KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse OI Ra

Gesamtgutachten über die OI Ra:

Wie alle Oberprimen der letzten Jahre so hat auch diese Oberprima unter den Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit in erheblichem Masse gelitten. Bei der Wiedereröffnung der Schulen im Nov. 45 in Köln hatten alle Schülerinnen andere höhere Schulen bezw. Mittelschulen, meistens sogar ausserhalb Kölns, besucht. Nur 3 Schülerinnen kamen Ende 45 zur K.A.S., 6 Schülerinnen 1946, 3 Schülerinnen im Verlaufe des Jahres 1947 und 3 im Jahre 1948. Alle waren 2 Jahre in Prima. Von den 22 Schülerinnen zu Beginn der U I (seitdem ich die Klasse als Ordinarius führte) schrumpfte die Anzahl auf 15 zusammen.

Die meisten hatten in den letzten Kriegsjahren ihre Schulausbildung für längere Zeit unterbrechen müssen; um des Lebensunterhaltes willen waren einige praktisch tätig. Wieder andere konnten an Kursen teilnehmen und durch Privatunterricht ihr Wissen auffrischen und erhalten. Die Vorbildung ist bei den meisten noch lückenhaft. In den Primajahren mussten viele Stoffe der Mittelstufe neu durchgearbeitet werden, um auf ihnen aufbauen zu können. Die meisten des abgegangenen Drittels der Schülerinnen konnte das verlangte Arbeitstempo, das zum Leistungsstand der Oberstufe führen sollte, nicht durchhalten.

Vielfach wurden die Schülerinnen von ihrer Schularbeit abgehalten durch ihren Einsatz in ihrem häuslichen Arbeitskreis, wobei sie die kranke Mutter vertreten und beim Wiederaufbau helfen oder die praktische Arbeit zum Lebensunterhalt der Familie beisteuern mussten. Der Gesundheitszustand einiger Schülerinnen wurde dadurch in besorgniserregender Weise angegriffen. Erst eine Aussprache mit den Eltern brachte Abhilfe.

Die weiten Bahnfahrten (von 1 bis 3 oder sogar 4 Stunden täglich), die Überbeanspruchung daheim und die nervöse Abspannung durch die Nöte der Nachkriegsereignisse waren nachteilig für die Schülerinnen und bewirkten einen Mangel an Konzentrationsfähigkeit infolge Übermüdung.

Trotz dieser zahlreichen negativen Einflüsse kamen die Mädchen gern zur Schule mit dem festen Willen, ihre unterbrochene Schulzeit neu zu beginnen und zu einem Abschluss zu führen. Trotz mancher Rückschläge in den schulischen Leistungen war man meistens in froher Stimmung. Alle Schülerinnen hatten volles Vertrauen zu ihren Lehrern, zeigten sich dankbar und anhänglich. Das zeigte sich besonders auch auf der 8tägigen herrlichen Fahrt an den Mittelrhein, die Schülerinnen und Lehrer wohl nicht in ihrem Leben vergessen werden.

In der Klasse war der kameradschaftliche Zusammenhalt gut und die Mitarbeit im allgemeinen rege, sodass sie zu guten mündlichen Leistungen führte. Ihrer ausserschulischen Tätigkeit nach ist die Klasse nach Interessengruppen aufgespalten, die unter folgenden Stichworten stehen: Oper, Schauspiel, deutsch-englischer Klub, andere Diskussionsgruppen, Volkstanz, Handarbeitszirkel, Wandergruppe.

Für die einzelnen Fachgruppen unterscheidet sich die Begabung der Klasse so, dass 2/3 für die geisteswissenschaftlichen und 1/3 mehr für die naturwissenschaftlichen Fächer begabt sind.

Die knappe Hälfte der Schülerinnen neigt zu praktischer Betätigung, für etwas mehr als die Hälfte könnte ein Universitätsstudium empfohlen werden.


Lebenslauf

Am 8. Juli 1930 wurde ich als Tochter des Otto B. und seiner Frau Herta, geborene C. geboren.

Von Ostern 1936 - 1940 besuchte ich die Volksschule Köln, Loehnerstraße.

Ostern 1940 kam ich zum Lyzeum III, Köln, Weyerthal, wo ich bis zur Schließung der Schule im Oktober 1944 blieb.

1945 arbeitete ich am Arbeitsamt Köln.

Im November 1945 als die Schulen wieder begannen, ging ich zur Kaiserin-Augusta-Schule, Köln-Ehrenfeld, wo ich Ostern 1948 in die Oberstufe versetzt wurde und Ostern 1951 mein Abiturium zu machen hoffe.

Aus meiner frühesten Kindheit weiß ich mich nur noch eines Erlebnisses deutlich zu erinnern. Ich war in einem Kindergarten, in dem man zu Weihnachten ein Spiel aufführte. Ich hatte die Rolle des Winters zu spielen. Als ich auf der kleinen Bühne stand, glaubte ich wirklich, daß ich der Winter sei; ich machte ein sehr böses Gesicht und sprach mit ganz tiefer Stimme, so daß ich von allen Eltern und Gästen großen Beifall erntete. - Als ich dann Ostern 1936 in die Schule kam, mußte ich den Kindergarten, den ich so gern besucht hatte, leider verlassen. Aber auch in der Schule gefiel es mir gut, nur in der Handarbeitsstunde hatte ich immer Schwierigkeiten; denn die Arbeiten wollten mir nie so ordentlich gelingen wie den andern. - Ein großes Erlebnis für mich war die erste heilige Kommunion, die ich mit neun Jahren empfing. Die Größe dieses Erlebnisses habe ich wohl damals nicht ermessen können, aber ich habe gefühlt, daß ich Christus in mich aufnahm, und vielleicht war damals das Gefühl der Gotteskindschaft am innigsten und stärksten in mir.

Als ich im Jahre 1940 zur Aufnahmeprüfung der höheren Schule ging, hatte ich große Angst, die sich aber als unbegründet erwies, denn ich durfte nach der schriftlichen Prüfung schon nach Hause gehen. Mein Schulweg zum Lyzeum III führte mich jeden Tag durch den Grüngürtel; das war besonders im Frühling, wenn die ersten Blumen aufblühten sehr schön. Ich konnte mir dann immer einen kleinen Strauß pflücken und mein Zimmer damit schmücken. - In der folgenden Zeit spielen Bücher und Theater die größte Rolle in meinem Leben. Die erste Oper, in die mich mein Vater mitnahm, war „Hänsel und Gretel". Schon mit elf Jahren sah ich Wagners „Siegfried", „den fliegenden Holländer", „die Meistersinger von Nürnberg" und andere Opern und Schauspiele. Bekannte meiner Eltern meinten oft, ich sei doch noch viel zu jung und verstehe diese „schweren Sachen" nicht. Sie hatten recht, denn wie ein Erwachsener konnte ich die Opern und Schauspiele wahrlich nicht verstehen. Aber ich bin meinen Eltern so dankbar dafür, daß sie mich so oft ins Theater gehen ließen, wie ich wollte, denn jede Aufführung war ein Erlebnis für mich. So sind mir viele Aufführungen im Herzen geblieben, und heute verstehe ich viel von dem, was ich damals noch nicht begreifen konnte. Aus meiner großen Neigung zum Theater wuchs dann auch der Wunsch, selbst Schauspielerin zu werden. Die Rollen einer Heldin wollte ich spielen, weil sie sich selbst am meisten aufgeben muß, um ihre Rolle wirklich darstellen zu können. Ich fand, daß dies die größte Kunst erfordere. Meine Eltern sprachen nicht gegen meinen Wunsch, aber erst sollte ich die Schule bis zur Schlußprüfung besuchen. - Aber dann kamen Ereignisse, die mich sogar das Theater vergessen ließen. Unsere Wohnung wurde so zerstört, daß wir nicht mehr darin wohnen konnten. Wir zogen zu einer Kölner Bekannten. Ich werde die Angst, die ich bei den immer fürchterlicher werdenden Angriffen hatte, nie vergessen können. Am schrecklichsten war es, wenn mein Vater nicht zu Hause war. Die Zeit des Angriffs und die des Wartens, bis er zurückkehrte war voll Qual und Angst. Am 30. Oktober 1944 wurde auch das Haus in dem wir so freundlich Aufnahme gefunden hatten, zerstört. Wir waren froh, daß wir uns aus dem Keller, in dem meine Eltern und ich ganz allein diesen Angriff überstanden hatten, durch den Durchbruch zum Nebenhaus retten konnten. Die Sprengbombe war genau auf das Haus gefallen, und als wir auf die Straße kamen, sahen wir nur noch Trümmer. Jedoch hatte der Keller zu unserm Glück standgehalten. Es blieb uns dann nichts übrig, als Köln zu verlassen, und wir warteten auf einen Wagen, der uns bis Bonn mitnahm. Damals glaubte ich, daß ich Köln niemals wiedersehen würde und weinte bittere Tränen, als ich den Kölner Dom nicht mehr sehen konnte.

Als wir in Bonn ankamen, wurde ich ob meiner höchst sonderbaren Kleidung (ich besaß nur noch einen Trainingsanzug) von allen Leuten angeschaut. Diesem Übel wurde jedoch bald abgeholfen, als mir jemand ein Kleid schenkte. Auch fanden wir bald eine neue Wohnung, deren Besitzer in den Süden geflohen waren. Aber diese Freude dauerte nicht lange. Meine Mutter wurde durch Tieffliegerbeschuß verwundet, mein Vater erkrankte an Rippenfellentzündung. So hatte ich die Aufgabe, - außer der Pflege meiner Eltern - für Kartoffeln, Kohlen, Lebensmittelkarten und andere Dinge bei den kleinlichen Behörden von einem Büro zum andern zu laufen. Allein es war kein Fehler, daß ich alles selbst in die Hand nehmen mußte, denn so wurde ich früh selbständig. - Am Weihnachtsabend 1944 wurde auch unsere Wohnung in Bonn zerstört. Nie werde ich diesen Weihnachtsabend vergessen, an dem die Menschen sich nicht scheuten zu töten. Im Januar 1945 kehrten wir wieder nach Köln zurück und lebten bis zur Eroberung in dem Keller des Hauses wo wir früher gewohnt hatten. Wie Erlöser kamen mir die ersten Amerikaner vor, die zwei Tage nach dem letzten und schwersten Angriff auf Köln hier einmarschierten. Ich wußte damals nicht, was daraus folgte, daß wir besiegt waren, ich wußte nicht, daß unsere Kriegsgefangenen fünf Jahre später noch nicht zurück sein würden, ich wußte nur, daß es keine Angriffe mehr gab, daß das Töten aufhörte. Im April fanden wir dann wieder eine Wohnung mit einem wunderschönen Garten, in dem alles grünte und blühte. In unserem Garten erholten wir uns sehr schnell von unserm Kellerdasein. Als ich dann nicht wußte, wann die Schulen wieder begannen, nahm ich eine Stellung am Arbeitsamt an. Hier lernte ich viel über Berufsvermittlung und Büroarbeit, bekam aber auch gleichzeitig eine große Abneigung gegen die Arbeit an einer Behörde, da ich wußte, daß mich diese Arbeit niemals befriedigen würde. Im November wurden die Schulen wieder geöffnet, und ich wurde von einem berufstätigen Menschen glücklicherweise wieder zur Schülerin. In der Klasse wuchs das Zusammengehörigkeitsgefühl, was durch einige Klassenfeste noch verstärkt wurde. Ich ging gern zur Schule, und der Ärger über eine verfehlte Arbeit war schnell vergessen. Am liebsten sind mir die Deutsch- Musik- Englisch- und Geschichtsstunden und natürlich die Turnstunden. Ich bin glücklich, daß meine Eltern es mir ermöglichen konnten, die Schule zu besuchen, wenn auch Hausarbeit, von der ich meiner Mutter ziemlich viel abnehmen muß, und Schularbeit oft viel werden. Neben der Schule besuchte ich auch noch die Volkshochschule und hörte Vorträge über das antike Griechenland, über Goethe und über die naturalistischen Dichter. Von allen Dichtern liebe ich Goethe und Shakespeare am meisten. Darum war ich auch sehr froh, als wir im englischen Unterricht Shakespeares „Macbeth" durchnahmen und besprachen. In der Deutschstunde lasen wir mehrere Dramen von Goethe, und vieles wurde mir erklärt, was ich vorher nicht gewußt habe. So gab und gibt die Schule mir viele geistige Anregungen, die mir von selbst nie gekommen wären. -

Jetzt tritt die Berufsfrage mit größter Dringlichkeit vor mich hin. Mein größter Wunsch ist es immer noch Schauspielerin zu werden, allein die Aussichten in diesem Beruf sind zu gering. Ich würde es dennoch versuchen, und ich glaube auch, daß ich es durchsetzen würde, wenn ich wüßte, daß ich nicht heiratete. So aber werde ich Dolmetscherin, und ich glaube, daß auch dieser Beruf sehr schön ist.