Wollust vertiefte ich mich in mein Buch. Die Auswahl war so gross, dass ich oft unschlüssig mehrere Stunden vor den Kostbarkeiten stehen konnte, ohne einen Entschluss zu fassen. Für Winterabende liebte ich ein von meiner Wirklichkeit und meinen Vorstellungen verschiedenes Buch. Im Sommer dagegen spürte ich oftmals das Bedürfnis, dem Trubel und dem Getriebe der Stadt zu entfliehen. Auf vergoldetem Ständer prangte ein rotes Buch mit einem grossen, goldenen Helmbusch als Aufschrift. Es war das Wappen unserer Familie. Ein Blick, ob die Hände auch die gebührende Sauberkeit besassen, und ich nahm das Heiligtum von seinem Sockel. Es hatte ein beträchtliches Gewicht, und es kostete schon einige Anstrengung, den schweren Deckel aufzuschlagen. In kleinen, kritzeligen Buchstaben enthielt es lyrische Gedichte meines Grossvaters. Dass mein Urahn der Verfasser dieser Verse war, verlieh ihnen natürlich einen besonderen Reiz. Er hatte sie nicht drucken lassen, da der Inhalt eingeworfene Empfindungen und augenblickliche, launenhafte Stimmungen enthielt. Die Verse waren an seine Gattin Adolfine gerichtet. Die Natur, der Frühling, die Blumen, jegliche Gestalt der Schönheit schien von ihr zu reden. Ein jedes Erlebnis, jede Stimmung sollte ihr durch besondere Zeilen vermittelt sein. O Ahnin, wüsstest Du, welche Vorstellung ich mir Dir verbinde. Du erscheinst mir wie Schönheit selbst, stets heiter und von lichter Helle umgeben. Nie wird ein Zug von Misstimmung auf Deinem Gesichte spielen, ich möchte Dir gleichen. Doch zu hoch und heilig bis Du ja, als dass ich es wagen könnte, mich Dir zu vergleichen. Zu einem jeden Feste widmet Dein Gatte Dir einige Zeilen. Er will, dass Du mit ihm jede Freude, alles Edle und Hohe geniessest. Wenn die Lieder zu Deiner Verehrung mehr Dich angehen, zu Dir reden sollen, die Lieder zu den Kirchenfesten haben auch mir viel zu sagen. Ich werde auf Gedenken hingewiesen, die mir ohne Dich nie gekommen wären. Durch Dich erst lerne ich den tiefen Sinn so manchen Wunders verstehen. Die Mühe, die es kostet, die eigensinnigen, kleinen Buchstaben zu lesen, spornen meinen Eifer besonders an. Dir möchte ich nachstreben, ja wie Du empfinden. Wie glücklich musstest Du Dich fühlen, dass Du die Deinen mit so reichen Gütern beschenken durftest. Ist diese Kostbarkeit verloren? Leider muss ich die Antwort halb bejahen, halb darf ich sie verneinen. Es ist mir nicht mehr vergönnt zu geniessen wie damals, die Verse an meimem Ohr vorbeiklingen zu lassen, ihre Melodie, ihre Harmonie kann ich nicht mehr zurückrufen. Ich sehe im Geiste eine kleine Flamme an dir hinaufzüngeln, du rotes Buch. Du wehrst dich mit deinen letzten Kräften, doch vergebens, auch du musst der Gewalt des Feuers weichen und musst versinken. Deine Blätter sind zwar dahin, aber das reine, strahlende Bild meiner Urahnen konnten die Flammen mir nicht entreissen. Es ist für mein ganzes Leben mein eigen und kann mir nie mehr verlorengehen. Darum, mögen wir auch trauern über so manches, was uns der grausame Krieg jäh geraubt hat, das geistige Gut bleibt doch erhalten. Wir müssen uns umso mehr bemühen, es ganz in unser Inneres aufzunehmen, damit es nicht verlorengeht, denn ersetzen können wir es nicht mehr.

Eine warme Schilderung der Kostbarkeiten, die mit dem Verlust des geliebten großelterlichen Hauses versanken. Die Form ist ansprechend. Die Arbeit enthält manchen guten Gedanken.

Gut.

Die schriftlichen Jahresleistungen waren teils befriedigend, teils gut. Durchaus gut waren die mündlichen Leistungen.

25.V.1946.
N. Heusgen.